Eine Schule in der westukrainischen Kleinstadt Kremenets. Die große Pause hat begonnen. Ostap Semerak nimmt seine Krawatte ab und steckt sie in die Sackotasche. Er ist Abgeordneter der Verchowna Rada, des Parlaments der Ukraine und auf Wahlkampftour. Er spricht in Betrieben, Kindergärten und in der Schule. Derzeit hat er bis zu zehn Termine am Tag. Im Lehrerzimmer in Kremenets warten zwanzig potenzielle Wähler.
Ostap Semerak gehört zur Vereinigten Opposition von Julia Timoschenko, der Ikone der Orangenrevolution von 2004. Bis vor zwei Jahren waren Timoschenko und ihre Mitstreiter an der Regierung. Nach einer verlorenen Präsidentenwahl mussten sie gehen. Die Partei der Regionen von Wiktor Janukowitsch übernahm die Macht, gemeinsam mit den Kommunisten. Bei der Parlamentswahl am Sonntag wollen die "Orangen" nun zurück an die Regierung.
Sie kämpfen unter erschwerten Bedingungen. Julia Timoschenko sitzt im Gefängnis, ebenso wie Juri Luzenko, eine weitere Führungsfigur der Opposition. Beide wurden in offensichtlich politisch motivierten Prozessen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Und die Regierung lässt offenbar keine Möglichkeit aus, die politischen Gegner zu behindern. Im Südosten der Ukraine könnten sie fast gar nicht auftreten, klagt der Abgeordnete Semerak. Denn dort dominiert die Partei der Regionen von Präsident Janukowitsch.
"Dort tut die Regierung alles, um unsere Wahlveranstaltungen zu verbieten. Mir ist es mehrfach passiert, dass meine Auftritte abgesagt wurden, obwohl wir die Räume schon lange vorher gemietet hatten. Einmal hieß es, das Dach sei kaputt, ein anderes Mal, die Partei der Regionen habe den Raum schon vor uns reserviert."
Im Westen der Ukraine dagegen hat der Block Julia Timoschenko noch immer viele Anhänger. Dort kann Semerak ungestört auf die Regierung schimpfen. Bei den Lehrern kommt trotzdem keine Begeisterung auf. Müde sitzen sie hinter ihren Tischen, zwei blättern im Chemiebuch, tuscheln, andere dösen vor sich hin. Als die Pause zu Ende ist, springen die Lehrer beinahe erleichtert auf. Olga Scheremeta unterrichtet Deutsch.
"Vor der Wahl sind alle so: Ach, wir machen vieles, wir verändern das Leben, wir machen besser. Aber nach der Wahl, wenn wir das schon sehen, dann ändert sich etwas kaum für die einfachen Ukrainer. Jeder Politiker hat sein Geschäft. Sie machen alles, um ihr Geschäft besser zu machen, und nicht, das Leben der Ukrainer zu verbessern. Das war so vor Langem, und es ist so, und es bleibt auch so."
Dabei gäbe es viel, was verändert werden müsste, meint die Lehrerin.
"Gerechtigkeit vielleicht. Und dann mehr Gehalt. Und immer rechtzeitig. In der Schule haben wir auch sehr viele Probleme. Wir haben nicht genug Bücher zum Beispiel."
Umgerechnet 200 Euro verdient sie; in letzter Zeit werden nicht mal die voll ausgezahlt. Olga Scheremeta kommt gerade so damit zurecht.
"Ja, ich habe noch einen Mann, der verdient auch was. Dann wohnen wir zusammen mit den Schwiegereltern, wir brauchen keine Miete bezahlen, für das Essen und für die Kleidung."
Die Situation ist typisch, die sozialen Probleme in der Ukraine türmen sich. Einer Schätzung der Weltbank zufolge wird das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr mit zwei Prozent gerade mal halb so hoch wie erwartet ausfallen. Die Wirtschaft ist denn auch das Hauptthema in diesem Wahlkampf. Es geht nicht mehr um eine West- oder Ostorientierung des Landes, wie 2004, sondern um Arbeitsplätze, Gesundheitsversorgung, Renten. Und da habe die Regierung versagt, meint der Oppositionspolitiker Semerak.
"Die heutige Regierung der Ukraine ist korrupter als jede Regierung davor. Die Arbeitslosigkeit wächst. Der Lebensstandard sinkt. Im internationalen Vergleich wird die Ukraine für Investoren immer unattraktiver. Die Bevölkerung schrumpft. Die Sterblichkeit steigt. Diese Regierung muss abgelöst werden."
Die Partei der Regionen sieht das naturgemäß ganz anders. Sie seien die Garanten von Stabilität und künftigem Wohlstand, betont der Abgeordnete Leonid Koschara.
"In den letzten zwei Jahren hat sich unsere Gesellschaft sozial und wirtschaftlich stabilisiert. Dass wir die wirtschaftliche Lage verbessert haben, kann man mit einfachen Zahlen belegen: 2009 sank das Bruttosozialprodukt um 15 Prozent. Das war das schlechteste Ergebnis in ganz Europa."
2009 stand noch Julia Timoschenko an der Spitze der Regierung.
"2010 und 2011 dagegen wuchs die Wirtschaft um etwa fünf Prozent. Dieses Jahr wird sie weniger wachsen. Aber das liegt vor allem daran, dass wir viel Geld für die Fußball-Europameisterschaft ausgegeben haben."
Die Fußball Europameisterschaft: das Lieblingsthema von Ostap Semerak. Der Oppositionspolitiker ist bereits bei seinem nächsten Wahlkampftermin in einem Kindergarten in Kremenets. Erzieherinnen, Köchinnen, Putzfrauen sitzen auf langen Kinderbänkchen zu seinen Füßen. Die Europameisterschaft sei der größte Korruptionsfall in der Geschichte der Ukraine gewesen, sagt Semerak. Rund zehn Milliarden Euro hat die Ukraine ausgegeben, um das Fußballturnier auszurichten. Mindestens ein Drittel davon sei in dunklen Kanälen versackt, meint Semerak.
Er spricht von U-Bahn-Bänken im ostukrainischen Charkow, die so viel kosteten wie ein Kleinwagen, und vom Stadion in Kiew, das eines der teuersten der Welt wurde. Fakt ist, dass das Parlament der Regierung vor der EM erlaubt hatte, Bauaufträge im Rahmen des Fußballturniers ohne öffentliche Ausschreibungen zu vergeben. Dadurch wurden viele Projekte ungewöhnlich teuer. Die Beamten hätten daran kräftig mitverdient, wettert Semerak. Zulasten der Bevölkerung. Die Kindergärtnerinnen nicken. Kurz zuvor war ein Abgeordneter der regierenden Partei der Regionen bei ihnen. Er habe keinen guten Eindruck hinterlassen, erzählt eine Frau.
"Jetzt, vor der Wahl, lässt die Partei der Regionen in Kremenets die Straßen reparieren. Und sie hilft, Fenster auszuwechseln. Vor der Wahl spielen sie die Wohltäter, aber hinterher vergessen sie uns sowieso."
Sie lässt ihrem Frust freien Lauf.
"Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich das Land verlassen. Noch wichtiger ist mir, dass meine Kinder ausreisen. Mein Enkel ist drei Jahre alt. Lieber sähe ich ihn nur alle drei Jahre, wüsste aber, dass er in einem guten Land lebt. Meine Tochter steht kurz vor dem Abschluss ihres Studiums, sie hat keine Aussicht auf Arbeit, keine Möglichkeit eine eigene Wohnung zu finanzieren. Wir zahlen fast tausend Dollar im Jahr für ihre Ausbildung. Mein Mann fährt regelmäßig ins Ausland, um das Geld dafür zu verdienen. Unser Land ist schrecklich, und es gibt keine Stelle, die man um Unterstützung bitten könnte."
Der Vereinigten Opposition glaubt sie, dass sie im Fall eines Sieges tatsächlich etwas zum Besseren ändern würde. Sie glaubt aber nicht, dass die Opposition eine Chance hat, die Wahl zu gewinnen. Und so geht es vielen Ukrainern. Soziologen bescheinigen den Wählern eine große Apathie. Viele denken, der Sieg der Regierungspartei stehe ohnehin schon fest. Sie haben Gründe dafür.
Die Ukraine hat kürzlich das gemischte Wahlrecht wieder eingeführt. Wurden bis dahin alle Sitze im Parlament nach Listenplätzen vergeben, geht nun die Hälfte der Mandate an Direktkandidaten. In funktionierenden Demokratien ist das nicht schlimm, doch in der Ukraine kandidieren sehr häufig reiche Geschäftsleute. Offiziell sind sie parteilos, doch in Wirklichkeit stehen sie der Regierung nahe. Ihr Reichtum ermöglicht ihnen, die Wähler zu manipulieren. Von Stimmenkauf ist die Rede. Auch in Kremenets.
"Der Druck rund herum ist immens. Für jede Stimme wird gezahlt, bar oder mit Lebensmitteln, auf jede erdenkliche Weise. Bei uns im Kindergarten ist es noch gut, wir können wählen, wen wir wollen. Aber ich weiß, dass viele Leute Anrufe bekommen. Die Partei der Regionen bietet zurzeit 200 Griwna für eine Stimme an. Bei den letzten Wahlen waren es noch 80 Griwna. Und viele lassen sich darauf ein."
Die Ukrainische Politik hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, und das aus gutem Grund. Das Parlament ist seit Jahren voller Geschäftsleute. In den vergangenen Jahren wechselten sie das politische Lager wie das Unterhemd, je nachdem, was ihren geschäftlichen Interessen diente. Und sogar der einstige Hoffnungsträger Wiktor Juschtschenko, neben Julia Timoschenko einer der Helden der Orangen Revolution, hat seinen Ruf verspielt, weil er nach Ansicht vieler Ukrainer als Präsident seine Vertrauten begünstigte. Juschtschenkos Partei "Unsere Ukraine" wird, Umfragen zufolge, bei der Parlamentswahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.
Umso bessere Chancen haben neue Parteien. Drei nehmen zum ersten Mal an einer Parlamentswahl teil. Da ist zunächst die nationalistische Swoboda, Freiheit. Ihre Mitglieder präsentieren sich als Saubermänner. Swoboda kooperiert mit der Vereinigten Opposition um Julia Timoschenko.
"Vorwärts Ukraine" ist eine Gründung der Millionärin Natalja Koroljewska. Die 37-Jährige ist aber bereits seit gut zehn Jahren in der Politik. Mal unterstützte sie Janukowitsch, mal schloss sie sich dem Lager Timoschenkos an. In weiten Teilen der Bevölkerung hat sie sich deshalb vollständig diskreditiert.
Und dann ist da schließlich die Partei UDAR, die Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen des Box-Weltmeisters Witalij Klitschko. Udar heißt auf Deutsch "Schlag". Die Partei will mit Ehrlichkeit punkten und den Bedarf nach neuen Politikern decken, erläutert ihr stellvertretender Vorsitzender, Witalij Kowaltschuk.
"Unsere Wahlkampagne beruht auf zwei Prinzipien. Wir wollen beweisen, dass Politik in der Ukraine konsequent sein kann. Und wir wollen beweisen, dass wir dem Vertrauen, das die Menschen in uns setzen, gerecht werden. Es geht um unsere Reputation."
Wohl auch, um dem eigenen Ruf nicht zu schaden, hat Udar darauf verzichtet, sich der Vereinigten Opposition um Julia Timoschenko anzuschließen. Die beiden Parteien sprechen sich zwar in einigen Wahlkreisen ab: Der jeweils schwächere Direktkandidat verzichtet dort zugunsten des stärkeren. Aber sie haben keine gemeinsame Liste aufgestellt. Böse Zungen meinen deshalb, Klitschko werde nach der Wahl seine Opposition zu Janukowitsch aufgeben und eine Koalition mit der Partei der Regionen eingehen – wie schon so viele vor ihm.
Der Boxer hat das mehrfach dementiert. Die Menschen scheinen ihm zu vertrauen. In den letzten Wochen hat Udar in der Wählergunst rasant aufgeholt. Letzte Umfragen sehen die Partei bei rund zwanzig Prozent, in etwa gleich auf mit der Vereinigten Opposition um Timoschenko. Die Kommunisten kommen auf rund zehn Prozent, die Nationalisten auf knapp über fünf Prozent. Vorn liegt unangefochten die Partei der Regionen mit rund dreißig Prozent. Die Umfragen beziehen sich aber nur auf die Parteien und die Listenplätze. Entscheidend werden die Direktkandidaten sein.
Mittlerweile ist die Unanständigkeit der Politiker sogar in einer Studie dokumentiert. Die Initiative "Tschesno" hat alle Abgeordneten auf deren Ehrbarkeit überprüft. Tschesno heißt "ehrlich". Zwölf angesehene Nichtregierungsorganisationen haben sich in der Initiative zusammengeschlossen. Vier junge Leute hocken in einem kleinen Zimmer, hinter Computern. Inna Borsylo kramt Prospekte hervor, darauf eine Knoblauchzehe, das Symbol von Tschesno.
"Knoblauch ist unser Mittel im Kampf gegen politische Vampire. Es ist ein gutes Desinfektionsmittel. Wir wollen das Parlament desinfizieren."
Comics zeigen, wie Vampire in den Sitzungssaal des Parlaments einfallen, Parteibücher tauschen, Goldstücke scheffeln. Tschesno hat ein so genanntes "Tschesnometer", entwickelt, einen Anstandsmesser. Nicht anständig ist demnach, wer in Korruption verstrickt ist oder ein Einkommen angibt, das nicht seinem Lebensstil entspricht. Außerdem gilt als unanständig, wer in Reden Hass auf andere schürt, Parlamentssitzungen schwänzt, sich bei Abstimmungen von anderen vertreten lässt oder die Fraktion wechselt.
Die Informationen darüber entnahm Tschesno öffentlich zugänglichen, geprüften Quellen. Im Juli veröffentlichte die Initiative das Ergebnis, namentlich, im Internet. Den Test bestanden drei von 449 Abgeordneten. Anschließend prüfte Tschesno die Kandidaten der Parlamentswahl. Insgesamt etwa 2000.
"Wir wollten den Leuten neue Gesichter zeigen, wollten klar machen, dass in den Wahlkreisen auch anständige Menschen für ein Direktmandat kandidieren, dass es Menschen gibt, die es zu wählen lohnt. Leider war die zweite Statistik auch ziemlich schockierend. Wir haben festgestellt, dass etwa ein Drittel der Kandidaten unseren Kriterien nicht genügt. Vor allem legen sie ihre Einkünfte nicht offen.
Sie glauben ja nicht, wie viele Obdachlose wir unter den Kandidaten gefunden haben, die angeblich kein Wohneigentum besitzen. Oder Leute, die von den Einkünften ihrer Ehefrau, ihrer Schwägerin oder ihres Bruders leben. Das wäre ja nichts Schlimmes, nur lässt der Lebensstil dieser Leute auf ganz andere Vermögensverhältnisse schließen."
Am schlechtesten kommt im Test von Tschesno die Partei der Regionen weg. Zwei Drittel ihrer Kandidaten sind demnach in Korruption verwickelt. Auch der Parteivorsitzende, Staatspräsident Janukowitsch, und seine Familie stehen in der Kritik. Es geht vor allem um Janukowitschs älteren Sohn Olexander, Geschäftsmann in der Ostukraine. Sein Vermögen ist seit Amtsantritt des Vaters rasant gewachsen, die Zeitschrift Forbes zählt ihn zu den hundert reichsten Menschen der Ukraine.
Und der jüngere Sohn des Präsidenten, Wiktor Janukowitsch, heißt nicht nur wie der Vater, er sitzt auch im Parlament. Freedom House, ein der US-amerikanischen Regierung nahestehendes Institut, sprach jüngst von einer "Familiarisierung" der ukrainischen Politik. Der Abgeordnete Leonid Koschara von der Partei der Regionen ist empört.
"Ich kenne den jüngeren Sohn des Präsidenten aus der Fraktion. Natürlich haben ranghohe Politiker auch persönliche Interessen. Aber sie sprengen niemals den Rahmen des demokratischen Prozesses. Ich verfolge die Tätigkeit von Freedom House seit Langem. Diese Organisation ist im Hinblick auf die Ukraine nicht objektiv."
Der Sohn des Präsidenten steht im Tschesnometer, im Anstandsmesser, allerdings gar nicht gut da. Er hat gegen fünf der sechs Kriterien von Tschesno verstoßen. Und auch der Abgeordnete Leonid Koschara, der sich gerade noch so empört hat, kommt nicht gut weg. Mit ein paar Klicks ist die Aktivisten Inna Borsylo bei seiner Bilanz.
"Er legt seine Einkünfte nicht offen, sie stimmen nicht mit seinem Lebensstil überein. Er hat uns keine Deklaration geschickt, trotz unserer schriftlichen Anfrage. Wir meinen, wenn jemand seine Einkünfte nicht offenlegt, dann handelt er nicht transparent. Und das verstößt gegen unsere Kriterien.
Auch er hat sich bei der Stimmabgabe vertreten lassen. Und er hat sehr oft bei den Parlaments- und Ausschusssitzungen gefehlt. Nicht weniger interessant ist aber, dass es auch in der Opposition eine große Anzahl schwarzer Schafe gibt. Und zwar in allen politischen Parteien."
Vor allem aber in der Vaterlandspartei von Julia Timoschenko. Dort ist, so Tschesno, immerhin noch ein Viertel der Kandidaten korrupt. Ob und wie viele anständige Kandidaten in das neue Parlament kommen, wird auch davon abhängen, ob der Urnengang am Sonntag, die Stimmabgabe und die Auszählung, fair verlaufen.
Für die Ukraine steht einiges auf dem Spiel. Die Regierung möchte so schnell wie möglich ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union unterzeichnen. Auch die EU hat daran großes Interesse. Verschiedene EU-Politiker fordern jedoch, das Abkommen auf Eis zu legen, sollte die Parlamentswahl unfair verlaufen.
Einige sagen sogar, von fairen Wahlen könne von vornherein keine Rede sein, da die Oppositionsführer Julia Timoschenko und Juri Luzenko aufgrund politisch motivierter Haftstrafen von den Wahlen ausgeschlossen seien. Der Abgeordnete Leonid Koschara von der Partei der Regionen schließt Fälschungen am Sonntag so gut wie aus.
"Unsere Partei fühlt sich stark. Wir liegen vorn. Deshalb hätte es für uns gar keinen Sinn, diese Wahlen zu fälschen. Im Gegenteil: Wir sind wie kein anderer daran interessiert, dass diese Wahlen fair ablaufen. Und das sagen wir all unseren Strukturen, von der Hauptstadt bis hinunter in die Wahlbezirke."
Die Opposition glaubt dem nicht. Die Regierung habe zu viel zu verlieren, meint der oppositionelle Abgeordnete Ostap Semerak. Die Oppositionsparteien haben angekündigt, nach einem Wahlsieg strafrechtliche Verfahren gegen jene Politiker und Beamten einzuleiten, die sich in den vergangenen Jahren nachweislich illegal bereichert haben. Semerak ist sich sicher:
"Das Regime hat in vielen Bereichen die Grenze des Legalen überschritten. Daher wird es mit allen Mitteln um den Machtwechsel kämpfen. Auch mit Ungesetzlichen."
2004 waren die Ukrainer in Massen gegen Wahlbetrug auf die Straße gegangen. Sie hatten damit die Orange Revolution ausgelöst. Auch Oleksandr Tschernenko war damals unter den Demonstranten. Er leitet das Komitee der Wähler der Ukraine und hat seit 1994 alle Wahlen in der Ukraine beobachtet. Tscherenko glaubt nicht, dass dies Mal etwas Ähnliches passiert.
"2004 standen die Leute bis auf die Straße Schlange, um sich bei uns als Wahlbeobachter registrieren zu lassen. Davon ist nichts mehr übrig. Umfragen haben ergeben, dass heute nur noch 15 Prozent der Bevölkerung bereit sind, sich an Protesten zu beteiligen. Ich erwarte keine großen Proteste nach dieser Wahl. Außerdem gibt es keine politische Führungsfigur, die die Leute unterstützen würden. Diese Wahlen sind nur eine Übung für die Präsidentenwahl 2015."
Ostap Semerak gehört zur Vereinigten Opposition von Julia Timoschenko, der Ikone der Orangenrevolution von 2004. Bis vor zwei Jahren waren Timoschenko und ihre Mitstreiter an der Regierung. Nach einer verlorenen Präsidentenwahl mussten sie gehen. Die Partei der Regionen von Wiktor Janukowitsch übernahm die Macht, gemeinsam mit den Kommunisten. Bei der Parlamentswahl am Sonntag wollen die "Orangen" nun zurück an die Regierung.
Sie kämpfen unter erschwerten Bedingungen. Julia Timoschenko sitzt im Gefängnis, ebenso wie Juri Luzenko, eine weitere Führungsfigur der Opposition. Beide wurden in offensichtlich politisch motivierten Prozessen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Und die Regierung lässt offenbar keine Möglichkeit aus, die politischen Gegner zu behindern. Im Südosten der Ukraine könnten sie fast gar nicht auftreten, klagt der Abgeordnete Semerak. Denn dort dominiert die Partei der Regionen von Präsident Janukowitsch.
"Dort tut die Regierung alles, um unsere Wahlveranstaltungen zu verbieten. Mir ist es mehrfach passiert, dass meine Auftritte abgesagt wurden, obwohl wir die Räume schon lange vorher gemietet hatten. Einmal hieß es, das Dach sei kaputt, ein anderes Mal, die Partei der Regionen habe den Raum schon vor uns reserviert."
Im Westen der Ukraine dagegen hat der Block Julia Timoschenko noch immer viele Anhänger. Dort kann Semerak ungestört auf die Regierung schimpfen. Bei den Lehrern kommt trotzdem keine Begeisterung auf. Müde sitzen sie hinter ihren Tischen, zwei blättern im Chemiebuch, tuscheln, andere dösen vor sich hin. Als die Pause zu Ende ist, springen die Lehrer beinahe erleichtert auf. Olga Scheremeta unterrichtet Deutsch.
"Vor der Wahl sind alle so: Ach, wir machen vieles, wir verändern das Leben, wir machen besser. Aber nach der Wahl, wenn wir das schon sehen, dann ändert sich etwas kaum für die einfachen Ukrainer. Jeder Politiker hat sein Geschäft. Sie machen alles, um ihr Geschäft besser zu machen, und nicht, das Leben der Ukrainer zu verbessern. Das war so vor Langem, und es ist so, und es bleibt auch so."
Dabei gäbe es viel, was verändert werden müsste, meint die Lehrerin.
"Gerechtigkeit vielleicht. Und dann mehr Gehalt. Und immer rechtzeitig. In der Schule haben wir auch sehr viele Probleme. Wir haben nicht genug Bücher zum Beispiel."
Umgerechnet 200 Euro verdient sie; in letzter Zeit werden nicht mal die voll ausgezahlt. Olga Scheremeta kommt gerade so damit zurecht.
"Ja, ich habe noch einen Mann, der verdient auch was. Dann wohnen wir zusammen mit den Schwiegereltern, wir brauchen keine Miete bezahlen, für das Essen und für die Kleidung."
Die Situation ist typisch, die sozialen Probleme in der Ukraine türmen sich. Einer Schätzung der Weltbank zufolge wird das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr mit zwei Prozent gerade mal halb so hoch wie erwartet ausfallen. Die Wirtschaft ist denn auch das Hauptthema in diesem Wahlkampf. Es geht nicht mehr um eine West- oder Ostorientierung des Landes, wie 2004, sondern um Arbeitsplätze, Gesundheitsversorgung, Renten. Und da habe die Regierung versagt, meint der Oppositionspolitiker Semerak.
"Die heutige Regierung der Ukraine ist korrupter als jede Regierung davor. Die Arbeitslosigkeit wächst. Der Lebensstandard sinkt. Im internationalen Vergleich wird die Ukraine für Investoren immer unattraktiver. Die Bevölkerung schrumpft. Die Sterblichkeit steigt. Diese Regierung muss abgelöst werden."
Die Partei der Regionen sieht das naturgemäß ganz anders. Sie seien die Garanten von Stabilität und künftigem Wohlstand, betont der Abgeordnete Leonid Koschara.
"In den letzten zwei Jahren hat sich unsere Gesellschaft sozial und wirtschaftlich stabilisiert. Dass wir die wirtschaftliche Lage verbessert haben, kann man mit einfachen Zahlen belegen: 2009 sank das Bruttosozialprodukt um 15 Prozent. Das war das schlechteste Ergebnis in ganz Europa."
2009 stand noch Julia Timoschenko an der Spitze der Regierung.
"2010 und 2011 dagegen wuchs die Wirtschaft um etwa fünf Prozent. Dieses Jahr wird sie weniger wachsen. Aber das liegt vor allem daran, dass wir viel Geld für die Fußball-Europameisterschaft ausgegeben haben."
Die Fußball Europameisterschaft: das Lieblingsthema von Ostap Semerak. Der Oppositionspolitiker ist bereits bei seinem nächsten Wahlkampftermin in einem Kindergarten in Kremenets. Erzieherinnen, Köchinnen, Putzfrauen sitzen auf langen Kinderbänkchen zu seinen Füßen. Die Europameisterschaft sei der größte Korruptionsfall in der Geschichte der Ukraine gewesen, sagt Semerak. Rund zehn Milliarden Euro hat die Ukraine ausgegeben, um das Fußballturnier auszurichten. Mindestens ein Drittel davon sei in dunklen Kanälen versackt, meint Semerak.
Er spricht von U-Bahn-Bänken im ostukrainischen Charkow, die so viel kosteten wie ein Kleinwagen, und vom Stadion in Kiew, das eines der teuersten der Welt wurde. Fakt ist, dass das Parlament der Regierung vor der EM erlaubt hatte, Bauaufträge im Rahmen des Fußballturniers ohne öffentliche Ausschreibungen zu vergeben. Dadurch wurden viele Projekte ungewöhnlich teuer. Die Beamten hätten daran kräftig mitverdient, wettert Semerak. Zulasten der Bevölkerung. Die Kindergärtnerinnen nicken. Kurz zuvor war ein Abgeordneter der regierenden Partei der Regionen bei ihnen. Er habe keinen guten Eindruck hinterlassen, erzählt eine Frau.
"Jetzt, vor der Wahl, lässt die Partei der Regionen in Kremenets die Straßen reparieren. Und sie hilft, Fenster auszuwechseln. Vor der Wahl spielen sie die Wohltäter, aber hinterher vergessen sie uns sowieso."
Sie lässt ihrem Frust freien Lauf.
"Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich das Land verlassen. Noch wichtiger ist mir, dass meine Kinder ausreisen. Mein Enkel ist drei Jahre alt. Lieber sähe ich ihn nur alle drei Jahre, wüsste aber, dass er in einem guten Land lebt. Meine Tochter steht kurz vor dem Abschluss ihres Studiums, sie hat keine Aussicht auf Arbeit, keine Möglichkeit eine eigene Wohnung zu finanzieren. Wir zahlen fast tausend Dollar im Jahr für ihre Ausbildung. Mein Mann fährt regelmäßig ins Ausland, um das Geld dafür zu verdienen. Unser Land ist schrecklich, und es gibt keine Stelle, die man um Unterstützung bitten könnte."
Der Vereinigten Opposition glaubt sie, dass sie im Fall eines Sieges tatsächlich etwas zum Besseren ändern würde. Sie glaubt aber nicht, dass die Opposition eine Chance hat, die Wahl zu gewinnen. Und so geht es vielen Ukrainern. Soziologen bescheinigen den Wählern eine große Apathie. Viele denken, der Sieg der Regierungspartei stehe ohnehin schon fest. Sie haben Gründe dafür.
Die Ukraine hat kürzlich das gemischte Wahlrecht wieder eingeführt. Wurden bis dahin alle Sitze im Parlament nach Listenplätzen vergeben, geht nun die Hälfte der Mandate an Direktkandidaten. In funktionierenden Demokratien ist das nicht schlimm, doch in der Ukraine kandidieren sehr häufig reiche Geschäftsleute. Offiziell sind sie parteilos, doch in Wirklichkeit stehen sie der Regierung nahe. Ihr Reichtum ermöglicht ihnen, die Wähler zu manipulieren. Von Stimmenkauf ist die Rede. Auch in Kremenets.
"Der Druck rund herum ist immens. Für jede Stimme wird gezahlt, bar oder mit Lebensmitteln, auf jede erdenkliche Weise. Bei uns im Kindergarten ist es noch gut, wir können wählen, wen wir wollen. Aber ich weiß, dass viele Leute Anrufe bekommen. Die Partei der Regionen bietet zurzeit 200 Griwna für eine Stimme an. Bei den letzten Wahlen waren es noch 80 Griwna. Und viele lassen sich darauf ein."
Die Ukrainische Politik hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, und das aus gutem Grund. Das Parlament ist seit Jahren voller Geschäftsleute. In den vergangenen Jahren wechselten sie das politische Lager wie das Unterhemd, je nachdem, was ihren geschäftlichen Interessen diente. Und sogar der einstige Hoffnungsträger Wiktor Juschtschenko, neben Julia Timoschenko einer der Helden der Orangen Revolution, hat seinen Ruf verspielt, weil er nach Ansicht vieler Ukrainer als Präsident seine Vertrauten begünstigte. Juschtschenkos Partei "Unsere Ukraine" wird, Umfragen zufolge, bei der Parlamentswahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.
Umso bessere Chancen haben neue Parteien. Drei nehmen zum ersten Mal an einer Parlamentswahl teil. Da ist zunächst die nationalistische Swoboda, Freiheit. Ihre Mitglieder präsentieren sich als Saubermänner. Swoboda kooperiert mit der Vereinigten Opposition um Julia Timoschenko.
"Vorwärts Ukraine" ist eine Gründung der Millionärin Natalja Koroljewska. Die 37-Jährige ist aber bereits seit gut zehn Jahren in der Politik. Mal unterstützte sie Janukowitsch, mal schloss sie sich dem Lager Timoschenkos an. In weiten Teilen der Bevölkerung hat sie sich deshalb vollständig diskreditiert.
Und dann ist da schließlich die Partei UDAR, die Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen des Box-Weltmeisters Witalij Klitschko. Udar heißt auf Deutsch "Schlag". Die Partei will mit Ehrlichkeit punkten und den Bedarf nach neuen Politikern decken, erläutert ihr stellvertretender Vorsitzender, Witalij Kowaltschuk.
"Unsere Wahlkampagne beruht auf zwei Prinzipien. Wir wollen beweisen, dass Politik in der Ukraine konsequent sein kann. Und wir wollen beweisen, dass wir dem Vertrauen, das die Menschen in uns setzen, gerecht werden. Es geht um unsere Reputation."
Wohl auch, um dem eigenen Ruf nicht zu schaden, hat Udar darauf verzichtet, sich der Vereinigten Opposition um Julia Timoschenko anzuschließen. Die beiden Parteien sprechen sich zwar in einigen Wahlkreisen ab: Der jeweils schwächere Direktkandidat verzichtet dort zugunsten des stärkeren. Aber sie haben keine gemeinsame Liste aufgestellt. Böse Zungen meinen deshalb, Klitschko werde nach der Wahl seine Opposition zu Janukowitsch aufgeben und eine Koalition mit der Partei der Regionen eingehen – wie schon so viele vor ihm.
Der Boxer hat das mehrfach dementiert. Die Menschen scheinen ihm zu vertrauen. In den letzten Wochen hat Udar in der Wählergunst rasant aufgeholt. Letzte Umfragen sehen die Partei bei rund zwanzig Prozent, in etwa gleich auf mit der Vereinigten Opposition um Timoschenko. Die Kommunisten kommen auf rund zehn Prozent, die Nationalisten auf knapp über fünf Prozent. Vorn liegt unangefochten die Partei der Regionen mit rund dreißig Prozent. Die Umfragen beziehen sich aber nur auf die Parteien und die Listenplätze. Entscheidend werden die Direktkandidaten sein.
Mittlerweile ist die Unanständigkeit der Politiker sogar in einer Studie dokumentiert. Die Initiative "Tschesno" hat alle Abgeordneten auf deren Ehrbarkeit überprüft. Tschesno heißt "ehrlich". Zwölf angesehene Nichtregierungsorganisationen haben sich in der Initiative zusammengeschlossen. Vier junge Leute hocken in einem kleinen Zimmer, hinter Computern. Inna Borsylo kramt Prospekte hervor, darauf eine Knoblauchzehe, das Symbol von Tschesno.
"Knoblauch ist unser Mittel im Kampf gegen politische Vampire. Es ist ein gutes Desinfektionsmittel. Wir wollen das Parlament desinfizieren."
Comics zeigen, wie Vampire in den Sitzungssaal des Parlaments einfallen, Parteibücher tauschen, Goldstücke scheffeln. Tschesno hat ein so genanntes "Tschesnometer", entwickelt, einen Anstandsmesser. Nicht anständig ist demnach, wer in Korruption verstrickt ist oder ein Einkommen angibt, das nicht seinem Lebensstil entspricht. Außerdem gilt als unanständig, wer in Reden Hass auf andere schürt, Parlamentssitzungen schwänzt, sich bei Abstimmungen von anderen vertreten lässt oder die Fraktion wechselt.
Die Informationen darüber entnahm Tschesno öffentlich zugänglichen, geprüften Quellen. Im Juli veröffentlichte die Initiative das Ergebnis, namentlich, im Internet. Den Test bestanden drei von 449 Abgeordneten. Anschließend prüfte Tschesno die Kandidaten der Parlamentswahl. Insgesamt etwa 2000.
"Wir wollten den Leuten neue Gesichter zeigen, wollten klar machen, dass in den Wahlkreisen auch anständige Menschen für ein Direktmandat kandidieren, dass es Menschen gibt, die es zu wählen lohnt. Leider war die zweite Statistik auch ziemlich schockierend. Wir haben festgestellt, dass etwa ein Drittel der Kandidaten unseren Kriterien nicht genügt. Vor allem legen sie ihre Einkünfte nicht offen.
Sie glauben ja nicht, wie viele Obdachlose wir unter den Kandidaten gefunden haben, die angeblich kein Wohneigentum besitzen. Oder Leute, die von den Einkünften ihrer Ehefrau, ihrer Schwägerin oder ihres Bruders leben. Das wäre ja nichts Schlimmes, nur lässt der Lebensstil dieser Leute auf ganz andere Vermögensverhältnisse schließen."
Am schlechtesten kommt im Test von Tschesno die Partei der Regionen weg. Zwei Drittel ihrer Kandidaten sind demnach in Korruption verwickelt. Auch der Parteivorsitzende, Staatspräsident Janukowitsch, und seine Familie stehen in der Kritik. Es geht vor allem um Janukowitschs älteren Sohn Olexander, Geschäftsmann in der Ostukraine. Sein Vermögen ist seit Amtsantritt des Vaters rasant gewachsen, die Zeitschrift Forbes zählt ihn zu den hundert reichsten Menschen der Ukraine.
Und der jüngere Sohn des Präsidenten, Wiktor Janukowitsch, heißt nicht nur wie der Vater, er sitzt auch im Parlament. Freedom House, ein der US-amerikanischen Regierung nahestehendes Institut, sprach jüngst von einer "Familiarisierung" der ukrainischen Politik. Der Abgeordnete Leonid Koschara von der Partei der Regionen ist empört.
"Ich kenne den jüngeren Sohn des Präsidenten aus der Fraktion. Natürlich haben ranghohe Politiker auch persönliche Interessen. Aber sie sprengen niemals den Rahmen des demokratischen Prozesses. Ich verfolge die Tätigkeit von Freedom House seit Langem. Diese Organisation ist im Hinblick auf die Ukraine nicht objektiv."
Der Sohn des Präsidenten steht im Tschesnometer, im Anstandsmesser, allerdings gar nicht gut da. Er hat gegen fünf der sechs Kriterien von Tschesno verstoßen. Und auch der Abgeordnete Leonid Koschara, der sich gerade noch so empört hat, kommt nicht gut weg. Mit ein paar Klicks ist die Aktivisten Inna Borsylo bei seiner Bilanz.
"Er legt seine Einkünfte nicht offen, sie stimmen nicht mit seinem Lebensstil überein. Er hat uns keine Deklaration geschickt, trotz unserer schriftlichen Anfrage. Wir meinen, wenn jemand seine Einkünfte nicht offenlegt, dann handelt er nicht transparent. Und das verstößt gegen unsere Kriterien.
Auch er hat sich bei der Stimmabgabe vertreten lassen. Und er hat sehr oft bei den Parlaments- und Ausschusssitzungen gefehlt. Nicht weniger interessant ist aber, dass es auch in der Opposition eine große Anzahl schwarzer Schafe gibt. Und zwar in allen politischen Parteien."
Vor allem aber in der Vaterlandspartei von Julia Timoschenko. Dort ist, so Tschesno, immerhin noch ein Viertel der Kandidaten korrupt. Ob und wie viele anständige Kandidaten in das neue Parlament kommen, wird auch davon abhängen, ob der Urnengang am Sonntag, die Stimmabgabe und die Auszählung, fair verlaufen.
Für die Ukraine steht einiges auf dem Spiel. Die Regierung möchte so schnell wie möglich ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union unterzeichnen. Auch die EU hat daran großes Interesse. Verschiedene EU-Politiker fordern jedoch, das Abkommen auf Eis zu legen, sollte die Parlamentswahl unfair verlaufen.
Einige sagen sogar, von fairen Wahlen könne von vornherein keine Rede sein, da die Oppositionsführer Julia Timoschenko und Juri Luzenko aufgrund politisch motivierter Haftstrafen von den Wahlen ausgeschlossen seien. Der Abgeordnete Leonid Koschara von der Partei der Regionen schließt Fälschungen am Sonntag so gut wie aus.
"Unsere Partei fühlt sich stark. Wir liegen vorn. Deshalb hätte es für uns gar keinen Sinn, diese Wahlen zu fälschen. Im Gegenteil: Wir sind wie kein anderer daran interessiert, dass diese Wahlen fair ablaufen. Und das sagen wir all unseren Strukturen, von der Hauptstadt bis hinunter in die Wahlbezirke."
Die Opposition glaubt dem nicht. Die Regierung habe zu viel zu verlieren, meint der oppositionelle Abgeordnete Ostap Semerak. Die Oppositionsparteien haben angekündigt, nach einem Wahlsieg strafrechtliche Verfahren gegen jene Politiker und Beamten einzuleiten, die sich in den vergangenen Jahren nachweislich illegal bereichert haben. Semerak ist sich sicher:
"Das Regime hat in vielen Bereichen die Grenze des Legalen überschritten. Daher wird es mit allen Mitteln um den Machtwechsel kämpfen. Auch mit Ungesetzlichen."
2004 waren die Ukrainer in Massen gegen Wahlbetrug auf die Straße gegangen. Sie hatten damit die Orange Revolution ausgelöst. Auch Oleksandr Tschernenko war damals unter den Demonstranten. Er leitet das Komitee der Wähler der Ukraine und hat seit 1994 alle Wahlen in der Ukraine beobachtet. Tscherenko glaubt nicht, dass dies Mal etwas Ähnliches passiert.
"2004 standen die Leute bis auf die Straße Schlange, um sich bei uns als Wahlbeobachter registrieren zu lassen. Davon ist nichts mehr übrig. Umfragen haben ergeben, dass heute nur noch 15 Prozent der Bevölkerung bereit sind, sich an Protesten zu beteiligen. Ich erwarte keine großen Proteste nach dieser Wahl. Außerdem gibt es keine politische Führungsfigur, die die Leute unterstützen würden. Diese Wahlen sind nur eine Übung für die Präsidentenwahl 2015."