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Korallen zum Wachsen anregen

In der Tauchschule des Australiers Chris Brown bekommen die neuen Gäste ihre letzten Instruktionen, bevor sie zu ihrem ersten Tauchgang vor der Küste Pemuterans im Nordwesten Balis aufbrechen. Dass man sich vorsichtig in dem Revier bewegen soll, braucht nicht noch einmal extra gesagt zu werden, schließlich ist bekannt, dass sich die "Reef Gardeners", die Gärtner des Riffs, wie sich die Taucher um Chris Brown nennen, ganz besonders für die Korallen einsetzen.

Von Jan Tengeler |
    "Vor ein paar Jahren wurde hier noch mit Dynamit gefischt – mit katastrophalen Auswirkungen. Die Region war schnell überfischt und das ganze Ökosystem war zerstört. Die Riffe sahen aus wie eine Mondlandschaft. Also überlegten wir, wie man sie anregen konnte, sich schnell zu erholen. "

    Brown stellte unter anderem fest, dass abgebrochene Korallen wieder anwachsen, wenn man sie mit etwas Geschick an ihren Platz zurückstellt. Entscheidende Hilfe kam aber erst Ende der 90er Jahre, als der Architekt Wolf Hilbertz gemeinsam mit dem Meeresbiologen Tom Goreau ein neues Verfahren ausprobieren wollte, bei dem das Korallenwachstum mit Schwachstrom angeregt wird. Chris Brown:

    "Wir haben Metallgitter, die wie grob geflochtene Körbe aussehen, auf dem Meeresgrund, nur ein paar Meter vor der Küste, befestigt und das Ganze vom Strand aus mit einem Schwachstromkabel verbunden. Auf die Gitter haben wir Korallen gebunden, die dort schon in sehr kurzer Zeit angewachsen sind. Das Wachstum wird durch den Strom angeregt. Nach 1-2 Wochen sieht man schon erste Ergebnisse."

    Bereits in den 70er Jahren entdeckte Wolf Hilbertz auf der Suche nach alternativen Baustoffen, dass schwacher Gleichstrom bei Drahtgeflechten im Meerwasser zu weißen Ablagerungen führt. Das dabei entstandene Material, eine Mischung aus Aragonit und Bruzit, das in seinem Härtegrad je nach Stromstärke variiert, nennt er Biorock. Dass sich diese Form von Kalk hervorragend mit Korallen verbindet, erforschte Hilbertz dann gemeinsam mit dem jamaikanischen Meeresbiologen Tom Goreau. Die Untersuchungen vor der Küste Nordbalis haben ausserdem ergeben, dass diese Art der "Elektrifizierung" des Meeres keine unerwünschten Nebenwirkungen hat, sondern das gesamte Ökosystem zu schnellerem Wachstum anregt. Chris Brown:

    "Innerhalb eines Jahres hat sich das Gebiet zu einem lebhaften System entwickelt. Es gibt auch jede Menge Fische, die um die Metallgitter schwirren. Weder für Tiere, noch für Menschen geht also von dem schwachen Strom eine Gefahr aus. Dabei ist die Konstruktion denkbar einfach. Wie haben hier am Strand ein Gerät, das den normalen Strom auf 3-9 Ampere Gleichstromstärke runterwandelt. Ein langes Kabel führt dann von hier raus ins Meer zu den Metallgittern. "

    Fünf bis zehn mal schneller wachsen Korallen unter Strom. Das Projekt auf Bali ist so erfolgreich, dass es den Betreibern nicht nur den höchsten indonesischen Umweltpreis beschert, sondern mittlerweile auch Nachahmer auf der ganzen Welt gefunden hat. Die unter Strom gesetzten Metallgitter dienen als Ökoprothesen und Zuchtanlagen für gefährdete Riffe. Sie können als Übungsflächen für ungeübte Taucher eingesetzt werden und haben sogar schon das Interesse der Pharmaindustrie geweckt: Korallen produzieren nämlich Substanzen, die ähnlich aufgebaut sind wie Antibiotika.