Müller: Herr Petritsch, gibt es inzwischen mehr Details?
Petritsch: Ich glaube, da muß man etwas ausholen und versuchen, ein paar Dinge zurechtzurücken. Es ist so, daß das Büro des hohen Repräsentanten, dem ich jetzt seit wenigen Tagen vorstehe, schon seit einiger Zeit sich sehr intensiv mit der Frage der Korruption auseinandersetzt. Es gibt ja seit den Bonner Beschlüssen vom Dezember 1997 eine Einrichtung, die sich mit der Bekämpfung der Korruption auseinandersetzt und beschäftigt. Diese hat auch schon sehr viele Erfolge erzielt. Unter anderem hat mein Vorgänger kantonale Innenminister, aber auch Bürgermeister abgesetzt, weil sie eben in Korruption verwickelt gewesen sind. Insbesondere aber versuchen wir, im Rahmen unserer Assistenz, im Rahmen unserer Hilfe für den Aufbau eines bosnisch-herzegowinischen Staates Hilfe zu leisten und fachliche Unterstützung zu gewähren beim Beschluß entsprechender Gesetze, bei der Schulung von Polizei, von Beamten und so weiter. Da ist schon sehr viel unterwegs, aber natürlich ist es so, daß das für uns dort jedenfalls nicht genug ist und hier immer wieder Probleme auftauchen.
Müller: Eine Milliarde Dollar, das ist eine große Summe. Das entspricht fast einem Fünftel dessen, was an Finanzmitteln in die Region gelaufen ist.
Petritsch: Ich muß sagen, daß diese Rechnung so nicht stimmt. Es sind nicht in erster Linie internationale Hilfsmittel hier veruntreut worden. Es ist schlimm genug, daß lokales Geld veruntreut worden ist. Der Großteil, soweit wir das bisher feststellen konnten, der veruntreuten Gelder ist ja aus Einnahmen dieses Staates geflossen. Andererseits ist es so, daß die Hilfsgelder, die Sie angesprochen haben, international auf hohem Standard kontrolliert werden. Da wird jedes Projekt auch überprüft. Dort gibt es weniger Probleme.
Müller: Das heißt, die fünf Milliarden, die inzwischen gelaufen sind, sind in die richtigen Kanäle geflossen?
Petritsch: Die fünf Milliarden sind, sagen wir einmal vorsichtig, zurückhaltend, zum allergrößten Teil in die richtigen Kanäle gelaufen. Es sind dafür ja auch Projekte errichtet worden. Wenn man sich heute Bosnien anschaut und damit vergleicht, was vor fünf oder vier Jahren gewesen ist, dann muß man sagen, hier ist dieses Geld in der Tat sehr gut angelegt.
Müller: Die Vorwürfe, Herr Petritsch, gehen ja auf einen Bericht der "New York Times" zurück. Waren Sie selbst überrascht das zu lesen?
Petritsch: Nein. Wir waren an sich über den Inhalt nicht überrascht. Es ist ja so, daß es in dem Bericht in der Tat einige Faktenfehler gibt. Aber natürlich stimmt es - und dazu stehe ich auch -, daß Korruption in Bosnien hier ein großes Problem ist. Ich habe das auch vorgestern mit Herrn Izetbegovic angesprochen, und wir sind uns auch darüber einig gewesen, daß es in der Tat - und das ist von beiden Seiten bestätigt worden - ein großes Problem mit der Korruption gibt.
Müller: Seit wann wissen Sie von dieser hohen Zahl?
Petritsch: Ich würde sagen, diese Zahl ist natürlich eine Pauschalzahl, eine Schätzung, in gewisser Weise eine Hochrechnung. Es ist etwas komplizierter und man müßte gerade bei so schwerwiegenden Anschuldigungen natürlich schon etwas präziser sein. Aber noch einmal: Jede Mark, die hier veruntreut wird, die der Korruption zum Opfer fällt, ist ein Verbrechen. Das habe ich bei der gestrigen Pressekonferenz auch ausdrücklich gesagt. Das ist eine ganz ernste Warnung an die Führung hier, aber auch ein Wachrütteln der Bevölkerung, der Medien, daß man sich dem Thema widmet und hier sensibler wird.
Müller: Nach Informationen der "New York Times" soll es auch einen 4000-Seiten-Korruptionsbericht innerhalb der UNO geben. Stimmt das?
Petritsch: Diesen 4000-Seiten-Korruptionsbericht gibt es bei uns im Büro des hohen Präsentanten nicht. Es gibt natürlich hunderte und tausende Seiten von Berichten, aber da liegt eine kleine Verwechslung des "New York Times"-Journalisten vor. Es gibt einen 4000 Seiten umfassenden Bericht der Finanzpolizei eines Kantons in der Herzegowina. Da wurden offensichtlich zwei Dinge miteinander verwechselt. Was mir aber in diesem Zusammenhang wichtig ist: Damit wird ja auch aufgezeigt, daß sich die hiesigen Behörden sehr wohl mit Korruption bereits auseinandersetzen.
Müller: Was wissen Sie über diejenigen, die für die Korruption verantwortlich sind?
Petritsch: Gut, es gibt hier einige Hinweise. Es gibt hier einige Namen. Gerade der vorhin von mir erwähnte ausführliche Bericht der Finanzpolizei Bosniens weist ja darauf hin und nennt auch Namen. Allerdings sind diese ganzen Vorwürfe jetzt einmal nur Vorwürfe, die überprüft werden müssen und die von den zuständigen Gerichten sicherlich auch genau verfolgt werden. Damit das geschieht, damit das auch expeditiv geschieht, dafür werde ich mich verbürgen.
Müller: Werden auch Namen von Regierungsmitgliedern genannt?
Petritsch: Sie müssen verstehen, daß ich in dem Zusammenhang jetzt keine Namen nennen kann, auch keine Vermutungen aussprechen möchte, weil die Sache einfach zu sensibel ist. Mir geht es darum, daß die internationale Gemeinschaft und die damit verbundene Hilfe hier in dem Einsatz, den sie hier leistet - und damit ist auch immer sehr viel Geld und damit sind viele Menschen und ist viel internationale Unterstützung verbunden - zu den Menschen hier kommt und nicht in dunkle Kanäle fällt.
Müller: Sie haben es eben erwähnt, Herr Petritsch. Sie haben mit Herrn Izetbegovic gesprochen. Dennoch war Izetbegovic gestern in seiner Stellungnahme nicht bereit, das Phänomen Korruption einzuräumen, sondern er hat von einer teuflischen Campagne gesprochen. Können Sie das nachvollziehen?
Petritsch: Schauen Sie, das ist natürlich eine erste sehr emotionale Reaktion eines bosnischen Staatsmannes, dessen Sohn auch in diesem Artikel angegriffen worden ist. Ich habe in unserem Gespräch davor gewarnt, das als Campagne zu sehen. Ich habe gesagt, wir sollten gemeinsam die Wurzeln des Übels angehen und bekämpfen und nicht so sehr jetzt darüber spekulieren, was sonst noch dahinter stecken kann.
Müller: Haben Sie Vertrauen in die Regierung?
Petritsch: Im großen und ganzen ja.
Müller: Vielen Dank Wolfgang Petritsch, Bosnien-Beauftragter der Vereinten Nationen