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Korruption und Proteste
Wie geeignet ist Rumänien für den EU-Ratsvorsitz?

Korruption, Gewalt gegen Demonstranten, Austausch von Richtern: In Rumänien wächst der Widerstand gegen die regierende PSD. Viele Parteimitglieder sind rechtskräftig verurteilt oder es wird gegen sie ermittelt. Keine guten Voraussetzungen für den EU-Ratsvorsitz unter Premierministerin Viorica Dancila.

Von Manfred Götzke und Leila Knüppel |
    EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Rumäniens Regierunschefin Viorica Dancila in Bukarest
    Viele zweifeln daran, ob Rumänien in der Lage ist, die EU-Präsidentschaft zu meistern (AFP/ Daniel Mihailescu)
    Carmen Guirgiu zählt die Unterschriften zusammen, die Aktivisten in ganz Rumänien gesammelt haben: "Wir haben bis jetzt schon 110.000 – aus dem ganzen Land." Genug, um ihr Anliegen als Gesetzentwurf ins Parlament einzubringen. "Neue Leute in der Politik" heißt es. Es soll die Hürden für neue Parteien und Kandidaten senken. Denn die Politiker, die zurzeit die Geschicke Rumäniens bestimmen, sind ihr zu korrupt: "Ich arbeite hier, weil ich nicht will, dass mein Sohn Rumänien verlässt. Es muss sich einfach etwas ändern im Land. Wenn wir alle nur auf der Stelle treten, dann passiert nichts."
    Die 48-Jährige ist Projektmanagerin bei der Oppositionspartei USR, "Union zur Rettung Rumäniens", die gemeinsam mit mehreren NGOs und Parteien die Initiative gestartet hat: "Ich habe eigentlich einen Schmuckladen in Bukarest, aber seit anderthalb Jahren engagiere ich mich hier. Weil ich etwas bewegen möchte. Ich habe mein normales Leben auf 'Hold' gestellt."
    "Es ist ein Höllenjob im Moment"
    Eine Etage höher, im Konferenzraum der Bukarester Parteizentrale der USR hat Dan Barna einen toten Käfer auf seinem Schreibtisch entdeckt. Der Parteichef wickelt ihn in ein Papier und wirft ihn mit gekonntem Basketballwurf quer durch den Raum in den Mülleimer. Getroffen. Wenn sich doch alle Probleme so leicht lösen ließen.

    "Es ist ein Höllenjob momentan, wir haben die EU-Präsidentschaft, dann sind dieses Jahr noch zwei Wahlen, EU-Wahlen und am Ende des Jahres die Präsidentenwahl hier in Rumänien – wo wir noch überlegen ob wir einen eigenen Kandidaten stellen oder eine Allianz bilden."
    Barnas Partei ist aus der Protestbewegung gegen Korruption heraus entstanden, seit 2016 ist sie mit zehn Prozent im Parlament vertreten; der schärfste Gegner der regierenden postkommunistischen PSD, in deren Reihen sich zahlreiche wegen Korruption verurteilte Politiker finden. Und die, seit sie regiert, eigentlich nur ein Programm verfolgt: durch neue Justizgesetze eine Strafverfolgung ihrer führenden Politiker zu vermeiden. PSD-Chef Liviu Dragnea inklusive.
    "2019 hätte das beste Jahr überhaupt für Rumänien sein können: Wir feiern momentan 100 Jahre Nationalstaat. Wir haben die Ratspräsidentschaft inne. Noch nie hatte unser Land in seiner Geschichte, die Chance, in Europa so viel Einfluss zu nehmen. Doch was passiert: Stattdessen agieren die Sozialdemokraten als private Anwaltskanzlei von Herrn Dragnea. Alles was sie machen ist, ihre Justizreform irgendwie durchzubringen."
    Zur Äußerung von Kommissionspräsident Juncker, die rumänische Regierung sei sich nicht bewusst, was es heiße, die EU zu führen, Rumänien sei nicht vorbereitet - da zuckt Barna nur mit den Schultern:
    "Ich meine, seit zwei Jahren kritisiert Brüssel - zu Recht - dass sich Rumänien mehr auf die Demokratie, mehr auf die Wirtschaft fokussieren soll, mehr darauf, Teil der europäischen Familie zu sein, anstatt die unabhängige Justiz zu zerstören. Also, dass Rumänien jetzt nicht besonders vorbereitet daherkommt, ist keine Überraschung."
    Demokratie jeden Tag aufs Neue verteidigen
    Alles, was Rumänien auf seiner offiziellen Facebook-Seite zur Ratspräsidentschaft bisher zu bieten hat, seien traditionelle Kochrezepte, erzählt Barnas Assistentin, die beim Interview mit dabei ist. Realsatire eigentlich, doch Barna glaubt dass die Zivilgesellschaft daran wachsen kann:
    "Demokratie und Rechtsstaat waren noch nie so stark unter Druck wie in den letzten zwei Jahren. Aber die Leute merken jetzt, dass die Demokratie jeden Tag aufs Neue verteidigt werden muss. Wer hätte 2017 gedacht, dass 600.000 Menschen auf die Straße gehen, um gegen die PSD zu demonstrieren. Und sie protestieren weiter, leisten Widerstand – obwohl die Regierung jede rote Linie überschreitet und friedliche Demonstrationen brutal niederschlägt, wie im letzten August."
    James Brown schallt durch die Fußgängerzone von Alexandria, eine Stadt 100 Kilometer südlich von Bukarest. Die Funkmusik kommt aus scheppernden Lautsprechern an den Laternenpfählen, legt sich über heruntergekommenen sozialistischen Wohnblocks und Discounter, lässt alles noch grauer und trister erscheinen. Der Bezirk Teleorman, zu dem Alexandria gehört, ist einer der ärmsten in Rumänien. Und zugleich die Heimat von Liviu Dragnea, der korrupte Parteichef der regierenden PSD.

    "Ich wähle die PSD – na klar. Die schafft gute Bedingungen für Rentner zum Beispiel."
    Auch unter den grauen Gestalten, die sich in dicken Winterjacken zum Supermarkt schleppen, hat die PSD und ihr Chef noch viele Anhänger. Die letzten Wahlen 2016 hat sie mit 46 Prozent klar gewonnen. Allerdings sind damals nur 40 Prozent überhaupt zur Wahl gegangen.
    "Ich fürchte, dieses Jahr werden wir die letzte wirklich freie Wahl hier haben"
    In einem kleinen Café hinter der Kirche von Alexandria treffen wir Carmen Dumitrescu. Die Journalistin betreibt einen Blog, in dem sie über Korruptionsfälle hier in Teleorman und in Bukarest berichtet. Gerade hat sie eine dicke Erkältung hinter sich, und sieht auch sonst alles düster.
    "Ich würde Rumänien mittlerweile eher mit der Türkei vergleichen als mit Ungarn oder Polen. Ich fürchte, dieses Jahr werden wir die letzte wirklich freie Wahl hier haben. So wie die Dinge sich hier entwickeln. Das Land bewegt sich immer weiter in Richtung Autoritarismus. Das spürt man."
    Die Karriere des momentan mächtigsten Politikers Rumäniens, Liviu Dragnea, verfolgt sie seit Anbeginn, inklusive der zahlreichen Prozesse gegen ihn. Dragnea ist vorbestraft wegen Wahlbetrugs. Im Sommer wurde er außerdem in erster Instanz wegen Amtsmissbrauch zu 3,5 Jahren Haft verurteilt. Nun entscheidet die nächste Instanz.
    "Sie tauschen jetzt alle Richter aus. Wir sind sehr enttäuscht von dem, was hier passiert. Diese Leute, die Kriminelle sind, oder sagen wir, die massive Probleme mit der Justiz haben, werden ihrer Strafe wohl entgehen. Also wenn man sich die Richter ansieht, die jetzt über ihn urteilen werden die werden in seinem Sinne Urteilen. Das ist klar mein Eindruck."
    Statt dass Dragnea ins Gefängnis geht, glaubt sie, dass er bei der Wahl zum Staatspräsidenten Ende des Jahres kandidiert – und gewinnt.
    "Das ist sein großer Traum, seit er hier in Teleroman seine Karriere begonnen hat, er wollte immer Präsident werden. Und er hat gute Chancen. Warum, weil er die PSD im Rücken hat. Würde die PSD ein Huhn aufstellen, würde das Huhn die Wahl gewinnen. Wenn Dragnea kandidiert mit der PSD im Rücken, wird er gewinnen."
    Aus Rumänien weggehen, das kommt für Dumitrescu trotzdem nicht infrage. Auch wenn sie mehr mit der politischen Situation hadert, als viele andere Aktivisten. Ob sie weiter als Journalistin arbeiten wird, weiß sie aber nicht. Wegen ihrer kritischen Nachfragen werde sie mittlerweile kaum mehr in eine Behörde hier in Alexandria reingelassen, erzählt sie. Dann zeigt sie uns lieber ein paar Baby-Bilder von ihrem Neffen auf ihrem Handy. Der sei jetzt Mittelpunkt ihres Lebens.