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Korruption in Deutschland
Handfeste Bestechung und harmlose Geschenke

Vom Starfighter-Skandal bis hin zur Flick-Affäre – der Historiker Jens Ivo Engels hat die wichtigsten Korruptionsfälle der BRD analysiert. Seine Bilanz: Korruption wurde früher nicht sehr kritisch diskutiert, später jedoch umso verbissener bekämpft – auch mit Auswirkungen auf den politischen Populismus.

Von Mirko Smiljanic |
Der Konzernchef Friedrich Karl Flick (M) stand am 15.03.1984 als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages in Bonn. Er bestritt mit Nachdruck, dass er oder ein Angehöriger des Flick-Konzerns in die Parteispenden-Affäre verwickelt sei.
Der Konzernchef Friedrich Karl Flick (Mitte) stand im März 1984 als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages in Bonn. Er bestritt in die Parteispenden-Affäre verwickelt zu sein. In der Öffentlichkeit war die Rede von der "gekauften Republik". (picture alliance / Roland Witschel)
"BRD = Bananenrepublik Deutschland". Mit diesem Zitat des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" aus dem Jahre 1981 startet Jens Ivo Engels seine Analyse über die Korruption in Deutschland. Engels ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der TU Darmstadt, das Thema Korruption treibt ihn seit mehr als 15 Jahren um. Ist die Bundesrepublik Deutschland eine Bananenrepublik, also ein "schwacher Staat mit einem korrumpierten politischen System"? Die Antwort auf diese Frage folgt später.
Vorab ein paar Fakten zum Buch. Zunächst einmal suggeriert sein Titel "Alles nur gekauft? – Korruption in Deutschland 1949 bis heute", Engels habe eine umfassende Geschichte aller kleinen und großen Korruptionsfälle der vergangenen 70 Jahre geschrieben, was aber so nicht stimmt, wichtiger war ihm die politische Analyse.
Natürlich thematisiert er konkrete Korruptionsskandale. Schon die die Entscheidung, Bonn und nicht Frankfurt am Main als neue Hauptstadt zu etablieren, lief wie geschmiert, so Jens Ivo Engels. "Es spricht sehr viel dafür, dass die Entscheidung im Deutschen Bundestag, die Hauptstadt nach Bonn zu verlegen, gekauft wurde."
Kleinere und mittlere Affären folgten. Hans Kilb, der persönlichen Referenten von Kanzler Adenauer, war in eine verstrickt; der Koblenzer Amtsrat Wilhelm Thiede ließ sich vom Inhaber einer Textilfirma bestechen, die im Gegenzug Aufträge für die Ausrüstung der noch jungen Bundeswehr bekam. Unvergessen sind der Starfighter-Skandal, der Fall Gerstenmaier, das gescheiterte Misstrauensvotum gegen Willy Brandt 1972, bei dem sich mindestens ein Bundestagsabgeordneter bestechen ließ und natürlich die Flick-Affäre Anfang der 80er-Jahre.
Fließende Grenzen
Es ging hoch her, und die Genese der frühen Korruptionsfälle nachzulesen, ist schon spannend, noch spannender ist aber die politische Analyse des Kampfes gegen die Korruption. Diese Analyse erfordert aber zunächst Antworten auf eine schwierige Frage: Was ist Korruption? Verbindliche Definitionen gibt es nicht, weshalb Engels einen Bedeutungskern herausgearbeitet hat.
"Der besteht darin, dass eine Person oder eine Gruppe ein öffentliches Amt zum privaten Nutzen missbraucht. In vielen Fällen heißt das dann Bestechung, Annahme von Geld, um eine bestimmte Entscheidung zu treffen. Das kann aber auch ausgeweitet werden dieses Verständnis und kann viele Formen von Lobbyismus, von Freundschaft, von Nähe, von Seilschaften und Kleingeschäften auf Gegenseitigkeit in der Politik mit umfassen."
Die Grenzen zwischen handfester Korruption und harmlosen Geschenken sind fließend. Schon die Annahme eines Kalenders oder Kugelschreibers kann mittlerweile für Polizisten, Lehrer oder Finanzamtsmitarbeiter fatale Folge haben. Die Betonung liegt auf "mittlerweile", bis zur Wende Anfang der 90er-Jahre waren das eher lässliche Handlungen. Ivo Engels: "Die These meines Buches lautet, dass in den frühen Jahrzehnten solche Themen eher nicht sehr kritisch diskutiert wurden, und in den letzten 20, 30 Jahren vielleicht überkritisch diskutiert wurden."
Verbissener Kampf gegen jede Form von Bestechung
Die Grundthese des Darmstädter Historikers spiegelt sich im Aufbau seines Buches wider. Aufgeteilt hat Engels das 400-Seiten-Werk – für ein wissenschaftliches Buch ist es übrigens ausgesprochen lesbar geschrieben – in drei große Kapitel. Es beginnt mit Korruptionsaffären von 1949 bis 1990, gefolgt vom Kapitel "Große Wende: die Welt im Korruptionsfieber ab 1990", auf den letzten rund 100 Seiten schließlich steht die Korruption der Berliner Republik bis 2012 im Mittelpunkt.
Die zentrale Frage des Buches lautet: Was änderte sich nach der Wende? Bezogen auf Korruption ließ sich weltweit eine Sensibilisierung für das Themas beobachten – und ein verbissener Kampf gegen alle Formen von Bestechung.
"Ich glaube, ganz entscheidend ist die Veränderung mit der Deutschen Einheit und dem Zusammenbruch des Ostblocks. Vor diesem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Satellitenstaaten gab es doch sehr viel stärker so etwas wie eine Wagenburgmentalität und man hat die eigenen Gesellschaften weniger kritisch, vor allem weniger kritisch-moralisch beurteilt. Nach 1990 hat man weltweit nach Ursachen für noch bestehende Ungerechtigkeiten gesucht und das eben unter anderem in der grassierenden Korruption gefunden."
Die sich keineswegs nur auf Wirtschaftskriminalität beschränkte. Als Folge der Flick-Parteispendenaffäre – so Jens Ivo Engels – hat sich bei vielen Menschen der Eindruck verfestigt, selbst Parteien seien korrumpierbar. Es bestand der Verdacht, Spendenzahlungen hätten Entscheidungen des Bundeswirtschaftsministeriums zugunsten des Flick-Konzerns gefördert. Erstaunlich sei zudem die breite Bedeutung, die der Begriff "Korruption" in den letzten 10, 20 Jahren erfahren hat. Einige Fälle, der VW-Dieselskandal etwa, haben dramatische Folgen, andere Fälle wie der Hauskauf des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, lösten sich im Nachhinein fast in Nichts auf.
"Das Entscheidende, was diese Fälle zusammenhält, ist die moralische Empörung über das, was geschehen ist. Es sind dann sowohl bei VW als auch beim Bundespräsidenten Verhaltensweisen, die die Öffentlichkeit moralisch missbilligt. Im Einzelnen aber sind die Summen, um die es geht, und der Schaden, der angerichtet ist, sehr, sehr unterschiedlich."
Erosion des Ansehens der Eliten
Wir leben in einer Phase hoher moralischer Erregung, so Engels. Einher mit diesem Zustand und dieser Entwicklung geht noch etwas anderes. Seit den 90er-Jahren kristallisierte sich eine Verachtung der Eliten heraus, denen die Bereitschaft zur Korruption als Generalverdacht unterstellt wurde. Das hatte im Politischen dramatische Folgen.
"Das hat in gewisser Weise eine tragische Komponente, weil in den ersten Jahrzehnten die Kritik an Korruption eher aus dem links-liberalen Spektrum gekommen ist und mit dem Ziel verbunden war, die Demokratie moralischer zu machen, besser zu machen, indem man solche Vorgänge kritisiert. Im Endeffekt hat das aber zu einer Erosion des öffentlichen Ansehens der Eliten geführt und hat solchen Verschwörungstheorien wie sie die AfD heute produziert, den Boden bereitet."
Der politische Populismus wäre ohne den Antikorruptionskampf so nicht möglich gewesen. Zurückdrehen lassen sich diese Entwicklungen nicht, den Umgang mit Korruption kann man aber ändern.
"Zum Einen würde ich die öffentliche Kritik an wirklich schwerwiegenden Fällen deutlich stärker akzentuieren wollen, und im gleichen Atemzug aber die Übertreibungen sein lassen, weil sonst der Eindruck entsteht, es ist egal was ich mache, ich werde immer einen Shitstorm ernten, und dann kann ich auch meine Hemmungen fallen lassen."
Weniger Moral, mehr Augenmaß – das sind die Empfehlungen Jens Ivo Engels. Nach Analyse der großen und kleinen Korruptionsskandale zwischen 1949 und heute hat er auch eine Antwort auf die Frage gefunden, ob Deutschland ein "schwacher Staat mit einem korrumpierten politischen System" ist, also eine Bananenrepublik.
"Ganz sicher nicht!"