Ursula Welter: Ich spreche nun mit unserer Korrespondentin Luise Sammann, die uns hier in "Europa heute" häufig und differenziert die Lage in der Türkei schildert. Frau Sammann, wie hat sich Ihr Arbeiten, Ihr Leben in den vergangenen Tagen verändert?!
Luise Sammann: Ja, das wird natürlich im Moment leider wirklich schwerer hier für uns, zu arbeiten, und zwar einfach weil diese aufgeheizte Stimmung hier sich absolut bemerkbar macht inzwischen, auch auf der Straße, wenn man vor allem mit dem Mikrofon unterwegs ist, also offensichtlich sich als Journalist erkennbar macht, dann muss man schon wirklich damit rechnen, ich sage mal, angepöbelt zu werden.
Die Leute sind einfach sehr sensibilisiert jetzt durch diese ganzen Skandale und Diskussionen in den letzten Tagen und hören in den türkischen Medien eben ununterbrochen, wie Leute wie Erdogan oder seine Minister sagen, die westlichen Medien würden die Türkei schlechtmachen, die westlichen Medien wollten die Türken schlecht darstellen, wollten ihnen schaden und so weiter. Und natürlich fällt das letztendlich auf uns zurück.
Wir haben vor allem Probleme als Journalisten hier im Moment, Menschen aus dem Erdogan-Lager zu sprechen, die wollen oft gar nicht mehr mit den westlichen Medien sprechen, was natürlich ein Problem für uns ist, weil wir ja auch deren Meinung darstellen wollen.
Deutsche Journalisten, die lieber sagen, sie seien Schweizer Journalisten
Welter: Und ihre Standpunkte. Welchen Debatten sind Sie denn dann im Detail ausgesetzt? Geht es darum, dass man Sie wahrnimmt nicht nur als Journalistin, sondern eben auch als Journalistin aus Europa, aus dem Westen?
Sammann: Ganz klar, genau. Im Moment ist es sogar so, ich kenne Kollegen, die deutsche Journalisten sind, aber lieber sagen, sie seien Schweizer Journalisten, weil es im Moment natürlich gerade die Deutschen hier trifft, besonders auf die ist der Hass hier im Moment groß. Es sind vor allem Debatten, es sind immer genau die Debatten, die eigentlich Erdogan führt, die nimmt die Bevölkerung in der Türkei sofort auf.
Oft sind es auch genau die Worte Erdogans, die wir uns dann am nächsten Tag anhören müssen. Also, es ist zum Beispiel immer wieder jetzt die Frage, sobald ich in ein Taxi steige: Warum unterstützt ihr in Deutschland den Terrorismus? Ihr seid Terrorunterstützer und wollt uns vorschreiben, was Demokratie ist!
Da geht es einmal um diese Geschichten, dass PKK-Demonstrationen in Deutschland verhältnismäßig frei möglich sind im Gegensatz zu hier, dann aber auch, dass einige der angeblichen Drahtzieher des Putschversuchs vom vergangenen Juli, also Anhänger der Gülen-Bewegung, die hier als Terroristen gesucht werden, inzwischen nach Deutschland ja geflohen sind und dort Asyl beantragt haben, und die türkische Seite fordert, dass die ausgeliefert werden. Und das passiert nicht, und deswegen, sagt Erdogan, unterstützt Deutschland den Terrorismus.
Und das greifen die Menschen hier sofort auf und werfen mir jetzt also auch ganz persönlich vor, ihr unterstützt den Terrorismus, ihr wollt der Türkei schaden, ihr tut alles, um uns schlechtzumachen. Also, es ist insgesamt so, dass ich wirklich sagen muss, dass in diesen Tagen eigentlich alle um mich herum das Gefühl haben, Europa, vor allem Deutschland hat ein Problem mit der Türkei, hat die Türkei aufs Korn genommen und will die Türkei an ihrem Aufstieg hindern, selbst Erdogan-Gegner sprechen so in diesen Tagen hier.
"Die Menschen haben das Gefühl, Europa will ihnen schaden"
Welter: Das bedeutet aus türkischer Sicht und zunehmend auch in der Opposition, dass Europa also pauschal als antitürkisch wahrgenommen wird, und würden Sie also sagen, dass es da kaum noch Raum für Differenzierung gibt, was natürlich auch mit Beeinflussung der Presse zu tun hat?
Sammann: Das würde ich auf jeden Fall so sagen. Es ist inzwischen ganz pauschal so, dass wirklich die Menschen das Gefühl haben, Europa will ihnen schaden, in Europa wächst die Islamophobie, insgesamt der Fremdenhass, dann wird die Wahl in den Niederlanden mit Herrn Wilders angeführt als Beispiel dafür, sodass dieser Eindruck hier ganz fest sitzt, dass die Türken das Gefühl haben, eigentlich die ganze Welt hat sich gegen sie verschworen.
Das ist ja die große Wahlkampfstrategie des Herrn Erdogan, Feindbilder aufzubauen, um dann zu sagen …, also sich als Opfer zu stilisieren und dann den Türken klarzumachen, ihr müsst euch hinter mir vereinen. Ich würde auch sagen, das ist der Grund für diese ganzen Skandale in den letzten Tagen, die ihm ja ganz deutlich geholfen haben, sogar AKP-Verantwortliche haben hier schon in den Medien geradezu frohlockt und gesagt, wir müssen Europa eigentlich danken für diese Skandale, das hat uns mindestens zwei bis drei Prozentpunkte hier schon gebracht.
Welter: Und da die Taktik aufgeht, verfängt auch, was Erdogan sagt, also die harten Äußerungen, die permanenten Nazi-Vergleiche, ob mit Blick auf die Bundesrepublik oder eben auch auf die Niederlande wie in den vergangenen Tagen, historisch richtig oder auch nicht … Dieser Diskurs funktioniert und verfängt also?
Selbst Erdogan-Gegner wollen jetzt das Referendum unterstützen
Sammann: Der funktioniert auf jeden Fall, diese Strategie geht absolut auf. Ein Beispiel, zum Beispiel, ich habe mit Nationalisten in den letzten Tagen gesprochen, das heißt, das sind Anhänger der nationalistischen Oppositionspartei MHP, das sind also nicht unbedingt Erdogan-Unterstützer, eigentlich stehen die Erdogan kritisch gegenüber.
Und ich habe mit denen einmal vor diesen jetzt Skandalen mit Deutschland und den Niederlanden gesprochen und da haben sie mir gesagt, sie würden bei diesem anstehenden Referendum Mitte April auf jeden Fall mit Nein stimmen, sie wollten keinen allmächtigen Erdogan, sie wollten dieses Präsidialsystem nicht unterstützen.
Und jetzt habe ich noch einmal mit ihnen gesprochen, nachdem es zu diesen Konflikten mit Europa gekommen ist, und die gleichen Leute sagen mir: Wir sind eigentlich immer noch gegen Erdogan, aber wir haben uns entschlossen, mit Ja zu stimmen, weil, offensichtlich hat sich Europa gegen uns verschworen und wir müssen jetzt als Türken zusammenhalten und diesem feindlichen, faschistischen Europa, wie es ja hier immer heißt, die Stirn bieten. Und das können wir nur, indem wir uns jetzt hinter Erdogan versammeln, ob wir ihn mögen oder nicht, wir werden Mitte April mit Ja stimmen.
"Wie schnell kann hier jemand gebrandmarkt werden"
Welter: Zum Schluss noch, Frau Sammann: Wie ist das für Sie selbst und persönlich, Ihr Arbeiten, inwieweit fühlen Sie sich eingeschränkt? Sind Sie eingeschränkt, müsse Sie vorsichtiger sein?
Sammann: Ja, ich denke, der Fall Deniz Yücel sitzt uns hier in der Türkei tatsächlich allen in den Knochen, weil die meisten von uns ihn persönlich kannten und sehen, wie schnell hier jemand gebrandmarkt werden kann. Jeder Taxifahrer hier inzwischen kennt den Namen Yücel und ich werde ganz oft darauf angesprochen, warum Deutschland diesen Terroristen, diesen Agenten hierhergeschickt hat und warum sich Frau Merkel jetzt auch noch hinter ihn stellt.
Und wenn man das hört und weiß, man könnte selber in dieser Situation sein und plötzlich hier als Terrorist und Agent gebrandmarkt werden, da läuft es einem natürlich kalt den Rücken hinunter. Ansonsten ist es so, dass die türkische Gastfreundschaft oder die türkische Mentalität zum Glück nach wie vor besteht und dass die Türken eigentlich ein sehr herzliches Volk sind, das spürt man wirklich und das hilft uns sehr. Im persönlichen Umgang sind die meisten Menschen dann doch wieder sehr freundlich zu uns.
Aber brenzlig wird es dann, wenn es zu so Massenversammlungen kommt oder wenn da eben jemand ist, der anstachelt, wenn da vorne jemand steht und wettert gegen die Europäer. Dann hat man, gerade wenn man wie ich sehr, ich sage mal, europäisch aussieht, mit blonden Haaren, dann habe ich schon wirklich auch manchmal ein mulmiges Gefühl einfach, dass da irgendwie ein Funken überspringt. Also, ich glaube, wir sind schon alle vorsichtiger geworden hier, leider.
Welter: Luise Sammann, unsere Kollegin in der Türkei, danke nach Istanbul!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.