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Korruption
Mit dem Taxi durch Kiew

Trotz aller Bemühungen; Die Korruption bleibt ein Problem in der Ukraine. Eine Taxifahrt reicht, um gekaufte Ärzte und Demonstranten zu entdecken - und Fahrer Sascha kann noch mehr Geschichten von Kiews Straßen erzählen.

Von Florian Kellermann |
    Kiew am Fluss Dnepr.
    Nicht nur der Fluss Dnepr fließt durch Kiew, auch Schmiergelder fließen weiterhin. (Imago / Anka Agency International)
    "Mein Vater ist früh gestorben und hat ein Auto hinterlassen. Da habe ich angefangen, Taxi zu fahren, neben dem Studium. Das war vor zwölf Jahren. Ich bin zwar Ingenieur, aber ich habe nie in dem Beruf gearbeitet. Da würde ich nur 100 oder 200 Dollar im Monat verdienen. Heute ist es eh zu spät, sie wissen ja - der technische Fortschritt! Ich habe an Maschinen gelernt, die doppelt so alt sind wie ich heute."
    Außerdem ist Sascha gerne Taxifahrer in seiner Heimatstadt Kiew. Der 32-Jährige kommt ins Schwärmen, wenn er an den goldenen Kuppeln der Sophienkathedrale vorbeifährt.
    Sascha streicht sich durch seinen dunklen Wuschelkopf. Ihn interessieren nicht nur die Sehenswürdigkeiten, er ist auch ein politischer Mensch. Der Taxifahrer zeigt auf eine kleines Protest-Zeltlager vor der Nationalbank, ein verschnörkeltes Gebäude aus der Zarenzeit.
    "Mit dem Oberhaupt der Nationalbank ist es wie mit einem Fußball-Schiedsrichter: Wenn es gut ist, nehmen wir es gar nicht wahr. Aber unsere Bankpräsidentin? Sie hat ihre jüngste Rede mit dem Satz begonnen: Eine Panik sei ausgebrochen. So kam die Panik dann wirklich."
    Es folgte eine Währungskrise, unter der fast alle Ukrainer leiden. Die heimische Hrywnja verlor enorm an Wert, die Preise steigen ins Uferlose.
    Sascha hält vor einem kleinen Lebensmittelgeschäft und geht einkaufen. Aber viel bringt er nicht mit: nur Brot und Wurst.
    "Ich habe gerne Shrimps gegessen. Aber die sind heute unbezahlbar. Meine Frau und ich sind einmal pro Woche oder alle zwei Wochen ins Restaurant gegangen. Das ist auch vorbei."
    Damit fällt Sascha natürlich immer noch viel weicher als die meisten Ukrainer. Diejenigen, die ohnehin wenig verdient haben, leben heute richtiggehend arm. 90 Prozent können sich derzeit nicht mehr leisten als die allernötigsten Lebensmittel.
    Verbrecher haben bessere Autos
    Sascha dreht das Radio lauter. Am Maidan-Platz, wo vor einem Jahr so viele Menschen protestierten, stehen sechs Polizeiautos, aufgereiht wie im Autosalon. Die Radio-Moderatoren erklären, was damit auf sich hat: Die Bürger sollen abstimmen, welches Design die Polizeiwagen künftig haben sollen. Tatsächlich: Neben jedem ist eine kleine Urne platziert.
    Die Hörer, die in der Redaktion anrufen, haben dafür nur Spott übrig.
    "Die Verbrecher, die sie mit diesen Autos jagen, haben doch meistens einen Motor mit 250 PS. Da sind die Polizisten mit diesen Autos sowieso chancenlos. Und Computer haben sie auch nicht an Bord. Wenn die Polizisten nur mit ihren Stöckchen aus dem Fenstern herauswinken, so wie bisher, dann nützt ihnen auch das schönste Auto nichts."
    Die neue Verkehrspolizei werde nicht mehr so korrupt sein, sagt die Regierung. Dafür soll eine neue Vize-Ministerin sorgen, eine gebürtige Georgierin. Viele Beamte sollen entlassen werden. Aber hilft das? Sascha zuckt nur die Schultern. Fast demonstrativ überfährt er eine durchgezogene Linie, um über den Gehweg schneller in eine Seitenstraße zu kommen. Keine zehn Euro Schmiergeld würde das kosten, wenn ihn die Polizei erwischt hätte.
    "Die Mutter von meinem Freund ist vor Kurzem am Bauch operiert worden, es ging um Leben und Tod. Da hat der Narkosearzt gesagt: Bevor ich keine 100 Dollar bekomme, mache ich gar nichts. Ja, alle sind vorsichtiger geworden, alle haben Angst, dass es rauskommt, aber grundsätzlich sich an der Korruption nichts geändert."
    Sascha nickt mit seinem Kopf in Richtung eines schwarzen Jeeps, er steht vor einem Krankenhaus. 80.000 Euro kosteten die in der Ukraine, sagt er. Eigentlich unerschwinglich für einen Arzt.
    Gekaufte Demonstranten
    Gekauft seien auch die Demonstranten vor dem Kiewer Rathaus, sagt Sascha. Tatsächlich: Man sieht, wie sie nur dreihundert Meter weiter einen Schein in die Hand gedrückt bekommen. Konkurrenten von Politikern geben solche Mini-Demonstrationen in Auftrag, fast täglich. In diesem Fall sind es Konkurrenten von Bürgermeister Vitali Klitschko.
    "Unser Land ist wie ein Patient, der gerade eine schwere Operation hinter sich hat - und sofort wieder aufstehen und Sport treiben muss. Demonstrationen, egal von wem, sind da ein zweischneidiges Schwert. Einerseits müssen wir die Regierung dazu bringen, dass sie transparent arbeitet. Andererseits dürfen wir sie nicht stürzen. Denn darüber dürfte sich nur Russland freuen."
    Sascha ist Patriot. Trotzdem: Sterben würde er nicht für die Ukraine. Am Ende der Fahrt durch Kiew erzählt er ein kleines Geheimnis. Für den Fall, dass der Krieg zwischen Russland und der Ukraine voll ausbreche, habe er schon vorgesorgt.
    "Ich habe mich beim Katastrophenministerium anstellen lassen, als Feuerwehrmann. Da kann ich nicht eingezogen werden, so steht es im Gesetz. Jetzt muss ich dort jeden vierten Tag Dienst schieben, aber das ist es mir wert. Gut, dass andere diesen Trick nicht kennen, sonst wären die Stellen dort längst alle weg!"
    Sascha verabschiedet sich leise, ein bisschen peinlich war ihm sein Geständnis schon. Aber in der Hauptstadt Kiew, wo sich die Menschen schon immer privilegiert fühlten und das nötige Schmiergeld berappen können, drücken sich viele vor der Einberufung in die Armee.