Stephanie Gebert: In Österreich laufen die Planungen, Nordrhein-Westfalen scheint auch nicht abgeneigt, ein Kopftuchverbot für Mädchen, die noch nicht in der Pubertät sind. Der nordrhein-westfälische Integrationsminister und FDP-Politiker Joachim Stamp lässt gerade prüfen, ob er in seinem Bundesland Kindern das Tragen von Kopftüchern an Kindergärten und Grundschulen verbieten soll. Sein Argument: Die Zahl der Mädchen, die schon in der Kita oder Grundschule mit bedeckten Haaren kämen, steige stetig, außerdem würden die Kinder immer jünger. Konkrete Zahlen, das musste er diese Woche eingestehen, hat die Landesregierung allerdings nicht. Thomas Böhm ist Dozent für Schulrecht am Institut für Lehrerfortbildung in Essen. Bei ihm lernen Lehrer genauso wie Schulleiter, was sie rechtlich dürfen und was nicht. Schönen guten Tag!
Thomas Böhm: Ja, schönen guten Tag!
Gebert: Stimmt denn aus Ihrer Sicht die Analyse, dass es immer mehr Mädchen gibt an den Schulen, die mit Kopftuch kommen?
Böhm: Ja, das ist sicherlich richtig. Also, auch wenn ich selbst keine Zahlen habe, dann ist es so, dass die Lehrer und Schulleiter auch berichten, dass die Anzahl dieser Mädchen, die jünger als 14 Jahre sind und Kopftuch tragen, zunimmt. Ob es Probleme gibt, hängt sehr stark von der Reaktion auch der Mitschüler ab und der anderen Elternschaft, von der Zusammensetzung der Elternschaft und es wird schon als, sagen wir: merkwürdig wahrgenommen.
Eingriff in Grundrechte
Gebert: Was halten Sie denn aus juristischer Sicht davon, ein Kopftuchverbot etwa in Nordrhein-Westfalen auszusprechen? Ist das überhaupt möglich?
Böhm: Das Problem liegt darin, dass man das nicht genau weiß. Also man muss ja zum einen überlegen, ob es verfassungsrechtlich zulässig ist, denn das ist ja ein Eingriff sowohl in das Elternrecht als auch in die Religionsfreiheit. Man kann, und das versucht man ja auch, diesen Eingriff rechtfertigen, indem man darauf hinweist, dass die Kinder gewissermaßen benutzt werden, um religiöse Botschaften ständig zu senden, dass auch damit unterstellt wird, dass man diese Kinder schon schützen muss in sexueller Hinsicht. Also man kann versuchen zu begründen, warum gesetzlich hier in das Elternrecht und die Religionsfreiheit eingegriffen werden darf. Ob das Bundesverfassungsgericht das dann auch akzeptieren würde als Begründung, das weiß man nicht. Das ist wirklich offen, und man muss sich überlegen, wenn man ein solches Verbot gesetzlich ausspricht, dass es sicherlich Eltern und Schüler geben wird, die sich nicht an dieses Verbot halten werden.
Gebert: Und was heißt das dann für die Praxis, also für die Schulen, wo das passiert?
Böhm: Dann würde sich die Frage stellen, was können die Schulen denn tun. Die Schulen können ja im Grunde dann nur mit einem Unterrichtsausschluss oder ähnlichen Aktionen tätig werden, und da stoßen Sie ganz schnell an Grenzen. Innerschulisch hätte man sehr schnell das Problem, dass die zur Verfügung stehenden Maßnahmen am Prinzip der Verhältnismäßigkeit scheitern könnten. Also nehmen wir die Entlassung von der Schule: Das wäre ja erkennbar eine unsinnige Maßnahme, weil das Kind ja an der neuen Schule, die es dann besuchen würde, dieses Kopftuch auch tragen würde. Die Entlassung von allen Schulen des Landes wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht angemessen, würde ja auch nicht von der einzelnen Schule ausgesprochen, sondern von der Schulaufsicht. Also hier gäbe es schulisch sicherlich Probleme, ein solches Verbot durchzusetzen.
Gebert: Das heißt, die Prüfung des völligen Verbotes geht eigentlich an der Praxis vorbei.
Was Schulen tun können
Böhm: Das ist im Grunde eine Situation, die wir ja auch in anderen Bereichen haben. Es gibt irgendwie ein gesellschaftliches Problem, und dann kommt die Politik auf die Idee, das könnten ja mal die Schulen lösen. Und das gilt ja für ganz viele Bereiche. Da geht es ja teilweise auch um ganz banale Dinge: Die Kinder sind zu dick, dann sollen die Schulen mal dafür sorgen, dass sie sich vernünftig ernähren. Und mit solchen Aufträgen werden Schulen einfach überlastet und überfrachtet, und die schlichte Frage, was können wir tun, wie sollen wir das machen, die lässt sich pädagogisch ja nur beantworten, indem man sagt, man spricht miteinander, man versucht vielleicht eine Einigung. Nur worin kann die bestehen? Jeden zweiten Tag ein Kopftuch tragen? Das muss die Politik beantworten. Man kann da nicht ein Verbot in die Welt setzen und anschließend sagen, ja, seht zu, wie ihr damit klarkommt.
Gebert: In Nordrhein-Westfalen prüft die Landesregierung, ob sie Mädchen unter 14 das Kopftuchtragen in der Schule verbieten soll. Einschätzungen vom Juristen Thomas Böhm. Danke schön!
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