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Korruption neben Kreml

Die russische Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen wegen des Verdachts der Veruntreuung von Millionensummen bei der Renovierung des Moskauer Bolschoi-Theaters aufgenommen. Das Theater war 2005 geschlossen worden, und mit der Wiedereröffnung ist frühestens in zwei Jahren zu rechnen.

Von Robert Baag | 16.09.2009
    Von der herbstlichen Nachmittagssonne mild bestrahlt, verströmt die klassizistische Fassade des Bolschoi-Theaters im Zentrum Moskaus lethargische Beschaulichkeit - unweit der Duma gelegen, jenseits der Straße konterkariert von der gewaltigen dunkel dräuenden Karl-Marx-Büste mit den unvermeidlichen Tauben auf des Denkers Kopf. Wäre da nicht der zweite Blick: Die Fassade, sie ist Attrappe.

    Seit geraumer Zeit verdeckt diese bedruckte Plane eine riesige Baustelle. Umgerechnet bis zu 21 Millionen Euro scheinen dort buchstäblich verbuddelt zu sein, mindestens der dreifache Betrag dessen, der ursprünglich einmal mit dem Bau¬träger vereinbart worden sein soll. Korruption, Amtsmissbrauch, Schlamperei - oder alles zusammen? Die Aufregung ist groß. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

    Klar ist im Augenblick nur eins: Vor 2011, also frühestens in zwei Jahren, ist wohl kaum damit zu rechnen, dass der Bühnenbetrieb in diesem national wie auch international bekannten und beliebten Großen Haus wieder starten kann. Eigentlich hätte die Saison dort schon vergangenes Jahr eröffnet werden sollen. 2005 war dies vollmundig verkündet worden, als die Renovierungsarbeiten begonnen hatten.

    Das federführende staatliche Komitee für - so der genaue Titel - "Konstruktion, Rekonstruktion und Restauration" ist derzeit für Fragen zu der vom Rechnungshof aufgelisteten Kostenexplosion ebenso wenig bereit öffentlich Stellung zu nehmen wie sein langjähriger Partner, ein seit 2003 beauftragter privater Bauträger, der auf den poetisch-schönen Firmentitel "Kurort-Projekt" hört. Ein Unternehmen, das es unter diesem Namen schon zu Sowjetzeiten gegeben hat, wie die Tageszeitung "Kommersant" jetzt herausfand. Für Aleksej Klimenko vom Moskauer Stadtbau-Komitee ist die causa "Bolschoi" nicht nur ein Skandal:

    "Das ist für unsere Kultur ein echtes Drama, was hier mit dem Bolschoi während der vergangenen zehn Jahre passiert: Eine Baustelle ohne jede Ordnung, ohne jeden Respekt und ohne Disziplin. Der Architekt ist immer an den Rand geschoben worden - diktiert und befohlen haben die Bauleute. Die aber, das ist bekannt, sind an Groß-Entscheidungen interessiert, damit man immer mehr in die Kostenvoranschläge hineinschreiben kann."

    Die Leitung des Bolschoi selbst sieht sich als Opfer, weist darauf hin, dass sie mit der jahrelangen Bautätigkeit, mit Einsatz und Verteilung der gewaltigen Finanzmittel überhaupt nichts zu tun habe. Bolschoi-Sprecherin Jekaterina Novikova im Sender "Echo Moskvy":

    "Seinerzeit ist eine Direktion für Restaurierung gegründet worden, die an das Kulturministerium angebunden war. Die Direktion des Bolschoi-Theaters kümmerte und kümmert sich währenddessen um den Erhalt der künstlerischen Truppe und um das Repertoire, bis unser liebes altes Haus endlich wieder repariert worden ist, wir dort wieder einziehen und den Moskauern auf würdige Weise wieder Aufführungen präsentieren können. Das ist unsere Aufgabe!"

    Geschmeidig-konziliant im Ton die Replik des amtierenden Kulturministers Aleksandr Avdeev. Der gelernte Berufsdiplomat, von vielen durchaus als kultivierter, höflich-leise auftretender Feingeist geschätzt, sieht die Farce um das renommierte Haus, das lange vor seinen reparaturbedingten Einschränkungen wegen konservativ-erstarrter, gelegentlich plüschiger Inszenierungen auch schon mal ironisch belä¬chelt worden ist, als Folge früherer politischer Fehler - alles vor seiner Zeit:

    "Das Bauprojekt ‚Bolschoi’ mit all seinen Problemen und Unzulänglichkeiten ist ein Spiegel unserer ökonomischen Zustände in Russland am Ende der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts. So wie Lew Tolstoj ein Spiegel des russischen Revolution gewesen ist, so lässt sich der Zustand des Bolschoi-Theaters als Spiegel der Umbruchzeit vor rund zehn Jahren betrachten.

    Aber noch einen Grund gibt es: Man hat damals die Moskauer Stadtregierung aus den Renovierungsarbeiten herausgedrängt. Für ein Bauvorhaben dieses Ranges im Zentrum der Stadt ist das absolut anomal. Man hat eine Atmosphäre geschaffen, die Oberbürgermeister Lushkov zum Rückzug veranlasst hat. Ich kann ihn verstehen!"

    Obwohl Lushkov eigentlich nicht gerade als schüchtern gilt - der Ball ist jedenfalls elegant aus dem eigenen Feld herausgespielt.

    Nun haben - vielleicht! - die Staatsanwälte das Wort. Der russischen Öffentlichkeit wird einmal mehr vorgeführt, dass die Staatsmacht getreu dem allerhöchsten Appell gegen alles anzugehen entschlossen ist, was nach Korruption auch nur riecht. - Vielleicht, so ätzen allerdings Kundige aus dem Umfeld des Bolschoi-Projekts, wird es tatsächlich den einen oder anderen mittleren Beamten erwischen, der den Hals nicht voll genug bekommen hat.

    Ob deshalb aber das bald zweihundert Jahre alte, ehrwürdige Gebäude um 50.000 Quadratmeter erweitert und mit der versprochenen Originalakkustik bis 2011 wirklich spielbereit sein wird ...? Viele sind es nicht, die heute für solch eine Ankündigung ihre Hand ins Feuer legen würden. Die Risse in der Außenfassade, ja, die dürften bis dahin vielleicht schon verspachtelt und übermalt worden sei, so spötteln sie lieber leise.