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Kooperative Fahrsysteme
Wie autonome Autos vom Fahrer lernen

Ein selbstfahrendes Auto, das sich an die Bedürfnisse der Fahrer anpasst, wäre nicht nur komfortabler, sondern auch sicherer. Dazu muss das Fahrzeug die Fahrweise des Menschen imitieren können. Forscher haben nun einen Prototyp geschaffen, der mit mehreren Kameras den Fahrer beobachtet und von ihm lernt.

Von Piotr Heller |
Erdi Kenar, Entwicklungsingenieur der Robert Bosch GmbH, bei einer Testfahrt mit einem autonomen Fahrzeug auf einem ehemaligen Flughafen in Rheinland-Pfalz
Zehn Projektpartner arbeiteten drei Jahre an dem Prototyp (Deutschlandfunk / Piotr Heller )
Auf einem ehemaligen Flughafen in Rheinland-Pfalz fährt ein VW-Kombi über die Startbahn. Auf dem Fahrersitz: Erdi Kenar, Bosch-Ingenieur. Er hält – noch – das Lenkrad in der Hand.
"Ich kann per Knopfdruck meine Automatisierung aktivieren. Und eigentlich ab jetzt würde das Fahrzeug, Fahrprofil Sport, selber fahren."
Erdi Kenar lässt das Lenkrad los. Die Maschine übernimmt. Das Auto biegt durchaus sportlich auf das Vorfeld des Flughafens ab. Man wird seitlich in den Sitz gedrückt.
"Das ist mein letztes ausgewähltes Profil. Wenn ich auf defensiv gehen würde, würde das Fahrzeug langsamer fahren."
Den Fahrer im Blick: Das autonome Auto erkennt, dass der Entwicklungsingenieur Erdi Kenar während der Fahrt ein Magazin liest
Den Fahrer im Blick: Das autonome Auto erkennt, dass der Entwicklungsingenieur Erdi Kenar während der Fahrt ein Magazin liest (Deutschlandfunk / Piotr Heller )
Personalisierte Kooperation zwischen Fahrer und Fahrzeug
Das Auto ist ein Prototyp, entstanden bei einem Forschungsprojekt: Zehn Projektpartner, drei Jahre, über vier Millionen Euro. Das Ziel: Ein selbstfahrendes Auto schaffen, dass sich an die Bedürfnisse der Insassen anpasst. Der Fahrer kann dem Auto nicht nur sagen, dass es sportlich oder defensiv fahren soll – die Maschine kann die Fahrweise des Menschen beobachten und imitieren. Und sie kann noch mehr.
"Zum Beispiel, ich würde ein Magazin nehmen während der automatisierten Fahrt, und ich würde dies lesen. Das macht Erdi Kenar jetzt auch. Und das Fahrzeug würde automatisch, dieses Fahrprofil mit niedriger Fahrdynamik auswählen, damit ich meine Nebentätigkeit entsprechend angenehm durchführen kann."
Im Klartext: Das Auto dreht seine Runden auf dem Flughafen jetzt langsamer, um Erdi Kenar nicht beim Lesen zu stören.
Das kann es, weil es mit seinen Sensoren nicht nur auf die Straße schaut, sondern mit mehreren Kameras auch den Fahrer beobachtet.
"Wir interpretieren, mit was er sich gerade beschäftigt, wie aufnahmebereit er ist und was er gerade aktuell in der Situation erwartet, wie sich das Fahrzeug verhalten soll."
Das ist Michael Flad vom Karlsruher Institut für Technologie. Er hat das Projekt koordiniert. Das Team hat zig Stunden Videomaterial von Menschen auf dem Fahrersitz aufgenommen: während die Leute Zeitung lasen, auf dem Laptop arbeiteten, Kaffee tranken oder konzentriert auf die Straße schauten.
Kameras haben den Fahrer immer im Blick
Mit diesen Aufnahmen haben die Forscher einem System zum maschinellen Lernen beigebracht, zu verstehen, was der Mensch auf dem Fahrersitz tut. Dieser Blick nach innen soll ein weiteres grundlegendes Problem selbstfahrender Autos lösen. Die dürften in Zukunft etwa auf der Autobahn zurechtkommen, werden aber irgendwann doch die Kontrolle an den Fahrer zurückgeben müssen – etwa wenn es in einer Baustelle unübersichtlich wird.
"Und da ist natürlich die Herausforderung: Wenn das Fahrzeug erkennt: ‚Ok. Ich kann die Situation nicht mehr handeln!‘, muss es natürlich an den Fahrer übergeben, aber man kann natürlich nicht einfach sagen: ‚Ich kann es nicht mehr!‘ Und dann alles abschalten."
Das Auto muss wissen, was der Fahrer tut, und die Übergabe daran anpassen.
Auf dem Flughafen fährt das selbstfahrende Auto auf eine verengte Stelle zu.
"Zum Beispiel jetzt signalisiert das Fahrzeug, dass ich bald übernehmen soll und dies wird auch in dem Display so dargestellt."
Das Display auf dem Armaturenbrett leuchtet orange, aber Erdi Kenar nimmt das Lenkrad noch nicht in die Hand. Das Auto merkt das und wird nach einigen Sekunden deutlicher. "Bitte übernehmen! Pling, Pling, Pling!"
"Und dass ich tatsächlich übernehmen soll, wird signalisiert und so weiter fahren."
Erdi Kenar nimmt schließlich das Lenkrad in die Hand und übernimmt die Kontrolle. Das Auto registriert das, denn es hat auch Sensoren im Lenkrad. Es prüft außerdem, ob der Fahrer sinnvoll um das Hindernis steuert, und lenkt wenn nötig am Anfang ein wenig mit. Eine kleine Studie im Rahmen des Projekts hat gezeigt, dass Testpersonen so besser mit brenzligen Situationen umgehen können, als wenn ihnen das Auto die Kontrolle plötzlich übergibt.
Kameras nach Innen: Das Cockpit des Prototypen eines autonomen Autos in einem Fahrsimulator
Kameras nach Innen: Das Cockpit des Prototypen eines autonomen Autos (PAKOS)
Das Projekt steht jetzt kurz vor dem Ende. Michael Flad, der Koordinator, geht davon aus, dass die Auto-Firmen, die daran beteiligt waren, die erforschte Technik weiter entwickeln. Er selbst hat auch noch eine offene Frage. Die klingt erstmal wie eine der grundlegendsten Fragen überhaupt.
"Im Prinzip, auch als Regelungstechniker, würde mich immer noch mehr interessieren, den Menschen zu verstehen. Ich weiß, was der Mensch macht. Was sehr interessant ist, aber auch sehr schwierig ist, zu erfahren: Was würde der Mensch machen? In der Zukunft!"
Denn: Wenn das Auto wüsste, was der Mensch in ein paar Augenblicken machen wird, könnte es sich noch besser an seine Bedürfnisse und Fähigkeiten anpassen.