20 Jahre lang lief es immer besser für Ana Garrido. Zunächst war sie Verwaltungsangestellte im Rathaus von Madrid, dann arbeitete sie in der Madrider Regionalregierung und schließlich im wunderschönen Boadilla del Monte, einem reichen Vorort der spanischen Hauptstadt. Dort organisierte sie Aktivitäten für Jugendliche. Aber vor 10 Jahren wurde das immer schwieriger, erzählt sie in einer kleinen Kneipe in der Madrider Innenstadt:
"Uns wurde angeordnet, die öffentlichen Ausschreibungen so zu formulieren, dass bestimmte Unternehmen als besonders geeignet erscheinen. Wir sollten Gefälligkeitsgutachten im Vergabeverfahren ausstellen. Wer da mitmachte, wurde befördert, und wer sagte, ‚das geht nicht‘, kam nicht weiter oder wurde sogar herabgestuft. So erging es auch mir."
Garrido galt als Querulantin
Es waren zunächst kleinere Fälle. Einmal bekam sie einen Anruf aus dem Bürgermeisteramt: Ein kleines Unternehmen sollte Jogakurse für Kinder durchführen, obwohl es dafür keine Qualifikation aufwies. Und dann sollten Versicherungsverträge nur noch an ein bestimmtes Unternehmen gehen.
"Meine Kollegen hatten es noch viel schwerer. Die luden die Stadträte gleich zum Essen mit den Unternehmern ein, die zum "Champion" gekürt werden sollten. "Champion", so drückte sich der Bürgermeister aus. Bei der Auftragsvergabe sind natürlich illegale Handgelder geflossen, direkt an ihn und auch in die Kasse der Volkspartei. Das Urteil darüber steht aber noch aus. Wir sprechen hier von großen Unternehmen."
Ana Garrido weigerte sich, mitzuspielen, setzte ihre Unterschrift nicht unter Aufträge, bei denen die Vergaberegeln nicht eigenhalten wurden – und so galt sie als Querulantin. Zunächst wurde nur sanft Druck auf sie ausgeübt. Ein Stadtrat schlug ihr vor, sie könne städtisches Baumaterial für ihre Wohnungsrenovierung bekommen.
"Bei der Einweihung eines neuen Gebäudes, eines Altenzentrums, fielen mir die schönen Vorhänge auf. Ein Stadtrat, der damals auch Abgeordneter im Regionalparlament war, sagte mir: ‘Ah, Du renovierst Deine Wohnung? Was kostet Dich das?‘ ‘12.000 Euro‘, sagte ich. ‘Wir haben so viel Baumaterial im Lager, das wir nicht brauchen, vielleicht können wir Dir damit helfen?‘ Darauf ging ich nicht ein. Ich roch den Braten. Die wollten mich kaufen."
Und kompromittieren. Denn hätte sie sich nur einmal in die Fänge des korrupten Netzwerks begeben, wäre sie wohl nicht mehr herausgekommen. Während Ana Garrido in der Madrider Kneipe davon erzählt, blickt sie immer wieder nervös zum Nebentisch. Längst arbeitet sie nicht mehr in Boadilla, doch sie fühlt sich immer noch verfolgt. Ihre Erlebnisse und das, was ihre Kollegen berichteten, protokollierte sie damals täglich.
Ihr Leben: Ein Scherbenhaufen
Am Ende ging sie mit einem 300-Seiten-Dossier zur Staatsanwaltschaft. Das war der Beginn der "Gürtel"-Affäre. Ohne es zu wissen, hatte sie ein landesweites Korruptionsnetz aufgedeckt, in das nicht nur lokale - sondern auch Spitzenpolitiker verstrickt waren. Der ermittelnde Richter hält es sogar für erwiesen, dass die konservative Volkspartei die Renovierung ihrer Zentrale in Madrid mit illegalen Spenden dieser Unternehmen finanziert hat. Trotzdem ist das Leben Garridos heute ein Scherbenhaufen – wie das vieler Whistleblower – Menschen, die die Korruption in Spanien aufgedeckt haben. Denn kein Gesetz schützt solche Zeugen.
"Im 21. Jahrhundert wird nicht mehr gefoltert. Sie üben Druck auf die Menschen aus, die Dir nahe stehen, die Dir Halt geben. Ich habe viele Freunde verloren, weil sie Angst hatten oder irgendwelche Gegenleistungen bekamen. Meine Partnerschaft ging in die Brüche. Dann wirst Du wirtschaftlich fertig gemacht. Ich musste aus meiner Wohnung raus, verlor meinen Job und finde auch nichts Neues mehr. Mein Leben ist ein Albtraum, ich bekomme Todesdrohungen und werde mit Gerichtsverfahren überzogen."
Garrido bekam Depressionen, wurde krankgeschrieben, verließ Spanien für ein Jahr. Heute hat sie ihre Lebensfreude zurückgewonnen und verkauft Armbänder aus Leder und Silber, die sie in Handarbeit herstellt. "Tropfen der Seele" nennt sie die Armbänder, die ihr ein bescheidenes Auskommen ermöglichen. "Es ist schwer so zu leben", sagt sie und nimmt einen letzten Schluck Kaffee. "Besonders, wenn man nur das getan hat, was man für seine Pflicht hielt."