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Kopenhagen
Ehrgeiziges Fahrradparadies

Kopenhagen hat sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Bis 2025 will die Stadt die erste CO2-neutrale Hauptstadt sein. Schon jetzt fahren mehr als 40 Prozent der Kopenhagener lieber Fahrrad als Auto. Doch um Klimaschutz-Vorreiter zu werden, braucht es noch mehr grüne Stadtplanung, meinen Naturschützer.

Von Gunnar Köhne |
    Fahrräder stehen vor einem riesigen bunten Graffiti an einer Hauswand in der alternativen Wohnsiedlung "Freistadt Christiania" in Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen
    Als Paradies für Fahrradfahrer wird Dänemarks Hauptstadt häufig bezeichnet. Doch es geht noch besser, finden Fahrrad-Lobbyisten (Imago)
    Wenn Temperaturen um die null Grad herrschen und ein scharfer Wind weht, dann sind Fahrradfahrer in Kopenhagen nicht in laut klingelnden Pulks unterwegs, sondern stemmen sich vermummt und streckenweise allein gegen die kalte Witterung. Dabei laufen sie Gefahr, die Annehmlichkeiten zu übersehen, die diese Stadt für Radfahrer bereithält: Radweg, Autostraße und Gehsteig sind strikt voneinander getrennt. Die Radwege sind mindestens zweieinhalb Meter breit und an Kreuzungen auffällig markiert. An den Ampeln brauchen Radfahrer nicht abzusteigen, weil sie ihren Fuß an Haltestangen absetzen können, und die Schale einer beim Fahren verzehrten Banane lässt sich im Vorbeifahren locker in einen der schräg angebrachten Abfalleimer werfen.
    Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Heimat, Hygge, Hochmut - Dänemark hadert mit der EU" in der Sendung "Gesichter Europas".
    Kopenhagen, das sind: 1.000 Kilometer Radwege, davon allein 200 Kilometer Radschnellwege, nicht zu vergessen die speziellen Radfahrbrücken. Bezahlt von einem städtischen Jahresbudget von 13,5 Millionen Euro allein für den Ausbau der Radinfrastruktur. Nicht verwunderlich, dass sich inzwischen fast jeder zweite Kopenhagener in der Innenstadt mit dem Fahrrad fortbewegt.
    Jeder zweite Einwohner Kopenhagens fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit, wie hier auf dem Sotorvet
    Radwege in Kopenhagen sind mindestens zweieinhalb Meter breit (picture-alliance / dpa / Thomas Uhlemann)
    "Jeder Meter Fahrradweg musste von jemandem erkämpft werden"
    Und auch nicht verwunderlich, dass die Kopenhagener ihre fahrradfreundliche Verkehrsplanung in alle Welt tragen wollen: Unter dem Label "Cycling Embassy of Denmark" bieten drei Dutzend dänische Stadtplanungsbüros, Stadtverwaltungen und Fahrradhersteller weltweit ihre Dienste an.
    Lasse Schelde gehört mit seinem Beratungsbüro "Moving Spaces" zu den Fahrradbotschaftern Kopenhagens. Derzeit berät er die Stadtväter einer polnischen Kleinstadt, wie sie ihre Einwohner zum Radfahren bewegen können. Schelde, ein sportlicher Typ, Ende Dreißig, mit Undercut-Frisur, sitzt in seiner Stammkneipe im ehemaligen Kopenhagener Hafengelände und erzählt bei einem Glas Bier, warum er findet, dass man sich auch als Kopenhagener Fahrradbotschafter vor Überheblichkeit hüten sollte:
    "Jeder Meter Fahrradweg musste in Kopenhagen von jemandem erkämpft werden. Das Verständnis für die Bedürfnisse der Radfahrer ist in Kopenhagen vielleicht größer, aber es ist dennoch ein ständiger Kampf, indem du die Verantwortlichen an die Bedeutung einer fahrradfreundlichen Politik erinnern musst."
    Zuckerbrot für Autofahrer
    Kopenhagen will bis zum Jahr 2025 eine emissionsfreie Stadt sein - ein ehrgeiziges Ziel, findet Lasse Schelde. Denn noch setze die Stadtverwaltung auf Einsicht und Konsens aller Verkehrsteilnehmer. Zwangsmaßnahmen wie Fahrverbote für Autos scheue sie, obwohl sie am Ende nicht darum herum kommen könnte:
    "Kopenhagen arbeitet gegenüber den Autofahrern nur mit dem Zuckerbrot, aber nicht mit der Peitsche. Eine Parkerlaubnis für die Innenstadt kostet zum Beispiel nur 900 Kronen im Jahr, das sind umgerechnet 120 Euro. Ein Parkplatz in den städtischen Untergrund-Parketagen kostet die Stadt pro Auto 20.000 Kronen. Die Stadt subventioniert also jeden dieser Parkplätze für Autos mit 19.000 Kronen im Jahr."
    "Nichts Grünes mehr, nur Häuser, Häuser, Häuser"
    Auch Knud Erik Hansen glaubt nicht, dass Kopenhagen es schafft, in nur sechs Jahren emissionsfrei zu werden. Er ist stellvertretender Vorsitzender des dänischen Naturschutzbundes, ein pensionierter Stadtplaner. Während eines Spaziergangs durch den Stadtteil Østerbro beklagt er den Mangel an Grünflächen in der Stadt. Monatelang kämpfte der Naturschutzbund im vergangenen Jahr um ein 20 Hektar großes, brachliegendes Gelände im Stadtteil Amager, das die Stadtverwaltung für den Wohnungsbau freigeben wollte. Am Ende gaben die Politiker dem Protest nach und ließen das Areal vorerst unberührt.
    "In der Stadtplanung spielen die Grünflächen aber immer noch ein zu geringe Rolle. Dabei brauchen wir sie für die Lebensqualität der Stadt genauso wie gegen den Klimawandel. Die riesigen ehemaligen Hafen- und Industriegebiete der Stadt wurden alle zur Bebauung freigegeben. In diesen Wohngebieten gibt es seitdem nichts Grünes mehr. Nur Häuser, Häuser, Häuser."
    Blick auf den Hafen von Kopenhagen
    Blick auf den Hafen von Kopenhagen (picture alliance/ imageBROKER)
    Wem gebührt die Fahrradkrone?
    Dennoch, findet Fahrrad-Lobbyist Lasse Schelde, habe es Kopenhagen zumindest in Sachen grüner Verkehrspolitik weit gebracht. Wo sonst in Europa werden im Winter als erstes die Radwege morgens vom Schnee befreit? Aber, sagt Schelde nach kurzem Nachdenken, die Fahrradkrone gebühre dennoch einer anderen Stadt in Europa:
    "Ich muss zugeben: das ist Amsterdam. Die Niederländer sind einfach supergut. Das dänische Modell besteht aus Autostraße, Radweg und Gehsteig und kann leicht nachgeahmt werden. Doch die Niederländer haben die nächste Stufe erreicht: eine Art Fahrrad-Leitkultur, ein Konsens darüber, dass das die Art sein sollte, wie man sich fortbewegt."