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Kooperation oder Prostitution?

Heutzutage kommt zuerst der Verkauf, dann die Kunst, erst die Distribution, dann die Produktion. Da ist es nur konsequent, dass sich eine private Galerie in einem Museum zeigt. So geschehen in der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst.

Von Carsten Probst |
    Dass eine private Galerie mit ihren Künstlern die Räume eines öffentlichen Museums bespielen kann, ist nicht nur ungewöhnlich. Unter normalen Umständen wäre es eine inhaltliche Bankrotterklärung für dieses Museum. In der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) ist derzeit allerdings nichts normal. Die öffentliche Hand versagt dem Museum die Mittel, die es für einen verlässlichen Ausstellungsetat braucht, und so entschloss sich Direktorin Barbara Steiner zu einer stillen Demonstration des Protestes und ließ die leeren Räume von privaten Kunstmäzenen oder, wie in diesem Fall, von der Galerie "Eigen+Art" bespielen. Soll die Stadt doch sehen, was sie davon hat, wenn sie ein wichtiges Museum derart im Stich lässt.

    Der Aufschrei über diese Maßnahme der Galeriedirektorin war in der Tat bundesweit vernehmbar. Und der Auftritt von "Eigen+Art" dürfte erneut die Frage zuspitzen: Darf man das, selbst wenn einem als Museum der Geldhahn beinah zugedreht wird? Aber nehmen wir die Lage, wie sie ist. Interessanterweise stellt für Judy Lybke, den "Eigen+Art"-Gründer und notorischen Erfolgsverkäufer der Neuen Leipziger Schule, die Präsentation in einem Museum überhaupt keinen Widerspruch dar. Eigentlich ist es, als käme er nach Hause.

    Wer Aversionen gegen alles Kunstmarktmäßige hat, rennt bei Lybke offene Türen ein. Nichts anderes propagiert er seit Jahrzehnten und wiederholt es am liebsten auf den großen Kunstmessen. Nein, nicht um Geld geht es ihm. Judy Lybke will Kunstgeschichte schreiben mit seiner Galerie, die Niederungen des Händlerwesens hinter sich lassen. Auf den großen Kunstmessen wie der New Yorker Armory Show zeigt er museale Ausstellungen immer nur eines einzigen Künstlers, in diesem Fall von Jörg Herold, und eigentlich gäbe es dabei keinen Unterschied mehr zwischen Messekoje und Museum, meint Lybke.

    "So sieht dann ein Ausstellungsraum auf einer Messe bei uns aus, wenn wir in New York sind. Plötzlich ist das eine richtige Show, eine richtige Ausstellung, die nichts mehr zu tun hat mit "Kauf ich dieses oder kauf ich jenes", weil man sieht, schon an diesen verschiedenen Farben, das gehört irgendwie zusammen, und das scheinbar auch. Und das ist schon nicht so dargestellt, als ob man es nicht sofort einzeln mitnehmen könnte. Hier geht es mehr um eine Information, die man weitergeben will, und nicht um einen Verkauf, und in New York, wo all diese großen wichtigen Sammler sind und die Kuratoren und die Museen, ist es doch viel nachhaltiger, wenn man mit einer Künstlerposition hingeht jeweils im Jahr, weil es bringt viel mehr, wenn man dann hinterher im Metropolitan Museum Ausstellung hat, als wenn man etwas nur verkauft hätte."

    So ist auch die private "Eigen+Art"-Show in der öffentlichen Galerie für Zeitgenössische Kunst eigentlich ein Schnelldurchgang zum Thema Ewigkeit und Unsterblichkeit, Lybkes Brot- und Butter-Themen. Der Galerist nach Lybkes Definition handelt nämlich vornehmlich mit diesen Fantasien, er verspricht sie Künstlern und Kunden seiner Galerie gleichermaßen, und es zählt wohl zu den markantesten Phänomenen der gegenwärtigen Kunstszene, dass und wie sehr Lybke diese sakralmarxistische Suggestion immer noch und immer wieder gelingt.

    "Eigen+Art" hat sich höchst erfolgreich zur Anwältin einer Sehnsucht nach verlorener Volkskunst gemacht, einer Kunst, die wiedererkennbar ist und irgendwie "uns alle" betrifft und deren Quelle nicht wenige Kunstfreunde gefühlsmäßig irgendwo bei den alten Meistern ansiedeln. Lybke liefert sie ihnen im heutigen Gewand. Seine Künstler und ihre Auftritte sind zum Markenzeichen eines Historienkultes geworden, der die Deutschen ziemlich genau nach der Wiedervereinigung erfasst hat. Die Räume der GfZK, deren unregelmäßiger, wandelbarer Grundriss üblicherweise eine völlig andere, viel weniger betuliche Gegenwart abbildet, verdeutlichen die Funktion von "Eigen+Art"-Kunst fast bis zur Überreizung. Aber sie machen diese zweifellos diskutable Ausstellung auch zu einem außergewöhnlichen und radikalen Experiment.