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Kornblum spricht in Syrien-Frage von "Zeitenwende"

Politische Führer müssten lernen, dass Einsätze wie der geplante Schlag gegen Syrien nicht mehr populär seien, meint der US-Diplomat John Kornblum. Sollte der US-Kongress die Zustimmung verweigern, würde Barack Obama sich daran halten. Eine solche "Niederlage" dürfe man aber nicht überschätzen.

Das Gespräch führte Peter Kapern |
    Peter Kapern: Was nun, Herr Präsident? Barack Obama ist um die Entscheidungen, die er in den nächsten Tagen zu treffen hat, nicht zu beneiden. Antwortet er nicht auf den Giftgas-Einsatz im syrischen Bürgerkrieg, hat er sich selbst als Papiertiger entlarvt. Tut er es doch, dann ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats und mit allenfalls lauwarmer Unterstützung seiner Verbündeten. Und kann er den Angriffsbefehl auch dann geben, wenn der Kongress ihm die Rückendeckung dafür verweigert? Heute kehren die US-Abgeordneten aus dem Sommerurlaub nach Washington zurück. Zuhause haben viele von ihnen erfahren müssen, wie erbittert der Widerstand ihrer Wähler gegen einen neuen Waffengang ist.

    Um jetzt 8:16 Uhr ist John Kornblum bei uns am Telefon, der frühere Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland. Guten Morgen, Mr. Kornblum.

    John Kornblum: Guten Morgen!

    Kapern: Mr. Kornblum, schauen wir zunächst mal auf die diplomatisch-politische Ausgangslage am Anfang dieser Woche der Entscheidungen. In Sankt Petersburg, da hat es keine Annäherung an Russland gegeben und allenfalls eine lauwarme Rückendeckung durch die europäischen Partner, die ja erst einmal abwarten wollen, was im Bericht der UN-Inspektoren drinsteht. Haben die letzten Tage es eigentlich für Barack Obama noch schwieriger gemacht, von den Abgeordneten die Zustimmung für einen Militärschlag zu bekommen?

    Kornblum: Ja. Ich glaube, die letzten Tage haben es ihm schwieriger gemacht. Es ist ja nicht nur die Reaktion aus Europa, sondern auch, wie Ihr Korrespondent sehr gut geschildert hat, die Stimmung zuhause. Wir sehen, meine ich, eine sehr interessante, nicht unbedingt gute Entwicklung in der westlichen Welt. Wenn Sie herumschauen: USA, Frankreich, Deutschland, England - jeder der politischen Führer, der meinte, fest auf dem Boden von einem, wollen wir sagen, Traditionsengagement für ein Eingreifen zu stehen, um auch Menschen zu schützen, scheint zu lernen, dass das nicht mehr so populär ist und vielleicht sogar nicht mehr geht. Ich glaube, wir erleben hier eine gewisse Zeitenwende in der Bereitschaft der westlichen Bevölkerung, solche Unternehmungen zu unterstützen.

    Kapern: Wie deuten Sie in diesem Zusammenhang eigentlich das Verhalten der Bundesregierung? Die Kanzlerin wollte in Sankt Petersburg die Resolution der europäischen Staaten zur Unterstützung der USA nicht unterzeichnen, einen Tag später hat sie es dann doch getan. Wie kommt das an bei Ihnen?

    Kornblum: Ja, nicht besonders positiv, würde ich sagen. Aber wie eben erwähnt: Ich glaube, das ist eher charakteristisch von den Reaktionen und der Lage in allen westlichen Staaten. Sie ist mitten im Wahlkampf und im Wahlkampf gibt es vielleicht andere Regeln. Aber wenn man liest, wie Hollande zum Beispiel jetzt sehr stark kritisiert wird in Frankreich, ein Land, das an sich traditionell gern seine Truppen für solche Interventionen schickt, oder die Abstimmung in England, die richtig eine totale Katastrophe für Cameron war, dann sehen wir, dass ein westlicher politischer Chef im Moment wirklich zweimal überlegen muss, bevor er meint, dass ein militärisches Engagement zu empfehlen ist.

    Kapern: Bleiben wir noch kurz bei Deutschland. Die "New York Times" schreibt, Deutschland sei das Gespenst in den internationalen Beziehungen. Hat die Zeitung recht?

    Kornblum: Nein, da würde ich nicht so weit gehen. Deutschland macht es sich sehr schwer mit dieser Art von politisch-militärischen Interventionen. Das ist nicht seit gestern, das war auch in dem Golf-Krieg 1990, als Helmut Kohl ganz klar gesagt hat, dass Deutschland nicht teilnehmen könnte. Ich glaube, was das hier beweist, ist, dass nach dieser Wahl es eine ziemlich umgehende neue Überlegung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik geben muss. Es ist nicht mehr genug zu sagen, wir handeln auf der Basis von Europa, es ist nicht mehr genug, ständig zu sagen, wir wollen eine politische Lösung. Man muss schon ein bisschen mehr sehen, dass die Alliierten auch Unterstützung brauchen und dass man von einem jetzt so starken Land auch eine aktive Rolle erwartet.

    Kapern: Blicken wir auf die Situation in den USA. Wir haben ja gerade im Beitrag von Marcus Pindur gehört, mit welchem Gegenwind die US-Abgeordneten Senatoren dort in den letzten Tagen konfrontiert waren. Hat Barack Obama unterschätzt, wie sehr die US-Bürger gegen einen Militärschlag sind?

    Kornblum: Wahrscheinlich. Alle seine Berater, Außenminister, Verteidigungsminister, Fraktionsvorsitzende, waren nicht nur gegen seine Entscheidung, sondern waren sehr überrascht. Die wurden anscheinend nicht konsultiert. Was er da vorhat, ist wahrscheinlich zu beweisen, dass er die Unterstützung für so was bekommen kann, und vielleicht auch hat er, wollen wir sagen, eine längerfristige Strategie, die Verhältnisse im Kongress umzustimmen. Wenn das nicht geht, wenn er jetzt verliert, wird er natürlich mit ziemlich leeren Händen dastehen, und das wird für ihn eine ziemliche Niederlage sein.

    Kapern: Denken Sie, er wird die Abstimmungen im Kongress gewinnen?

    Kornblum: Na ja, niemand weiß es im Moment. Er macht jetzt eine Blitzstrategie. Er gibt heute und morgen sechs Interviews auf verschiedenen Fernsehsendern. Aber zur gleichen Zeit kommt Herr Assad und gibt sein Interview für eine der größten Morgensendungen in CBS. Wir haben so ein bisschen das, wie ich finde, etwas unwürdige Beispiel, dass Obama in der amerikanischen Presse gegen Assad direkt ankommt und kämpft. Und wenn man die Kommentare, die jetzt in den Zeitungen stehen – habe ich heute Morgen gelesen -, und vor allem die Leserkommentare, die ja zunehmend interessant sind, sieht man kaum jemand, der seine Politik unterstützt.

    Kapern: Was wird Obama tun, wenn ihm der Senat und das Repräsentantenhaus nicht folgen?

    Kornblum: Na ja, er wird das Beste daraus machen.

    Kapern: Wird er trotzdem den Angriffsbefehl geben?

    Kornblum: Nein, glaube ich nicht, weil ich glaube, er hätte gesagt, ich werde nur auf der Basis der Zustimmung des Kongresses handeln, und wenn er diese Zustimmung nicht bekommt, dann wird er das nicht tun. Ich würde aber das nicht überschätzen. Das wird für ihn eine Niederlage sein. Aber die Rolle der Vereinigten Staaten auf der Welt ist ziemlich fest – nicht, weil, wie wir jetzt sehen, unsere Strategie besonders intelligent ist, sondern weil die Vereinigten Staaten die Einzigen sind, die diese Rolle spielen können.

    Kapern: Aber dann doch nicht tun!

    Kornblum: Doch in diesem Fall nicht tun. Aber wir haben ja über 600 militärische Stützpunkte auf der Welt. Wir haben ein Militär, das sehr stark ist, und wir haben immer noch eine sehr starke Diplomatie. Da würde ich sagen: Man soll einen misslungenen Teil nicht unbedingt überschätzen. Ronald Reagan zum Beispiel 1982, nachdem 200 Soldaten von einer Bombe getötet worden sind, ist einfach aus dem Libanon gezogen. Das wurde damals auch als Katastrophe gesehen. Aber im Endeffekt hat es die Rolle der Vereinigten Staaten auf der Welt nicht beeinträchtigt. Die Frage ist jetzt: Was machen wir auch mit dem Versprechen, dass in der UNO, ich glaube, 2002 gemacht wurde, das sogenannte "obligation to protect"? Das heißt, die westlichen Staaten mit Unterstützung der UNO haben gesagt, wenn es menschliche Katastrophen gibt bei Regierungen wie Assad oder wie damals in Ruanda, die Tausende, Zehntausende von Menschen töten oder gefährden, dann haben wir eine Verpflichtung, sie zu schützen. Ist das noch gültig? – Ich weiß es nicht.

    Kapern: John Kornblum, der frühere Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland. Mr. Kornblum, danke für das Gespräch, einen schönen Tag!

    Kornblum: Ich bedanke mich.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Obama verkündet Entscheidung über Militäreinsatz in Syrien
    Obama verkündet Entscheidung über Militäreinsatz in Syrien (picture alliance / dpa / Kristoffer Tripplaar)