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Koranverteilung und missionarischer Eifer

Um Gegenöffentlichkeit zu kritischen Medien zu schaffen und zu agitieren, haben salafistische Akteure über ihre Koranverteilung zahlreiche Videos ins Netz gestellt. Doch die Selbstbestätigung der Glaubensbrüder beruht auch oftmals auf der Herabsetzung Andersdenkender.

Von Dorothea Jung |
    Unterlegt von islamischen Djihad-Gesängen präsentieren die salafistischen Akteure auf ihren Webseiten zahlreiche Videos, die sie beim Verteilen des Korans in unterschiedlichen Städten Deutschlands zeigen. Ihr Zweck: die Schaffung einer Gegenöffentlichkeit zu demokratischen Medien. Ihr Ziel: die Agitation eigener Gefolgsleute und möglicher Sympathisanten.

    "Wir haben in der ersten Woche in Münster haben wir 300 davon verteilt. So eine Zustimmung unter den Menschen, ja, war mir bisher fremd. Ich würde mir wünschen, dass wirklich in jeder Stadt in Deutschland, dass die Brüder da auch in dieses Projekt einsteigen und da mitmachen und dieses Projekt mit dem, was sie können, auch unterstützen."

    Der deutsche Konvertit Marcel Krass aus Münster versucht, seine Glaubensbrüder durch Eigenlob zu begeistern. Die Selbstbestätigung von Abu Ibrahim alias Hasen Keskin aus Solingen beruht auf der Herabsetzung Andersdenkender. Einer muslimischen Journalistin zum Beispiel, verweigert der schmale blasse Bartträger am Infostand in Hagen das Gespräch. Die Journalistin hält Koran und Demokratie für vereinbar, obwohl sie zugibt, das Buch nicht vollständig gelesen zu haben. Für Abu Ibrahim ist sie deswegen eine Lügnerin.

    "Wie ihr seht, haben wir wieder diese Lügen von den Leuten aufgedeckt. Und - Hamdilullah - möge Allah sie rechtleiten" - Einwurf: "Oder vernichten!" – "Und mit Lügnern können wir nicht reden. Sollen sie den Islam annehmen. Sonst werden sie verloren sein."

    Abu Ibrahim ist ein fleißiger Missionar des salafistischen Netzwerkes Millatu Ibrahim aus Solingen, bei dem sich viele der aktiven Koran-Verteiler engagieren. Am Infostand in Wuppertal und Iserlohn lässt er sich von zwei jungen deutschen Konvertiten begleiten: von Christian Emde und Robert Baum. Die beiden sind gerade aus einem Gefängnis in England entlassen worden. Dort wurden sie im letzten Sommer vor Gericht gestellt und verurteilt. Die britischen Sicherheitsbehörden hatten Hinweise aus Deutschland bekommen, dass sie djihadistisches Material mit sich führten. Darunter auch eine Anleitung zum Bomben-Bauen. Im Gegensatz zu deutschem Recht ist in Großbritannien bereits der Besitz derartiger Anleitungen strafbar. An seiner Überzeugung hat die Haftzeit nichts geändert. Am Infostand erzählt Robert Baum von einem Passanten, der lieber seinen christlichen Glaubensbrüdern als den Salafisten folgen will. Er ist überzeugt: diese Christen verhindern, dass der Passant ins Paradies kommt.

    "Diese Betrüger, die werden ihn in die Hölle reinziehen, weil er selbst nicht aufrichtig ist und sich nicht mit der Wahrheit beschäftigen möchte."

    Die salafistische Argumentationsstruktur lautet: Die Wahrheit ist bei uns - wer sie nicht annimmt, ist auf eine Lüge hereingefallen oder selbst ein Lügner. Auch die rechtskräftige Verurteilung von Robert Baum und Christian Emde wird als Lüge bezeichnet. Überhaupt scheint eine Haftstrafe hier als eine Art Ritterschlag zu gelten. So war der Chef des Netzwerkes Millatu Ibrahim, der Österreicher Mohammad Mahmoud alias Abu Usama al-Gharib bereits vier Jahre lang im Gefängnis. Unter anderem wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung. Der Sohn ägyptischer Einwanderer lässt im Internet keine Gelegenheit aus, um für das Koran-Projekt zu werben. Dabei nutzt er gleichzeitig die Gelegenheit, auf ein islamistisches Gefangenen-Hilfsprojekt aufmerksam zu machen. Im Moment trommelt er für die Unterstützung von Feliz Gelowicz. Sie ist mit einem Mitglied der sogenannten Sauerlandgruppe verheiratet und sitzt im Gefängnis von Schwäbisch Gmünd.

    "Zweck von dieser Seite sind erstens einmal den Kuffar zu zeigen, dass wir hinter unserer Schwester stehen und somit auch Druck zu erzeugen. Zweitens um aufzuklären über unsere Schwester und den Fall der Schwester an so viele Menschen zu bringen wie es nur geht."

    Abu Usama al Gharib ist ein Beispiel dafür, wie stark das Koranverteilungsprojekt ein Vehikel der innersalafistischen Propagandamaschinerie ist. Gern zeigt sich der österreichische Prediger an der Seite von Denis Cuspert. Der als Deso-Dogg bekannt gewordene Rap-Musiker hat sich aus dem Musikgeschäft verabschiedet und dem Salafismus zugewandt. Seitdem postet er -zunächst unter dem Namen Abu Maleeq, jetzt als Abu Talha al Almani - im Internet regelmäßig Nascheeds, islamische Kampflieder. In diesen Liedern sind die Muslime stets Opfer, die sich verteidigen müssen:

    "Unsere Geschwister sterben jeden Tag. Sind unsere Herzen wirklich schon so hart?"

    Denis Cuspert war am vergangenen Wochenende in Berlin als Zuschauer bei der Koran-Verteil-Aktion auf dem Potsdamer Platz. Am Tag nach der Aktion postet er auf seiner Facebook-Seite das Foto von herausgerissenen Koran-Seiten. Er schreibt dazu:

    "So Allah will ... , rufe ich die Umma ... weltweit auf, aufzustehen und dagegen zu protestieren."

    Doch es gibt Zweifel, ob überhaupt ein Zerreißen eines Korans tatsächlich so stattgefunden hat. Denn auch nach eindringlicher Recherche findet sich niemand, der den Vorgang bezeugen kann. Einer der Projekt-Aktivisten, der Berliner Djihadist Reda Seyam, den Sicherheitsbehörden mit dem Attentat in Bali in Verbindung bringen, hatte noch am Wochenende auf dem Potsdamer Platz eine mögliche Schändung von Koranen maßvoll beurteilt.

    "Der Koran, wenn das gebrannt ist: ist nur Papier. Den Koran haben wir in unserem Herzen und in unserem Kopf."

    Eine Nachfrage zum angeblich zerrissenen Koran in Reda Seyams As Sahaba-Moschee im Berliner Stadtteil Wedding endet gestern mit einer knappen Erklärung des Moscheevorstandes: Die Moschee sei der Wahrheit verpflichtet. Mit Lügnern der Presse rede man nicht. Inzwischen haben die Spekulationen über den zerrissenen Koran die Politik erreicht. Der hessische Innenminister Boris Rhein sagte, für einen derartigen Zwischenfall gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Unter den radikalen Salafisten seien aber offenbar Kreise, die nur auf so eine Handlung warteten, um eine Aktion gegen Koranschändungen zu starten.