Große Panoramafenster, dazwischen dezent beleuchtete Natursteinwände. Kellner in weißen Hemden und klassischen schwarzen Westen balancieren armdicke Fleischspieße von Tisch zu Tisch. In dem noblen Steak-Restaurant in Londrina sitzen einige Ausländer an einer langen Tafel, gemeinsam mit Giovane Elber. Der ehemalige Fußballstar lebt seit dem Ende seiner Karriere wieder in seiner Heimatstadt. Auch die Tourismus-Expertin Adriana Camargo ist gekommen, begleitet von ihrem erwachsenen Sohn Lourenco. Der 21-Jährige bewegt sich souverän, aber sehr zurückhaltend in dem noblen Ambiente, mit den ausländischen Gästen am Tisch parliert er in fließendem Englisch. Lourenco hat noch die weichen Gesichtszüge eines Teenagers, doch sobald das Gespräch auf die Massenproteste kommt, die während des Confederations Cups weltweit Schlagzeilen machten, verhärtet sich seine Miene.
"Ich habe teilgenommen, weil ich es als eine Pflicht empfunden habe, schon allein weil ich jung bin. Und weil ich total unzufrieden bin mit dem, was in unserem Land passiert – zum Beispiel mit der Bildung oder diese eminente Korruption, die es bei uns gibt. Und deshalb war es meine Pflicht, an den Demonstrationen teilzunehmen, um herausschreien zu können, was mir auf dem Herzen lag. Ich wollte ausdrücken, was ich fühlte und damit irgendwie auch die Behörden unter Druck setzen, damit sich irgendetwas verändert."
Verändern muss sich etwas in Brasilien, davon ist Lourenco überzeugt – so wie viele seiner Mitstudenten. Auf den ersten Blick überrascht das, denn der junge Jurastudent hat eigentlich wenig Grund zur Klage. Er lebt in einer Region, die in den letzten Jahren einen beeindruckenden Aufschwung erlebt hat. Die Rinderzucht und die hocheffiziente Agrarindustrie sind das Rückgrat des brasilianischen Wirtschaftsbooms. Die ehemals verschlafene Provinzstadt hat sich zu einer aufgeräumten Halb-Millionen-Stadt gemausert. Mittlerweile gibt es in Londrina sogar Ableger der angesehenen staatlichen Universitäten, die früher nur in den Landeshauptstädten angesiedelt waren. An dieser Universität studiert Lourenco Jura – eigentlich ist eine erfolgreiche Karriere für ihn vorgezeichnet.
"Die jungen Leute hier sind schon halb darauf vorbereitet, sich mit diesem korrupten System zu arrangieren. In Brasilien lernt man auf gewisse Weise - wenn man bei diesem System nicht mitmacht, dann wird nie was aus einem. Aber genau dagegen kämpft ein Großteil der jungen Leute, gegen diese Gleichgültigkeit und dieses Korruptionsangebot."
Offensichtlich will die junge Generation in Brasilien dieses Angebot nicht mehr annehmen. Um das korrupte System zu erkennen und sich gegebenenfalls auch zu wehren, bedarf es einer gewissen Bildung. Von der regierenden Arbeiterpartei, der PT, ist Lourenco enttäuscht, denn eigentlich hat die ihre Stammwählerschaft in den ärmeren und weniger gebildeten Schichten.
"Ich sehe in der Politik ein gewisses Desinteresse an Bildung breiter Bevölkerungsschichten. Dieses Desinteresse wurde aber ausgebremst durch die Informationstechnologie. Das Internet hat dazu geführt, dass viele mitbekommen, was passiert und was geplant ist. Und so war es möglich, diese vielen Menschen zu mobilisieren."
Niemand – auch niemand in Brasilien – hatte damit gerechnet, dass es in dem aufstrebenden BRIC-Staat ein solches Protestpotenzial geben könnte. Plötzlich standen bei den Demonstrationen Hunderttausende auf der Straße. Viele – auch die Journalistin wie Janina Leite – gingen daraufhin der Frage nach: Woher kommt dieser Protest eigentlich?
"Die jungen Leute sind heute mit der ganzen Welt verbunden. Sie haben Zugang zu Informationen, die die vorherigen Generationen nicht hatten. So erfahren sie von Bewegungen wie Occupy, vom arabischen Frühling oder den Protesten in der Türkei. All das und die vielen Videos im Internet haben für eine Art Protest-Romantik gesorgt."
Schwer zu sagen, ob die Proteste romantisch oder realistisch sind. Klar ist: Die Demonstranten wollen ein besseres Land mit mehr sozialer Gerechtigkeit. Sie wollen, dass vom Reichtum Brasiliens mehr in der Bevölkerung ankommt. Im Grunde sind die Menschen wegen der Korruption auf die Straße gegangen. Das desolate Bildungssystem, das marode Gesundheitswesen oder das katastrophale Verkehrssystem – all das lässt sich auf Korruption zurückführen - Geld kommt nicht dort an, wo es hin soll. Giovane Elber hat während des Confed Cups als Brasilienexperte für die ARD gearbeitet und die Demonstrationen aus nächster Nähe erlebt.
"So viele Demonstration wie beim Confederations Cup, das hat man in Brasilien noch nie erlebt. Und ich glaube, das kann noch größer werden bei der WM, weil die Leute unzufrieden sind. Aber nicht unzufrieden, weil Brasilien das WM-Land ist, sondern weil viel Geld in falsche Kanäle geflossen ist."
Korruption, dunkle Kanäle und die Fußball-WM, das ist natürlich eine brisante Mischung. Der Fußball-Weltverband FIFA kämpft seit Jahren mit schwerwiegenden Korruptions-Vorwürfen. Bei den WM-Stadien in Brasilien sind die Kosten längst aus dem Ruder gelaufen. Die Renovierung des Maracana-Stadions in Rio hat allein 300 Millionen Euro gekostet. Und das neue Nationalstadion in Brasilia ist mit 500 Millionen gleich doppelt so teuer geworden, wie vorgesehen. Wegen der Korruption, munkelt man. Und deswegen haben die Demonstranten bei ihren Protesten im Juni auch gleich die FIFA und die WM-Organisatoren mit ins Visier genommen. "Brasilien, wach auf – jeder Lehrer ist mehr Wert als Neymar", war einer der Lieblings-Sprechchöre.
"Wir wollen Schulen und Krankenhäuser im FIFA-Standard" - stand häufig auf den Plakaten der Demonstranten. Die brasilianischen Politiker betonen gerne, dass die teure Infrastruktur, die im Zuge der Weltmeisterschaft entsteht, danach der Bevölkerung zugutekommen soll. Doch schon beim Confed Cup im Juni hat man von einer funktionierenden Infrastruktur kaum etwas gesehen, deshalb ist Giovane Elber auch skeptisch.
"Viel Geld wird nicht in bessere Krankenhäuser oder in bessere Flugplätze gesteckt, das passiert nicht. Viel Geld geht in andere, falsche Kanäle, leider. Das Gesetz hier ist so alt, das muss man ändern, denn Politiker gehen in Brasilien nicht ins Gefängnis. Ich glaube, wenn die Justiz hier so wäre wie in Deutschland, dann würden die Politiker anders denken"
Und eben auch anders handeln. Tatsächlich ist es so, dass selbst das von der Öffentlichkeit gefeierte Korruptionsverfahren mit dem Namen "Mensuale" jetzt auf der Kippe steht. Im Dezember waren mehr als ein Dutzend Politiker wegen Korruption zu Gefängnisstrafen verurteilt worden - erstmals in der brasilianischen Geschichte. Gerade läuft das Revisionsverfahren, und es ist durchaus denkbar, dass die verurteilten Politiker am Ende straffrei ausgehen. Aber die Brasilianer wollen sich nicht mehr mit der Korruption abfinden. Mittlerweile sind mehrere Anti-Korruptions-Organisationen entstanden wie die "UCC", die Union contra a corrupcão. Einer ihrer führenden Köpfe ist José Ferreira. Die Demonstrationen waren für ihn die Bestätigung seiner Arbeit.
"Die Korruption steht ganz oben auf der Liste der Probleme hier in Brasilien. Sie tötet Menschen in den Krankenhäusern, die dort auf eine Behandlung warten, aber keine Ärzte finden oder kein Krankenbett, bis etwas extra bezahlt wird. Die Korruption verhindert, dass Kinder Zugang zur öffentlichen Bildung bekommen. Das führt eine ganze Generation ins Abseits. Die Korruption ist Brasiliens Krebsgeschwür."
Den Kampf gegen die Korruption hatte auch Staatspräsidentin Dilma Rousseff bei ihrem Amtsantritt im Januar 2011 versprochen. In den ersten zwölf Monaten ihrer Amtszeit hat sie sieben Minister wegen Korruption entlassen. Im Frühsommer dieses Jahres sah sich Rousseff trotzdem dem geballten Volkszorn gegenüber. Denn an der Korruption in Brasilien hat sich trotz ihrer Bemühungen nichts Spürbares geändert. Auch deshalb war Brasilien in Rage, in diesen Wochen im Juni. An manchen Tagen sollen bis zu zwei Millionen Protestierende auf der Straße gewesen sein. Angefangen hat alles in Sao Paulo. Grund war eine Tariferhöhung im öffentlichen Personen-Nahverkehr. Der Confed Cup, der wenige Tage später begann, hat wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Die angereisten Journalisten trugen die Protestbotschaft in die ganze Welt. Und nach dem Confed Cup – war plötzlich alles vorbei. Die Protestwelle ebbte innerhalb von wenigen Tagen ab. Für Lourenco, der die Proteste in seiner Heimatstadt Londrina mitorganisiert hat, ist das ziemlich unverständlich.
"In Londrina haben die Proteste zu keinen Veränderungen geführt, allerdings war der Protest auch irgendwie eine Unterstützung der Aktivitäten im ganzen Land. Tatsächlich hatten wir kein so praktisches Anliegen wie in Sao Paulo, wo es um die Erhöhung der Bus-Tarife ging. Ein paar kleine Gruppen demonstrieren dort immer noch. Und eigentlich ist das auch richtig, denn es hat sich nichts geändert."
Die Preiserhöhung im Nahverkehr war ja schon kurz nach dem Beginn der Proteste zurückgenommen worden. Aber all die anderen Forderungen - besseres Bildungswesen, besseres Gesundheitssystem, besserer Nahverkehr – lassen sich natürlich nicht so schnell erfüllen. Und der Protestbewegung ging unterwegs die Puste aus. Hier zeigt sich die Schwäche der Internet-Aktivisten: Sie agieren dezentral, oft spontan und kennen keine Hierarchien. Für die brasilianische Politik gab es keine Ansprechpartner in der Protestbewegung. Und vielleicht haben manche Demonstranten ja auch den weitreichenden Versprechen von Dilma Rousseff geglaubt.
"Wir werden erstens einen nationalen Mobilitätsplan ausarbeiten, in dem der öffentliche Nahverkehr bevorzugt behandelt wird. Zweitens sollen die Lizenzerträge aus den Öleinnahmen zu 100 Prozent in die Bildung fließen. Und schließlich drittens wollen wir Tausende von Ärzten aus dem Ausland nach Brasilien holen, um unser Gesundheitssystem zu verbessern."
Trotz dieser Ankündigungen Ende Juni hätte es seither viele Gründe gegeben, weiter - oder wieder - auf die Straße zu gehen. Die brasilianische Wirtschaft befindet sich auf Talfahrt, die Währung ist eingebrochen, die Investoren flüchten aus dem ehemaligen Boom-Land. Wirtschaftsminister Guido Manteca hat im August zum vierten Mal hintereinander die Wirtschaftsprognose für das laufende Jahr nach unten korrigiert – ohne dabei die negativen Wirtschaftszahlen ernst zu nehmen.
"Man muss abwarten und sehen, wo der Abwärtstrend aufhört. Aber er wird aufhören. Und deshalb muss man auch nicht gleich reagieren, denn das ist eine vorübergehende Situation. Jetzt muss man erstmal nichts tun."
Auch das ist nur die halbe Wahrheit. Brasiliens Zentralbank ist in hektischen Aktionismus verfallen. Bis zum Jahresende wird sie voraussichtlich 100 Milliarden Dollar in die eigene Währung gepumpt haben, um sie zu stabilisieren. Wirtschaftsexperten wie Dimitrio Magnoli sehen die brasilianische Wirtschaft vor schweren Zeiten, vor allem weil die früher so starke Binnen-Nachfrage nicht mehr als Wachstumsmotor dienen wird.
"Das Problem mit der Binnennachfrage ist, dass sie angeheizt wurde, ja sogar überhitzt wurde durch Kredite und unterstützende Maßnahmen des Staates. Jetzt ist da nicht mehr viel Raum für Wachstum durch den Binnenmarkt. Und die Investitionen sind auch stark gebremst, die ausländischen genauso wie die inländischen. Deshalb glaube ich, dass das Wachstum in Brasilien sich weiter reduzieren wird."
Ein eindeutiger Kurs ist in der Wirtschaftspolitik nicht feststellbar. Erstmal abwarten ist die Devise – und genauso scheint es mittlerweile auch die Protestbewegung zu handhaben. Das Protestfeuer ist erloschen – nur in Rio und in Sao Paulo, wo alles angefangen hat, da glimmt zumindest noch eine Protest-Glut. Hier haben die Demonstrationen zumindest eine kleine Veränderung bewirkt: Wenn Skandale oder Korruptionsfälle bekannt werden, dann geht der harte Kern der Protestbewegung sofort auf die Straße – allerdings ist das zahlenmäßig eine recht überschaubare Gruppe. Das weiß auch dieser Aktivist, der Ende August in Sao Paulo demonstrierte.
"Die Demonstrationen im Juni sind durch Unzufriedenheit und Empörung entstanden. Und diese Unzufriedenheit ist immer noch da. Aber es gibt nicht mehr diesen Boom, es sind nicht mehr so viele Leute auf der Straße wie im Juni. Die Strukturen gibt es aber noch, und wir versuchen, die Leute wieder auf die Straße zu bekommen."
Allerdings mit wenig Erfolg. Es scheint, als wäre die Wut verpufft, die vor wenigen Monaten noch Hunderttausende Brasilianer auf die Straße getrieben hat. Vielleicht sehen es auch viele Menschen so, wie dieser Demonstrant.
"Sichtbar verändert hat sich noch nichts, aber die Politik ist ein langfristiger Prozess. Wir können keine Ergebnisse über Nacht erwarten. Aber die Dinge sind auf den Weg gebracht."
Auf den Weg gebracht ist vielleicht etwas übertrieben. So hat die Staatspräsidentin im Juni die Einführung von Volksentscheiden angekündigt – doch längst ist diese ungeliebte Initiative im politischen Leben der Hauptstadt Brasilia versandet. 75 Prozent der Öleinnahmen sollen in die Bildung fließen und 25 Prozent ins Gesundheitswesen. Das hatte Rousseff Ende September in ihrer Rede vor den Vereinten Nationen noch einmal wiederholt. Nur: Niemand weiß, wann diese Gelder sprudeln werden. Viele Ölfelder vor der brasilianischen Küste lassen sich wohl nicht rentabel ausbeuten. Der Milliardär Eike Batista steht deswegen kurz vor der Pleite. Und die größten Reserven liegen Tausende Meter tief vor der brasilianischen Küste – bis heute weiß niemand, ob Brasilien technologisch in der Lage sein wird, dieses Öl jemals zu fördern. Und dann das desolate Gesundheitssystem: Tausende von Ärzten fehlen vor allem in den ländlichen Gebieten des armen Nordostens. Aber auch hier hat die Regierung eine Lösung angekündigt: 4000 Mediziner aus Kuba sollen den Ärztenotstand beheben. Als die ersten in Brasilien ankamen, wurden sie begeistert empfangen.
"Kubaner, Freund, Brasilien steht an eurer Seite."
Allerdings bestanden die Jubelkommandos hauptsächlich aus regierungstreuen Gewerkschaftskadern. Von den angekündigten 4000 Ärzten sind erst 400 eingetroffen. Davon hat auch nach Wochen erst ein Bruchteil seine Arbeit aufgenommen. Brasilianische Ärzteverbände blockieren die Billigkonkurrenz aus Kuba. Zumindest in der Bildung gibt es einen kleinen Lichtblick. Die Alphabetisierung erreicht mittlerweile fast 95 Prozent der Kinder, und in den Schulen wird mehr gelesen. Auch weil die Regierung ganz massiv in die Schulbibliotheken investiert und in großen Mengen Bücher kauft. 2003 hat der Brasilianer im Schnitt pro Jahr ein Buch gelesen, jetzt sind es bereits vier pro Jahr. Bei der 16. Internationalen Buchmesse in Rio de Janeiro Ende August wurden innerhalb von elf Tagen insgesamt 200.000 Schulkinder durch die Messehallen geschleust.
Allerdings im Eiltempo.
"Wir haben nicht viel Zeit, müssen wieder in die Schule …"
… sagt diese Lehrerin und scheucht ihre Kinder weiter. Die Autoren, Literaten und Intellektuellen haben die Proteste bislang höchstens kommentiert – aktiv eingebracht hat sich kaum jemand. Auch Luiz Ruffato, einer der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller Brasiliens, geht bisher nur theoretisch auf die Straße:
"Die Intellektuellen müssten sich positionieren. In einem Land wie dem unsrigen, das so ungerecht ist, das so dringend eine öffentliche Debatte benötigt, da halte ich es fast für absurd, dass die Intellektuellen nicht klar Stellung beziehen. Wir brauchen eine Revolution im Bildungs- und Gesundheitswesen. Ohne diese Revolution wird sich nichts ändern. Ich glaube, dass wir erneut auf die Straße gehen müssen, mit zwei, drei Millionen Menschen. Aber mit ganz klaren Forderungen: Wir wollen Veränderungen. Eine politische Reform zum Beispiel, die absolut essenziell ist. Ohne eine politische Reform wird es nicht eine Veränderung geben."
Aber für Veränderungen benötigt man auch Politiker, die sie durchsetzen wollen. Marina Silva wäre so eine Kandidatin. Die ehemalige Umweltministerin hat für die Grünen bei den letzten Präsidentschaftswahlen vor drei Jahren überraschend 20 Prozent der Stimmen gewonnen. Für die nächsten Wahlen wollte sie mit einer neu gegründeten Partei antreten. Aber ihre fristgerecht eingereichten Unterlagen wurden von den zuständigen politischen Stellen immer wieder moniert – jetzt ist die Zulassungsfrist verstrichen. Weder die Partei von Marina Silva noch eine andere neue politische Kraft wird im nächsten Jahr zu den Präsidentschaftswahlen antreten. Vielleicht werden die notwendigen Veränderungen doch durch den Druck der Straße in Gang gebracht.
Vor einer Woche sind die Proteste in Rio plötzlich wieder aufgeflammt. Streikende Lehrer wurden von Tausenden Demonstranten unterstützt und in der Nacht kam es zu Straßenschlachten mit der Polizei. Und in der Provinz, in Londrina? In der Heimatstadt von Lourenco hat seit Monaten niemand mehr demonstriert.
"Wenn die versprochenen Veränderungen nicht kommen, dann glaube ich, dass wir auch hier bald wieder Proteste sehen werden, spätestens zur WM. Die wird schon toll werden, vor allem für die Ausländer. Aber von dem Erbe, das die WM hinterlassen soll, davon sieht man bislang nichts."
Nicht in Londrina und nicht in den anderen Städten Brasiliens. Trotzdem sind die Proteste nicht ganz folgenlos geblieben, glaubt Giovane Elber.
"Die Politiker haben gesehen, dass die Leute jetzt da sind und dass sie darauf schauen, was man macht. Die haben jetzt schon ein bisschen Angst. Die Politiker sollen jetzt besser schauen, was sie machen mit dem ganzen Geld. Ansonsten wird es schon problematisch hier in Brasilien."
"Ich habe teilgenommen, weil ich es als eine Pflicht empfunden habe, schon allein weil ich jung bin. Und weil ich total unzufrieden bin mit dem, was in unserem Land passiert – zum Beispiel mit der Bildung oder diese eminente Korruption, die es bei uns gibt. Und deshalb war es meine Pflicht, an den Demonstrationen teilzunehmen, um herausschreien zu können, was mir auf dem Herzen lag. Ich wollte ausdrücken, was ich fühlte und damit irgendwie auch die Behörden unter Druck setzen, damit sich irgendetwas verändert."
Verändern muss sich etwas in Brasilien, davon ist Lourenco überzeugt – so wie viele seiner Mitstudenten. Auf den ersten Blick überrascht das, denn der junge Jurastudent hat eigentlich wenig Grund zur Klage. Er lebt in einer Region, die in den letzten Jahren einen beeindruckenden Aufschwung erlebt hat. Die Rinderzucht und die hocheffiziente Agrarindustrie sind das Rückgrat des brasilianischen Wirtschaftsbooms. Die ehemals verschlafene Provinzstadt hat sich zu einer aufgeräumten Halb-Millionen-Stadt gemausert. Mittlerweile gibt es in Londrina sogar Ableger der angesehenen staatlichen Universitäten, die früher nur in den Landeshauptstädten angesiedelt waren. An dieser Universität studiert Lourenco Jura – eigentlich ist eine erfolgreiche Karriere für ihn vorgezeichnet.
"Die jungen Leute hier sind schon halb darauf vorbereitet, sich mit diesem korrupten System zu arrangieren. In Brasilien lernt man auf gewisse Weise - wenn man bei diesem System nicht mitmacht, dann wird nie was aus einem. Aber genau dagegen kämpft ein Großteil der jungen Leute, gegen diese Gleichgültigkeit und dieses Korruptionsangebot."
Offensichtlich will die junge Generation in Brasilien dieses Angebot nicht mehr annehmen. Um das korrupte System zu erkennen und sich gegebenenfalls auch zu wehren, bedarf es einer gewissen Bildung. Von der regierenden Arbeiterpartei, der PT, ist Lourenco enttäuscht, denn eigentlich hat die ihre Stammwählerschaft in den ärmeren und weniger gebildeten Schichten.
"Ich sehe in der Politik ein gewisses Desinteresse an Bildung breiter Bevölkerungsschichten. Dieses Desinteresse wurde aber ausgebremst durch die Informationstechnologie. Das Internet hat dazu geführt, dass viele mitbekommen, was passiert und was geplant ist. Und so war es möglich, diese vielen Menschen zu mobilisieren."
Niemand – auch niemand in Brasilien – hatte damit gerechnet, dass es in dem aufstrebenden BRIC-Staat ein solches Protestpotenzial geben könnte. Plötzlich standen bei den Demonstrationen Hunderttausende auf der Straße. Viele – auch die Journalistin wie Janina Leite – gingen daraufhin der Frage nach: Woher kommt dieser Protest eigentlich?
"Die jungen Leute sind heute mit der ganzen Welt verbunden. Sie haben Zugang zu Informationen, die die vorherigen Generationen nicht hatten. So erfahren sie von Bewegungen wie Occupy, vom arabischen Frühling oder den Protesten in der Türkei. All das und die vielen Videos im Internet haben für eine Art Protest-Romantik gesorgt."
Schwer zu sagen, ob die Proteste romantisch oder realistisch sind. Klar ist: Die Demonstranten wollen ein besseres Land mit mehr sozialer Gerechtigkeit. Sie wollen, dass vom Reichtum Brasiliens mehr in der Bevölkerung ankommt. Im Grunde sind die Menschen wegen der Korruption auf die Straße gegangen. Das desolate Bildungssystem, das marode Gesundheitswesen oder das katastrophale Verkehrssystem – all das lässt sich auf Korruption zurückführen - Geld kommt nicht dort an, wo es hin soll. Giovane Elber hat während des Confed Cups als Brasilienexperte für die ARD gearbeitet und die Demonstrationen aus nächster Nähe erlebt.
"So viele Demonstration wie beim Confederations Cup, das hat man in Brasilien noch nie erlebt. Und ich glaube, das kann noch größer werden bei der WM, weil die Leute unzufrieden sind. Aber nicht unzufrieden, weil Brasilien das WM-Land ist, sondern weil viel Geld in falsche Kanäle geflossen ist."
Korruption, dunkle Kanäle und die Fußball-WM, das ist natürlich eine brisante Mischung. Der Fußball-Weltverband FIFA kämpft seit Jahren mit schwerwiegenden Korruptions-Vorwürfen. Bei den WM-Stadien in Brasilien sind die Kosten längst aus dem Ruder gelaufen. Die Renovierung des Maracana-Stadions in Rio hat allein 300 Millionen Euro gekostet. Und das neue Nationalstadion in Brasilia ist mit 500 Millionen gleich doppelt so teuer geworden, wie vorgesehen. Wegen der Korruption, munkelt man. Und deswegen haben die Demonstranten bei ihren Protesten im Juni auch gleich die FIFA und die WM-Organisatoren mit ins Visier genommen. "Brasilien, wach auf – jeder Lehrer ist mehr Wert als Neymar", war einer der Lieblings-Sprechchöre.
"Wir wollen Schulen und Krankenhäuser im FIFA-Standard" - stand häufig auf den Plakaten der Demonstranten. Die brasilianischen Politiker betonen gerne, dass die teure Infrastruktur, die im Zuge der Weltmeisterschaft entsteht, danach der Bevölkerung zugutekommen soll. Doch schon beim Confed Cup im Juni hat man von einer funktionierenden Infrastruktur kaum etwas gesehen, deshalb ist Giovane Elber auch skeptisch.
"Viel Geld wird nicht in bessere Krankenhäuser oder in bessere Flugplätze gesteckt, das passiert nicht. Viel Geld geht in andere, falsche Kanäle, leider. Das Gesetz hier ist so alt, das muss man ändern, denn Politiker gehen in Brasilien nicht ins Gefängnis. Ich glaube, wenn die Justiz hier so wäre wie in Deutschland, dann würden die Politiker anders denken"
Und eben auch anders handeln. Tatsächlich ist es so, dass selbst das von der Öffentlichkeit gefeierte Korruptionsverfahren mit dem Namen "Mensuale" jetzt auf der Kippe steht. Im Dezember waren mehr als ein Dutzend Politiker wegen Korruption zu Gefängnisstrafen verurteilt worden - erstmals in der brasilianischen Geschichte. Gerade läuft das Revisionsverfahren, und es ist durchaus denkbar, dass die verurteilten Politiker am Ende straffrei ausgehen. Aber die Brasilianer wollen sich nicht mehr mit der Korruption abfinden. Mittlerweile sind mehrere Anti-Korruptions-Organisationen entstanden wie die "UCC", die Union contra a corrupcão. Einer ihrer führenden Köpfe ist José Ferreira. Die Demonstrationen waren für ihn die Bestätigung seiner Arbeit.
"Die Korruption steht ganz oben auf der Liste der Probleme hier in Brasilien. Sie tötet Menschen in den Krankenhäusern, die dort auf eine Behandlung warten, aber keine Ärzte finden oder kein Krankenbett, bis etwas extra bezahlt wird. Die Korruption verhindert, dass Kinder Zugang zur öffentlichen Bildung bekommen. Das führt eine ganze Generation ins Abseits. Die Korruption ist Brasiliens Krebsgeschwür."
Den Kampf gegen die Korruption hatte auch Staatspräsidentin Dilma Rousseff bei ihrem Amtsantritt im Januar 2011 versprochen. In den ersten zwölf Monaten ihrer Amtszeit hat sie sieben Minister wegen Korruption entlassen. Im Frühsommer dieses Jahres sah sich Rousseff trotzdem dem geballten Volkszorn gegenüber. Denn an der Korruption in Brasilien hat sich trotz ihrer Bemühungen nichts Spürbares geändert. Auch deshalb war Brasilien in Rage, in diesen Wochen im Juni. An manchen Tagen sollen bis zu zwei Millionen Protestierende auf der Straße gewesen sein. Angefangen hat alles in Sao Paulo. Grund war eine Tariferhöhung im öffentlichen Personen-Nahverkehr. Der Confed Cup, der wenige Tage später begann, hat wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Die angereisten Journalisten trugen die Protestbotschaft in die ganze Welt. Und nach dem Confed Cup – war plötzlich alles vorbei. Die Protestwelle ebbte innerhalb von wenigen Tagen ab. Für Lourenco, der die Proteste in seiner Heimatstadt Londrina mitorganisiert hat, ist das ziemlich unverständlich.
"In Londrina haben die Proteste zu keinen Veränderungen geführt, allerdings war der Protest auch irgendwie eine Unterstützung der Aktivitäten im ganzen Land. Tatsächlich hatten wir kein so praktisches Anliegen wie in Sao Paulo, wo es um die Erhöhung der Bus-Tarife ging. Ein paar kleine Gruppen demonstrieren dort immer noch. Und eigentlich ist das auch richtig, denn es hat sich nichts geändert."
Die Preiserhöhung im Nahverkehr war ja schon kurz nach dem Beginn der Proteste zurückgenommen worden. Aber all die anderen Forderungen - besseres Bildungswesen, besseres Gesundheitssystem, besserer Nahverkehr – lassen sich natürlich nicht so schnell erfüllen. Und der Protestbewegung ging unterwegs die Puste aus. Hier zeigt sich die Schwäche der Internet-Aktivisten: Sie agieren dezentral, oft spontan und kennen keine Hierarchien. Für die brasilianische Politik gab es keine Ansprechpartner in der Protestbewegung. Und vielleicht haben manche Demonstranten ja auch den weitreichenden Versprechen von Dilma Rousseff geglaubt.
"Wir werden erstens einen nationalen Mobilitätsplan ausarbeiten, in dem der öffentliche Nahverkehr bevorzugt behandelt wird. Zweitens sollen die Lizenzerträge aus den Öleinnahmen zu 100 Prozent in die Bildung fließen. Und schließlich drittens wollen wir Tausende von Ärzten aus dem Ausland nach Brasilien holen, um unser Gesundheitssystem zu verbessern."
Trotz dieser Ankündigungen Ende Juni hätte es seither viele Gründe gegeben, weiter - oder wieder - auf die Straße zu gehen. Die brasilianische Wirtschaft befindet sich auf Talfahrt, die Währung ist eingebrochen, die Investoren flüchten aus dem ehemaligen Boom-Land. Wirtschaftsminister Guido Manteca hat im August zum vierten Mal hintereinander die Wirtschaftsprognose für das laufende Jahr nach unten korrigiert – ohne dabei die negativen Wirtschaftszahlen ernst zu nehmen.
"Man muss abwarten und sehen, wo der Abwärtstrend aufhört. Aber er wird aufhören. Und deshalb muss man auch nicht gleich reagieren, denn das ist eine vorübergehende Situation. Jetzt muss man erstmal nichts tun."
Auch das ist nur die halbe Wahrheit. Brasiliens Zentralbank ist in hektischen Aktionismus verfallen. Bis zum Jahresende wird sie voraussichtlich 100 Milliarden Dollar in die eigene Währung gepumpt haben, um sie zu stabilisieren. Wirtschaftsexperten wie Dimitrio Magnoli sehen die brasilianische Wirtschaft vor schweren Zeiten, vor allem weil die früher so starke Binnen-Nachfrage nicht mehr als Wachstumsmotor dienen wird.
"Das Problem mit der Binnennachfrage ist, dass sie angeheizt wurde, ja sogar überhitzt wurde durch Kredite und unterstützende Maßnahmen des Staates. Jetzt ist da nicht mehr viel Raum für Wachstum durch den Binnenmarkt. Und die Investitionen sind auch stark gebremst, die ausländischen genauso wie die inländischen. Deshalb glaube ich, dass das Wachstum in Brasilien sich weiter reduzieren wird."
Ein eindeutiger Kurs ist in der Wirtschaftspolitik nicht feststellbar. Erstmal abwarten ist die Devise – und genauso scheint es mittlerweile auch die Protestbewegung zu handhaben. Das Protestfeuer ist erloschen – nur in Rio und in Sao Paulo, wo alles angefangen hat, da glimmt zumindest noch eine Protest-Glut. Hier haben die Demonstrationen zumindest eine kleine Veränderung bewirkt: Wenn Skandale oder Korruptionsfälle bekannt werden, dann geht der harte Kern der Protestbewegung sofort auf die Straße – allerdings ist das zahlenmäßig eine recht überschaubare Gruppe. Das weiß auch dieser Aktivist, der Ende August in Sao Paulo demonstrierte.
"Die Demonstrationen im Juni sind durch Unzufriedenheit und Empörung entstanden. Und diese Unzufriedenheit ist immer noch da. Aber es gibt nicht mehr diesen Boom, es sind nicht mehr so viele Leute auf der Straße wie im Juni. Die Strukturen gibt es aber noch, und wir versuchen, die Leute wieder auf die Straße zu bekommen."
Allerdings mit wenig Erfolg. Es scheint, als wäre die Wut verpufft, die vor wenigen Monaten noch Hunderttausende Brasilianer auf die Straße getrieben hat. Vielleicht sehen es auch viele Menschen so, wie dieser Demonstrant.
"Sichtbar verändert hat sich noch nichts, aber die Politik ist ein langfristiger Prozess. Wir können keine Ergebnisse über Nacht erwarten. Aber die Dinge sind auf den Weg gebracht."
Auf den Weg gebracht ist vielleicht etwas übertrieben. So hat die Staatspräsidentin im Juni die Einführung von Volksentscheiden angekündigt – doch längst ist diese ungeliebte Initiative im politischen Leben der Hauptstadt Brasilia versandet. 75 Prozent der Öleinnahmen sollen in die Bildung fließen und 25 Prozent ins Gesundheitswesen. Das hatte Rousseff Ende September in ihrer Rede vor den Vereinten Nationen noch einmal wiederholt. Nur: Niemand weiß, wann diese Gelder sprudeln werden. Viele Ölfelder vor der brasilianischen Küste lassen sich wohl nicht rentabel ausbeuten. Der Milliardär Eike Batista steht deswegen kurz vor der Pleite. Und die größten Reserven liegen Tausende Meter tief vor der brasilianischen Küste – bis heute weiß niemand, ob Brasilien technologisch in der Lage sein wird, dieses Öl jemals zu fördern. Und dann das desolate Gesundheitssystem: Tausende von Ärzten fehlen vor allem in den ländlichen Gebieten des armen Nordostens. Aber auch hier hat die Regierung eine Lösung angekündigt: 4000 Mediziner aus Kuba sollen den Ärztenotstand beheben. Als die ersten in Brasilien ankamen, wurden sie begeistert empfangen.
"Kubaner, Freund, Brasilien steht an eurer Seite."
Allerdings bestanden die Jubelkommandos hauptsächlich aus regierungstreuen Gewerkschaftskadern. Von den angekündigten 4000 Ärzten sind erst 400 eingetroffen. Davon hat auch nach Wochen erst ein Bruchteil seine Arbeit aufgenommen. Brasilianische Ärzteverbände blockieren die Billigkonkurrenz aus Kuba. Zumindest in der Bildung gibt es einen kleinen Lichtblick. Die Alphabetisierung erreicht mittlerweile fast 95 Prozent der Kinder, und in den Schulen wird mehr gelesen. Auch weil die Regierung ganz massiv in die Schulbibliotheken investiert und in großen Mengen Bücher kauft. 2003 hat der Brasilianer im Schnitt pro Jahr ein Buch gelesen, jetzt sind es bereits vier pro Jahr. Bei der 16. Internationalen Buchmesse in Rio de Janeiro Ende August wurden innerhalb von elf Tagen insgesamt 200.000 Schulkinder durch die Messehallen geschleust.
Allerdings im Eiltempo.
"Wir haben nicht viel Zeit, müssen wieder in die Schule …"
… sagt diese Lehrerin und scheucht ihre Kinder weiter. Die Autoren, Literaten und Intellektuellen haben die Proteste bislang höchstens kommentiert – aktiv eingebracht hat sich kaum jemand. Auch Luiz Ruffato, einer der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller Brasiliens, geht bisher nur theoretisch auf die Straße:
"Die Intellektuellen müssten sich positionieren. In einem Land wie dem unsrigen, das so ungerecht ist, das so dringend eine öffentliche Debatte benötigt, da halte ich es fast für absurd, dass die Intellektuellen nicht klar Stellung beziehen. Wir brauchen eine Revolution im Bildungs- und Gesundheitswesen. Ohne diese Revolution wird sich nichts ändern. Ich glaube, dass wir erneut auf die Straße gehen müssen, mit zwei, drei Millionen Menschen. Aber mit ganz klaren Forderungen: Wir wollen Veränderungen. Eine politische Reform zum Beispiel, die absolut essenziell ist. Ohne eine politische Reform wird es nicht eine Veränderung geben."
Aber für Veränderungen benötigt man auch Politiker, die sie durchsetzen wollen. Marina Silva wäre so eine Kandidatin. Die ehemalige Umweltministerin hat für die Grünen bei den letzten Präsidentschaftswahlen vor drei Jahren überraschend 20 Prozent der Stimmen gewonnen. Für die nächsten Wahlen wollte sie mit einer neu gegründeten Partei antreten. Aber ihre fristgerecht eingereichten Unterlagen wurden von den zuständigen politischen Stellen immer wieder moniert – jetzt ist die Zulassungsfrist verstrichen. Weder die Partei von Marina Silva noch eine andere neue politische Kraft wird im nächsten Jahr zu den Präsidentschaftswahlen antreten. Vielleicht werden die notwendigen Veränderungen doch durch den Druck der Straße in Gang gebracht.
Vor einer Woche sind die Proteste in Rio plötzlich wieder aufgeflammt. Streikende Lehrer wurden von Tausenden Demonstranten unterstützt und in der Nacht kam es zu Straßenschlachten mit der Polizei. Und in der Provinz, in Londrina? In der Heimatstadt von Lourenco hat seit Monaten niemand mehr demonstriert.
"Wenn die versprochenen Veränderungen nicht kommen, dann glaube ich, dass wir auch hier bald wieder Proteste sehen werden, spätestens zur WM. Die wird schon toll werden, vor allem für die Ausländer. Aber von dem Erbe, das die WM hinterlassen soll, davon sieht man bislang nichts."
Nicht in Londrina und nicht in den anderen Städten Brasiliens. Trotzdem sind die Proteste nicht ganz folgenlos geblieben, glaubt Giovane Elber.
"Die Politiker haben gesehen, dass die Leute jetzt da sind und dass sie darauf schauen, was man macht. Die haben jetzt schon ein bisschen Angst. Die Politiker sollen jetzt besser schauen, was sie machen mit dem ganzen Geld. Ansonsten wird es schon problematisch hier in Brasilien."