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Kopftuchdebatte im Logiktest
"Sie befragen einen Mann. Da kann nichts Sinnvolles bei rauskommen"

Sollen Grundschülerinnen ein Kopftuchtragen? Das Thema erregt die Gemüter. Wir haben Expertenaussagen, Publikumszuschriften und Moderationen einem Qualitätscheck unterzogen. Der Logik-Lehrer Thomas Thielen zeigt klassische Fehlschlüsse und erklärt, wie man gut begründet.

Thomas Thielen im Gespräch mit Christiane Florin |
Was sagt ein Logiker zur Argumentation in der Kopftuchdebatte?
Logische Argumentationen würden immer darauf achten, sich selbst nicht zu widersprechen, sagte Logiker Thomas Thielen im Dlf (imago stock&people/Panthermedia)
Christiane Florin: Kämpfe um den richtigen Glauben werden mit Leidenschaft geführt. Religion ist auch Emotion.
In der Sendung von heute soll es ganz vernünftig zugehen – und das bei einem Thema, das Gefühlsausbrüche garantiert: das Kopftuch. Vor zwei Wochen haben wir hier in der Sendung mit dem Menschenrechtsexperten Heiner Bielefeldt über ein mögliches Kopftuchverbot für Grundschülerinnen gesprochen, nach dem Vorbild Österreichs. Heiner Bielefeldt argumentierte gegen ein Verbot. Wir wollen Äußerungen des Experten und einige Reaktionen aus dem Publikum einem Logiktest unterziehen.
Weil ich selbst nicht durchweg vernünftig moderiere, habe ich mir Hilfe geholt. Und zwar die von Thomas Thielen. Er ist Gymnasiallehrer und bringt Schülerinnen und Schülern logisches Argumentieren bei. Für die Konrad-Adenauer-Stiftung hat er das Programm "Klare Kante" entwickelt. Es soll zeigen, wie sich Demokratie demokratisch, logisch verteidigen lässt. Mit Thomas Thielen habe ich am vergangenen Freitag gesprochen. Und meine mein erste Frage an ihn war: Was unterscheidet eine logische Argumentation von einer nicht-logischen?
Was unterscheidet eine logische Argumentation von einer nicht logischen?
Löcher hinter der Blümchentapete
Thomas Thielen: Eine logische Argumentation wird immer darauf achten, dass sie selbst nicht widerspricht. Das kann man sich vielleicht am besten so vorstellen, dass rhetorisch gut gestaltete Argumentationen einen wunderschönen Raum uns präsentieren. Wir gucken uns um und da ist überall eine schöne Blümchentapete und als Bauherr geht man durch und denkt: "Wow, sieht das schön aus". Und wenn dann ein Logiker drauf guckt, dann ist es so, als würde ein Bauprüfer mit seinem Finger mal eben ein Loch überall dahin machen, wo hinter der Blümchentapete kein ordentliches Gerüst ist. Genauso geht der Logiker an eine Argumentation ran und guckt: "Hm, baut ihr eigentlich gehaltvoll und schlüssig und stabil aufeinander auf?"
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Der Philosoph Thomas Thielen (Katia Tangian )
Florin: Braucht es ein Mindestalter, eine Mindestreife für Logik?
Thielen: Interessanterweise nicht. Ich bin Vater einer Achtjährigen und die ertappt mich immer dann, wenn ich autoritär werde – wie Eltern manchmal aus Zeitgründen wohl müssen oder auch weil sie irgendwie müde sind –, und da legt sie schon auch genau diesen Finger in meine persönlich Blümchentapete.
Florin: Also, autoritär heißt, wenn Sie einfach sagen: ‚Ist so, war so, bleibt so!‘?
Thielen: Ja. Beispiel, Bettgehzeiten. Manchen Sie mal einer Achtjährigen plausibel, warum acht Uhr eine echt gute Zeit ist und nicht Viertel nach acht.
Florin: Nicht-autoritär wäre, wenn Sie eine Begründung nachschieben, der die Tochter zustimmen kann?
Thielen: Genau. Also, wenn ich sagen kann: ‚Ja, du brauchst deinen Schlaf, denn wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen ...‘. Und die Zeit haben sie aber nicht jeden Abend, denn sonst ist es Viertel nach acht.
Florin: Wie alt sind die Schülerinnen und Schüler, denen Sie klare Kante beibringen wollen?
Thielen: Klare Kante ist ein Programm, das ich entwickelt habe für, na ja, es war eigentlich für 16- bis 20-Jährige gedacht. Inzwischen hat sich das ein bisschen verselbstständigt. Ich war schon in achten Klassen, das sind also 13-, 14-, 15-Jährige. Ich war aber auch schon in Studienseminaren sehr viel unterwegs, also 20- bis 30-Jährige in der Regel. Und Berufsschulen. Also, ich war auch schon in Journalistenforen. Insofern, ich glaube nicht, dass es da eine Altersgrenze gibt. Es gibt nur die Notwendigkeit, sich jeweils didaktisch auf Zielgruppen einzustellen.
"Ich sage nie: Das ist eine böse oder eine gute Sache"
Florin: Wir sind hier in einer Religionssendung, unser Betrachtungsgegenstand steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Logik. Wir reden oft über Sachverhalte, die sich nicht beweisen lassen, also, ob es einen Gott gibt, ob es Götter gibt, wie das Jenseits aussieht, ob es überhaupt ein Jenseits gibt. Das können wir hier im Rahmen dieser Sendung – und ich glaube auch im Rahmen sonstiger Forschungen – nicht beweisen. Was hat Logik im Zusammenhang mit Religion zu suchen?
Thielen: Na ja, erstmal, ich möchte es nicht vertiefen, aber ich glaube, dass Ihnen da Nikolaus von Kues nicht unbedingt zustimmen würde, dass man nicht das Göttliche zumindest auch logisch betreffen kann. Aber nichts desto weniger kann ich gucken, ob aus diesen Glaubensgrundsätzen, die Religionen haben, sich für das politische Miteinander oder das gesellschaftliche Leben schlüssige Positionen ergeben. Da kann man sagen: ‚Okay, wir nehmen jetzt diese Voraussetzungen mal hin und schauen, ob von da aus zu der Lösung, die vorgeschlagen wird für ein gesellschaftliches Phänomen-Problem, schlüssige Lösungen angeboten werden oder eben nicht.
Florin: Wenn Sie in Klassen gehen, wie wird da über Religion gesprochen?
Thielen: Religion kommt vor ganz oft als religiöser Fanatismus oder Fundamentalismus. Das ist jungen Leuten anscheinend ein Bedürfnis, sich davon zu distanzieren, damit umgehen zu lernen, zu schauen, inwiefern diese Positionen überhaupt haltbar sind oder nicht. Denn das ist es, was ich mache. Ich sage nie, das ist eine böse oder eine gute Sache, sondern nur, ist die Position so, wie sie vor uns liegt, sinnvoll begründet oder nicht. Das ist ein ganz wichtiger Unterschied, dass man auch sinnvolle Positionen fürchterlich schlecht begründen kann. Das heißt dann nicht, dass die Position nicht sinnvoll ist.
Kopftuchverbot: Freiheit zu befehlen, ist nicht logisch
Florin: Vor einigen Tagen sagte hier in dieser Sendung Heiner Bielefeldt, er ist Professor am Lehrstuhl für Menschenrechte in Erlangen und katholischer Theologe:
"Ich kann verstehen, dass Kopftuchtragende kleine Mädchen Irritationen auslösen. Das kann ich nicht nur verstehen, ich empfinde selber solche Irritationen und sehe durchaus ein, dass man dann unter Umständen intervenieren soll. Aber Verbotsregelungen, abstrakte, jetzt mit dem Aufwand eines Gesetzgebungsprozesses noch untermauerte Verbotsregelungen, die dann auch ganz spezifisch wieder mal den Islam rauspicken, scheinen mir doch nicht der geeignete Weg zu sein. Also, da sollten wir mehr Phantasie entwickeln, sensibler mit Einzelfällen und besonderen Verhältnissen umzugehen. Also, ich bin entschieden gegen dieses Verbot, um es ganz klar zu sagen."
Ist das eine Begründung, die dem Logiktest standhält?
Thielen: Die Begründung selbst würde ich zur Optimierung empfehlen. Damit ist gar nichts über die Position gesagt. Nochmal, und vielleicht ist auch nicht Logik das Maß dessen, was sich Herr Bielefeldt immer auferlegen muss. Wenn Sie mich aber als Logiker fragen, sind Begründungen, die mit "Ich finde, ..." und "Mir scheint, ..." anfangen, immer etwas verdächtig. Der Logiker würde das eine "Petitio Principii" nennen, das heißt, man setzt sein Befinden als Argument, als Streben nach dem Anfang einer Begründung ein. Vernunftlogisch ließe sich diese Position aber ganz sinnvoll begründen, nämlich indem man darauf abhebt, wie sinnvoll es eigentlich ist, Freiheit befehlen zu wollen, denn darin liegt ja ein Selbstwiderspruch. Also, wenn man sagt: ‚Ich möchte Irritationen vermeiden, ich gehe davon aus, dass hier eine Unterdrückung stattfindet‘, dann kann man ein Gesetz, das Freiheit befiehlt, nicht selbstkonsistent denken. Denn damit nimmt man den freien Willen, auch ein Kopftuch tragen zu dürfen, weg, um Freiheit zu ermöglichen. Das ist nicht logisch.
Florin: Also, ein Verbot ist der Versuch, Freiheit zu befehlen?
Thielen: Ja, genau. So wäre es in diesem Fall wohl vernunftlogisch zu begründen. Ich möchte aber nochmal betonen, das heißt, das ist die rein logische Position. Das heißt, dass politisch man diese Sache ganz anders beurteilen kann.
Manipulationen in der Debatte
Florin: Erwartungsgemäß hat die Absage an ein Kopftuchverbot für Schülerinnen, Grundschülerinnen, Widerspruch erregt bei unserem Publikum. Eine Hörerin schrieb:
"Haben Sie als Kind ein Kopftuch tragen müssen? Wurden Sie gehänselt? Oder umgekehrt, als Kind von Jungs in der Grundschule als Schlampe angegriffen, wenn Sie ohne Kopftuch in der Schule erschienen sind? Zum Glück nicht. Es ist eine unfassbare Apartheit der Geschlechter, wie diese muslimischen Mädchen gegenüber den Jungs erniedrigt werden. Man kann es doch als empathischer Mensch völlig nachvollziehen – falls überhaupt noch eine Empathie für diese Kinder besteht. Leider geht Herr Bielefeldt mit keinem Wort auf diese Kinder ein, sondern er spricht nur davon, dass es für ihn ein verstörender Anblick wäre. Die Gefühle der Mädchen erwähnt er nicht. Sie sind ihm wurst."
Florin: Wie vernünftig ist der Appell an die Empathie?
Thielen: Vernunft begreift der Dialektiker oder Logiker als Selbstwiderspruchsfreiheit. Zunächst mal geht die Hörerin davon aus, dass alle Mädchen ohne Kopftuch von allen Jungs diskriminiert würden, sie macht da eine Pauschalisierung daraus, die schleicht sich so ein. Das müsste man erstmal darlegen. Das ist zum Beispiel eine Beobachtung, die ich nicht teile als Vater eines Grundschulkindes. Jetzt müssten wir also Empirie bemühen, Studien bemühen, inwieweit welcher Standpunkt plausibel ist. Zweitens, ganz wichtig wäre es halt zu gucken, ob dieses Symbolhafte des Kopftuches überhaupt haltbar ist. Was ist mit Mädchen zum Beispiel, sie das Weglassen des Kopftuches als Protestsymbol nutzen wollen. Die kalkulieren vielleicht diesen Widerspruch mit ein: "Ist das jetzt ein gültiges Argument, das ich bringe als Widerspruch?" Auch da müssten wir wieder in Studien reingucken.
Aber wir können es uns halt nicht so einfach machen zu sagen: "Ich glaube, dass das so ist, dann ist es so." Weder ich noch die Hörerin, die das Gegenargument vorbringt. Ganz wichtig, das Argumentum ad Verecundiam, also dass man dem Gegenüber Scham befiehlt, anbefiehlt, sobald der Gegenteilige Standpunkt angenommen wird, das in diesem "Falls überhaupt noch Empathie besteht", das ist natürlich ein manipulatorischer Trick.
Florin: Die Manipulation besteht darin, sich selber Empathie zu attestieren und dem, der eine andere Meinung hat, diese Empathie-Fähigkeit ganz grundsätzlich abzusprechen.
Thielen: Ganz genau. Und dabei könnte man sagen: "Ja, das tut mir leid, aber ich halte andere Argumente für gewichtiger". Das heißt ja nicht, dass man keine Empathie hat, sondern dass man zu einer anderen Hierarchisierung kommt oder vielleicht eine andere Lösung findet.
"Einem Text vorzuwerfen, was nicht vorkommt, ist unfair"
Florin: Studien akzeptieren Sie als Beleg?
Thielen: Na ja, man müsste die einordnen. Wie jede empirische Studie. Hat die Kontexte, hat die Geltungsbereiche, hat die Definitionsbereich – würde der Mathematiker so nennen. Und die müsste man betrachten. Das heißt, nicht jede Studie kann alles belegen, aber natürlich gibt es empirische Daten, die uns helfen können, Entscheidungen zu treffen. Auf eine Sache würde ich gerne noch eingehen, bei dieser Mail, und zwar dieses ganz oft Vorkommende "Wer-schweigt-bejaht-Argument". Das ist natürlich Unsinn. Wer schweigt, schweigt – wer bejaht, bejaht. Das heißt, wenn Herr Bielefeldt zur Empathie und zur Position der Mädchen aus dieser Perspektive nicht gesagt hat, dann kann es einfach sein, dass er denkt, das ist schon oft genug thematisiert worden oder er hat einen anderen Forschungsschwerpunkt oder er hatte einfach in der vorgegebenen Zeit keine Möglichkeit mehr das anzusprechen. Also insofern ist das ein logisch nicht haltbares Argument.
Florin: Logik bezieht sich auf das, was gesagt worden ist und nicht auf das, was nicht gesagt worden ist – kann man so sagen?
Thielen: Ja, das ist ganz gut.
Florin: Denn die Menge der Themen, die nicht behandelt werden oder der Aspekte, die nicht angesprochen werden, ist unendlich.
Thielen: Genau so ist es. Einem Text vorzuwerfen, was nicht in ihm vorkommt, ist deswegen unfair und in der Medienlandschaft auch nicht haltbar. Medienpluralismus heißt ja nicht, dass in jeder Sendung alle Positionen vorkommen müssen, sondern dass insgesamt sich in der Presse ein ausgewogenes Bild ergeben kann.
Florin: Ein Vorwurf, der relativ häufig kommt, ist dieser hier:
"Wieder einmal wird das Tragen des Kopftuches in Ihrer Sendung verharmlost. Für mich ist es Zeichen der sexuellen Unterdrückung der minderjährigen Frau durch muslimische alte Männer. Und wen befragen Sie zu dem Thema? Einen Mann, und dann noch einen katholischen. Da kann ja nichts Sinnvolles bei rauskommen."
"Sie bzw. wir verharmlosen den Islam" – ich würde sagen, wir bemühen uns um Differenzierung. Was sagt der Logiker?
Thielen: Der Logiker sagt, dass da eine ganze Menge stiller Voraussetzungen drin sind. "Schon wieder" bedeutet, es müsste schon mal vorher passiert sein. Da müsste man also prüfen, wann/wo ist eine Verharmlosung unternommen worden. Zweitens, das Wort "Verharmlosung" bedeutet, das Tragen von Kopftüchern sei gefährlich. Nur dann kann man es Verharmlosen, wenn eine Gefahr faktisch besteht. Das müsste man erstmal prüfen. Und ich bleibe jetzt mal ganz Advocatus Diaboli: Das Tragen von Stoff auf Köpfen hat sich empirisch gesehen als nicht sonderlich gefährlich erwiesen. Das heißt, wir müssten hier hinter die symbolische Ebene gucken, und da eröffnet sich dann dem Logiker ein weites Feld.
Florin: Nun würde ich aus der Beschäftigung mit verschiedenen Religionen heraus sagen, an diesem Vorwurf, "das ist ein Zeichen der sexuellen Unterdrückung", ist etwas dran. Es gibt in vielen Religionen Verhüllungsgebote und dahinter steht ein bestimmtes Geschlechterbild. Nämlich einerseits der Mann, der sich sexuell angeblich nicht sonderlich unter Kontrolle hat und andererseits die Frau, die dafür verantwortlich ist, dass der Mann diese Kontrolle bewahren kann, dass er die Kontrolle nicht verliert und die Frau deshalb ihre Reize verhüllt.
Thielen: Ihr Standpunkt ist ein politisch sicherlich begründbarer und empirisch auch begründbar. Der Logiker würde jetzt sagen, das Problem ist dann noch nicht das Stück Stoff auf dem Kopf, sondern der Tatbestand der Nötigung, dass man also Frauen unterdrückt und Frauenrechte beschneidet und Kinder nicht im Sinne des Kindesschutzgesetzes und so weiter behandelt, dann müssten wir doch eigentlich dagegen kämpfen und nicht gegen das Stück Stoff auf dem Kopf. Der Politiker wird das vielleicht anders sehen.
Das Argument betrachten, nicht den, der es vorträgt
Florin: Religion, auch Religionsjournalismus fordert anscheinend das persönliche Bekenntnis heraus. Wir bekommen viele Zuschriften von der Sorte, ich schreibe Ihnen als Christin, als Muslim, als Buddhist oder was auch immer, und auch Atheisten bekennen sich, wie diese Hörer-Mail zeigt.
"Sehr geehrte Damen und Herren, die unwidersprochene Meinung dieses katholischen Herrn ist für mich als Konfessionslosen eine Zumutung."
Florin: Ja, ich als Konfessionsloser.
Thielen: In der Logik nennen wir das einen genetischen Fehlschluss. Das heißt, wenn jemand als Konfessionsloser gegen einen katholischen Herrn spricht, dann setzt es ja voraus, dass die Person des Sprechers das Argument besser oder schlechter machen würde. Die Trennung von Person und Argument ist aber die Grundlage dafür, dass man sich sachlich mit Dingen auseinandersetzt. Das erleben wir übrigens gerade bei diesem YouTube-Video von Rezo auch in unglaublicher Weise, dass Leute sagen, von Personen mit blauen Haaren kann ich leider gar nichts ernst nehmen. Das sagt vor allen Dingen etwas über den Sprecher aus, dass derjenige halt leider politisch nicht reif genug ist, über die Person hinwegzusehen und sich mit Inhalten zu beschäftigen. Genauso ist es hier auch. Nur weil jemand katholisch ist, kann er trotzdem etwas Sinnvolles oder Sinnloses sagen und umgekehrt.
Florin: Diesen genetischen Fehlschluss gibt es sehr häufig, auch oft bei uns ja in der Auswahl von Gesprächspartnern oder Gesprächspartnerinnen, zum Beispiel zu einem sogenannten Frauen-Thema, darunter wird das Kopftuch oft rubriziert, eine Frau zu fragen, weil man ihr einfach mehr Autorität oder auch mehr Betroffenheit zuschreibt. Ist das per se falsch?
Thielen: Es ist dann falsch, wenn es als Argument gegen oder für einen Sprecher eingesetzt wird. Ich möchte es gerne umdrehen. Eine Frauenperspektive zu einem Thema wie Feminismus ist natürlich eine gültige Perspektive, wie ich gerade gesagt habe, die Person des Sprechers hängt da erst einmal nicht mit dem Argument zusammen. Aber wenn Begriffe wie Mansplaining oder alte weiße Männer als Argument gegen Sprecher eingesetzt werden, dann haben wir wieder diesen genetischen Fehlschluss hier als Argument um ad hominem, dass also die Person des Sprechers angeführt wird, um ein Argument zu widerlegen.
Das ist logisch problematisch, denn nehmen wir einmal an, ich als Mann wäre jetzt in irgendeiner Sache kompetenter als Sie als Frau und würde Ihnen die erklären. Dann wäre es doch völlig legitim, wenn ich das täte und wäre nicht von Mansplaining betroffen. Was dieser Begriff meint, ist ja etwas völlig anderes, nämlich, dass Männer von Grund auf voraussetzen, dass sie in der Lage sind, Frauen Dinge zu erklären.
Florin: Warum ist dieser genetische Fehlschluss so mächtig?
Thielen: Er ist so mächtig, weil, wie Sie eben schon angedeutet haben, bei all diesen rhetorischen Strategien ein Körnchen Wahrheit dabei ist. Eine Perspektive einer Frau zu einem feministischen Thema ist deswegen so gehaltvoll, weil sie als Betroffene natürlich eine wichtige und gültige Perspektive eröffnen kann. Das heißt aber im Umkehrschluss eben nicht, dass Perspektiven, die Männer äußern, weniger wert sind. Sie haben nur eben eine andere Schwerpunktsetzung und eine andere Perspektive, und diese Ambiguitätstoleranz ist anscheinend im Moment nicht so einfach.
Florin: Kommen wir auf den zweiten Teil der Mail des konfessionslosen Hörers.
"Ob Kopftuch, Kreuz oder welches Symbol auch immer, Kinder haben bekanntlich ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Dazu zählt auch, frei von religiösen Nötigungen und Zwängen aufzuwachsen. Es ist schon ein dreister Standpunkt, aus der Religionsfreiheit ein Anrecht der Eltern herzuleiten, die eigenen Kinder mit Gottes Fantasien zu quälen."
Florin: Was ist daran angreifbar?
Thielen: Logisch betrachtet schießt sich der Sprecher hier ein bisschen selbst ins Knie. Denn erst einmal ist seine stille Voraussetzung, dass eine weltanschaulich geprägte Erziehung Gewalt sei. Hier am Beispiel, wir müssen das ja immer universalistisch denken, hier am Beispiel von einer religiösen Erziehung. Wenn aber eine weltanschaulich geprägte Erziehung Gewalt bedeutet, dann auch eine solche, die eben antireligiös, atheistisch geprägt ist, denn auch da haben wir eine Gottesfantasie, halt eine Nicht-Gott-Fantasie. Dementsprechend findet der Sprecher sein eigenes Handeln hier gerade blöd und das ist halt logisch reflexiv sehr, sehr ungünstig. Das Zweite ist, dass er sich hier, auch ein klassisches Argumentationsmuster gerade in der Politik, genau das Gesetz rauspickt, das in sein Argument passt. Was er vergisst, ist das gesamte Erziehungsrecht, dass hier die Eltern für ihre nichtmündigen Kinder entscheiden können. Das nennt man ein Texas Sharpshooter-Fehlschuss nach dem Motto, ich schieße erst einmal und dann male ich die Zielscheibe darum, was mein Trefferbild nun mal ergeben hat.
Hass auf den belehrenden Logiker
Florin: Jetzt haben wir uns über Hörerinnen, Hörer so etwas erhoben, oder? Empfinden Sie das nicht so, dass man belehrend auftritt, wenn man Argumente auf ihren logischen Gehalt hin überprüft?
Thielen: Ja, das mag sein, dass es oft so empfunden wird. Der Gegenwind, den man erfährt, der ist schon ein Argument dafür, ein empirisches Argument, dass Sie da nicht ganz Unrecht haben. Der größte Dialektiker aller Zeiten, Sokrates, hat ja diesen Schierlingsbecher verabreicht bekommen, insofern empfehle ich den Schülern immer, Getränkespenden auszuweichen.
Florin: Also Logik ist lebensgefährlich?
Thielen: Die Geschichte zeigt es. Nein, sehen Sie, jetzt habe ich auch den Texas Sharpshooter angewandt. Ja, aber zwei Dinge würde ich gerne dazu sagen. Erstens, ist es nicht toll, wenn man seine eigene Argumentation verbessert. Pico della Mirandola hat das mal wunderschön formuliert, in seiner Vorrede zur Rede über die Menschenwürde, dass man in wissenschaftlichen Kämpfen, die etwas Besonderes darstellen, als Unterlegener oder als jemand, der eine Schwäche aufgezeigt bekommt, nicht schwächer, sondern stärker daraus hervorgeht, weil man dann für künftige Gefechte, so sagt Pico, besser gerüstet nach Hause geht. Warum ist es so schlecht, etwas zu lernen, wenn wir das mal von der Belehrungs- in die Lernperspektive umdrehen.
Florin: Was passiert, wenn Sie in Klassen jemandem Selbstwidersprüchlichkeit nachweisen? Sagt der oder diejenige dann, ich ziehe meine Begründungen zurück oder ich entwickele erst einmal welche, ich denke noch einmal nach?
Thielen: Das kommt tatsächlich vor, aber in der Regel würde ich mit Schülern, also mit Schutzbefohlenen in einer generell asymmetrischen Situation nicht so umgehen. Ich würde also nicht mich da hinstellen und sagen, haha, ich bin der Experte und du hast gerade so und so argumentiert und das ist falsch, guck hier unter 2b. In solchen Fällen würde ich, und daraus kann man vielleicht für den diskursiven Alltag auch einen Schluss ziehen, eher das Gespräch verlagern. Ganz konkret würde ich ein Argument, das hitzig wird, wo ein Schüler auf seinem Standpunkt beharrt, durch eine Anekdote, ob die nun stimmt oder nicht, weg von der Person verlagern und hin zum Argument, damit halt diese Trennung von Person und Argument, von der ich eben sprach, leichter machbar wird. Manchmal beuge ich mich selber dann runter in dessen Boot und erzähle, wie ich an einer anderen Stelle ganz ähnlich argumentiert habe. Dann wird es tatsächlich oft sichtbar für denjenigen, der gerade noch aus Betroffenheit heraus für Logik nicht empfänglich war, wo der Fehler liegt und dann können wir auch beide drüber lachen, in der Regel.
Politik braucht Rhetorik
Florin: Sie haben es eingangs gesagt, am Beispiel dieser Blümchentapete, nämlich, dass Rhetoriker zumindest auf dem ersten Blick den Logikern überlegen sind. Gerade auch in der politischen Auseinandersetzung spielt Rhetorik eine große Rolle, wirkt oft überzeugend oder überwältigend. Was vermissen Sie in der Kopftuch-Debatte?
Thielen: In der Kopftuch-Debatte vermisse ich tatsächlich die Differenziertheit, sehen Sie, jetzt ist es mir auch passiert, jetzt bin ich gerade dabei zu pauschalisieren.
Florin: Ich habe ja auch pauschal gefragt.
Thielen: Ja und sehen Sie, ich bin auf Ihren Frame, den Sie wahrscheinlich gar nicht so gemeint haben, dann reingefallen, ich bin darauf eingestiegen. Da sehen Sie, wie schwer das ist. In der Kopftuch-Debatte gibt es viele Äußerungen, sehen Sie, viele Äußerungen, die Differenziertheit, wie ich sie eben vorgeschlagen habe, nicht mit reinbringen. Ich kann das politisch verstehen. Einem Politiker vorzuwerfen, dass er durch Vereinfachung und durch Polemisierung versucht, Mehrheiten zu schaffen, ist nicht sehr sinnvoll, denn das ist sein Job. Ich würde mich da auf die Seite von Jacques Rancière stellen, der in Der unwissende Lehrmeister, glaube ich, ist es, eine Vermittlung von Logik und Rhetorik vorschlägt. Er sagt, ein Politiker oder ein Mensch hat auch immer die Rolle im Miteinander als Bürger, und als Bürger kann er nicht nur vernünftig agieren. Er muss Mehrheiten herstellen, er muss sich demokratisch durchsetzen und dazu braucht es unvernünftige Entscheidungen wie diese Rhetoriken. Aber er muss als Bürger sich immer wieder darauf besinnen, dass er auch Mensch ist und als Mensch hat er die Verpflichtung, vernünftig zu agieren, weil er halt qua Menschenwürde, das würde jetzt ein bisschen führen, gar nicht anders kann als zu denken. Das heißt, der Bürger muss sich beim Menschen immer wieder vergewissern, ob sein Standpunkt ein gültiger ist.
Florin: Da fühlt man sich doch getroffen vom Texas Sharpshooter. Der Lehrer und Logiktrainer Thomas Thielen hat Positionen zum Kopftuchverbot für Grundschülerinnen genauer untersucht und einige Widersprüche aufgedeckt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das Logik-Training basiert auf der Arbeit des Philosophen Daniel-Pascal Zorn. Sein Buch "Logik für Demokraten. Eine Anleitung" ist gerade in 4. Auflage im Verlag Klett Cotta erschienen.