Archiv

Korruptionsbekämpfung
"Niemand ist in Rumänien mehr sakrosankt"

Nach Einschätzung der Konrad Adenauer Stiftung funktioniert die Korruptionsbekämpfung in Rumänien gut. Es gebe Tausende Verfahren in dem Land, sagte der Leiter des Bukarester Stiftungsbüros, Martin Sieg, im DLF. Frühere Premierminister und Oligarchen seien im Gefängnis, niemand sei mehr sakrosankt.

Martin Sieg im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Proteste im rumänischen Bukarest
    Proteste im rumänischen Bukarest (picture-alliance / dpa / Robert Ghement )
    Die Gesetze seien streng und die Anti-Korruptionsbehörden stark. Mehr als 500.000 Bürger seien zur Verteidigung des Rechtsstaates auf die Straße gegangen. Sieg sprach von einem Erfolg der Zivilgesellschaft. Er glaube aber nicht, dass die überwiegende Zahl der Demonstranten den Rücktritt der Regierung wolle. Im Kern habe man die demokratische Wahl akzeptiert. Sieg geht davon aus, dass die jetzige Regierung wieder die Zustimmung der Wähler erhalten würde. Die Regierungspartei PSD habe ihre Wahlversprechen gegenüber ihren Anhängern aus dem ländlichen Raum, die eher älter und abhängig seien, erfüllt. Für diese Menschen habe man die Renten und den Mindestlohn erhöht. Kritik habe es aber an der Regierungsführung und der urspünglich geplanten Einschränkung der Korruptionsbekämpfung gegeben. Sieg sprach von einem tiefen Misstrauen, "das Land bleibe polarisiert".

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Der Maßstab, das ist in Rumänien klar, ist die Revolution von 1989, die zum Sturz des kommunistischen Diktators Ceausescu führte. Und da sind die Proteste, die das EU-Mitglied im Februar erlebt, die größten und lautesten seit Ende der 80er-Jahre. Ende Januar hatte die neu gewählte Regierung in Bukarest ein Dekret vorgelegt, wonach die Strafbarkeit von Amtsmissbrauch auf Fälle reduziert werden sollte, deren Schadenssumme bei mehr als 45.000 Euro liegt. Das wäre ein tiefer Einschnitt in den Kampf gegen die Korruption in dem Land gewesen, und mehrere Hunderttausend Menschen gingen dagegen auf die Straße, die Regierung ruderte zurück. Aber die Proteste haben nicht aufgehört. Darüber kann ich in den kommenden Minuten sprechen mit Martin Sieg, er leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bukarest und ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
    Martin Sieg: Guten Morgen!
    Schulz: Die Regierung hat diese umstrittenen Pläne ja schon zurückgenommen, das Parlament hat darüber abgestimmt, da hat die Regierungskoalition sogar selbst mit dagegengestimmt. Warum gehen die Proteste jetzt weiter?
    Sieg: Die Proteste gehen in der Tat weiter, natürlich auf einem wesentlich niedrigeren Niveau. Darin zeigt sich das tiefe Misstrauen, das die Regierung in einem Teil der Bevölkerung verursacht hat, das Land bleibt weiterhin sehr polarisiert über diese Maßnahmen.
    "Die Regierung hat viele ihrer Wahlversprechungen erfüllt"
    Schulz: Wir sprechen ja über eine neu gewählte, eine relativ neu gewählte Regierung. Warum hat die überhaupt zuletzt im Dezember noch diese politische Zustimmung bekommen?
    Sieg: Ich glaube durchaus, dass die Regierung auch jetzt noch dieselbe Zustimmung bekommen würde. Es sind ja unterschiedliche Menschen, die auf beiden Seiten stehen. Sie haben bei der PSD, der Regierungspartei, vor allem Leute eher aus dem ländlichen Raum, Leute, die eher abhängig sind, Leute, die eher einer älteren Bevölkerungsschicht zuzurechnen sind. Und hier hat die Regierung viele ihrer Wahlversprechungen erfüllt, sie hat die Rente erhöht, sie hat den Mindestlohn erhöht und andere materielle Vorteile geliefert, die für ihre Klientel wichtig sind. Und diese Klientel liegt bei etwa 20 Prozent der Bevölkerung. Es ist ja nicht mehr. Sie haben hier eine Wahlbeteiligung von 40 Prozent. Was hier auf der Straße protestiert hat gegen die Einschränkung der Korruptionsbekämpfung, war vor allem das städtische Bürgertum. Und viele von diesen Leuten sehen einfach auch im rumänischen Parteiensystem im Augenblick gar nicht so sehr die klare Alternative. Deshalb ist die Wahlbeteiligung auch relativ niedrig gewesen, deshalb ist auch keineswegs sicher, dass bei einer Neuwahl es zu einem anderen Ergebnis käme, was im Übrigen auch nicht gefordert wird. Hier ging es ja nicht darum, dass die Regierung in erster Linie zurücktreten müsse. Das wurde von einigen auch gefordert, aber im Kern hat man hier die demokratische Wahl akzeptiert und auch, dass die Regierungspartei regiert. Aber wie regiert wird und vor allem, dass die Korruptionsbekämpfung begrenzt werden sollte, das war der Kernpunkt.
    "Die Korruptionsbekämpfung in Rumänien funktioniert sehr gut"
    Schulz: Also, das ist auch das, worum es jetzt im Moment geht, worum die Menschen, die auf die Straße gehen, kämpfen?
    Sieg: Genau, das ist der Punkt. Natürlich, diese 4.000 Leute, die auf der Straße sind, das sind sozusagen Leute, die natürlich vor allem ihrem ganz tiefen Misstrauen gegen die Regierung Ausdruck geben, in der Erwartung, dass es in der Zukunft im Grunde neue Anläufe gibt, die Korruptionsbekämpfung zu beschränken. Man muss daher in dieser Hinsicht vor allem eines betonen: Die Korruptionsbekämpfung in Rumänien funktioniert, und sie funktioniert sehr gut, sie funktioniert eigentlich besser als in praktisch jedem anderen Land der Region. Wir haben hier die strengsten Antikorruptionsgesetze und die stärksten Antikorruptionsbehörden, Sie haben hier Tausende von Leuten, die Verfahren haben, frühere Premierminister sind im Gefängnis, Oligarchen sind im Gefängnis, hier gibt es niemanden mehr, der sakrosankt ist. Das führt dazu, dass wir von Rumänien immer hören in Deutschland, wenn es um das Thema Korruption geht, und da kommt sehr leicht natürlich eine Schieflage in die Diskussion. Wir hören deshalb so oft von Rumänien im Thema Korruption, weil hier tatsächlich Korruption bekämpft wird.
    Schulz: Das heißt, Sie würden sagen, Stand jetzt ist, Jahr 2017: Rumänien hat kein größeres Problem mit der Korruption als andere Länder in der Europäischen Union?
    Sieg: Ja, das kommt darauf an, mit wem Sie es vergleichen. Sie müssen es im regionalen Vergleich sehen. Sie müssen sehen, woher das Land kommt, das Land hat eben wie andere postkommunistische Länder eine bestimmte Erbschaft. Die Korruption war der Kapitalismus des Sozialismus, das sitzt tief drin. Das heißt, es gibt natürlich ein Korruptionsproblem, aber es wird hier sehr viel entschiedener bekämpft und es wird relativ erfolgreicher bekämpft. Es ist gerade in der Politik noch sehr verbreitet, deshalb kommt eben aus der Politik noch sehr starker Widerstand, jetzt vor allem aus der Regierungspartei. Es wäre ein bisschen unfair zu sagen, es ist ausschließlich die Regierungspartei, andere Parteien sind davon durchaus auch betroffen. Das ist zum Teil ja auch einer der Gründe, weshalb es eine ganz klare Opposition in der Hinsicht auch nur begrenzt gibt, die dann die Leute wählen könnten, die hier sozusagen so entschieden die Rechtstaatlichkeit verteidigt haben.
    Demonstrationen seien "ein sehr positives Signal"
    Schulz: Das heißt, es ist ein Problem, wenn jetzt gefeiert wird, dass die Menschen auf die Straße gehen, dass das ein Sieg der Zivilgesellschaft ist, dass dann letzten Endes zu wenige Vertreter dieser Zivilgesellschaft ihren Weg finden in die Politik?
    Sieg: Ja, die Politik hat natürlich bestimmte Strukturen. Es ist wie überall natürlich so einfach nicht, das zu machen, sich zusammenzuschließen, Parteien zu gründen. Mit Sicherheit haben Sie hier einen Sieg der Zivilgesellschaft gehabt, und mit Sicherheit haben Sie es gehabt, dass … Also, vergleichen Sie es mit anderen europäischen Staaten: In welchem anderen europäischen Staat gehen 500.000 Leute für die Verteidigung des Rechtsstaats auf die Straße? Also, insofern ist das, glaube ich, zuerst einmal eine sehr positive Botschaft, ein sehr positives Signal, das die Rumänen hier gesendet haben.
    Schulz: Ja. Herr Sieg, aber die Gegenfrage ist doch, in welchem anderen europäischen Land würde eine neu gewählte Regierung sagen: So, Fälle von Amtsmissbrauch unterhalb von 45.000 Euro stehen künftig nicht mehr unter Strafe?
    Sieg: Also zuerst einmal müssen Sie bedenken, dass es in Deutschland den Straftatbestand des Amtsmissbrauchs ja gar nicht gibt. Das hat auch eine Grundlage, dass die Strafgesetze hier wesentlich schärfer sind, aus guten Gründen, weil hier natürlich auch sehr viel mehr Missbrauch herrscht. Das heißt, die haben hier einfach auch Regeln und Behörden, die es natürlich vergleichsweise in anderen Ländern gar nicht gibt. Natürlich haben Sie deshalb aus der Regierung, weil es so ungeheuer viele betroffene Leute gibt, gerade in der Politik, auch eine entsprechende Gegenbewegung. Das heißt, Sie haben hier zwei Kräfte, die gegeneinander operieren, Sie haben einerseits den Rechtstaat und einen großen Teil des Bürgertums, der die Korruptionsbekämpfung fortsetzen möchte, und Sie haben aus der Politik jetzt hier eine Gegenbewegung gesehen. Daraus kamen die Notverordnungen zustande, die sich aber dann nicht durchsetzen konnten. Also, je mehr Auseinandersetzung Sie haben, desto stärker ist das natürlich eher ein Indikator dafür, dass die Dinge in die richtige Richtung gehen. Da, wo Sie im Grunde wenig strenge Korruptionsgesetze haben, haben Sie natürlich auch keine entsprechenden Gegenbewegungen in der Öffentlichkeit oder in der Politik.
    Gegensätzliche Interessen von Präsident und Parlament
    Schulz: Also, Sie finden diese Auseinandersetzungen grundsätzlich gut und positiv. Wie geht die denn jetzt weiter?
    Sieg: Ja, das müssen wir sehen. Die Regierung hat ja zunächst einmal einen Rückzieher gemacht, aber die grundsätzlichen Interessen innerhalb der Politik, die Korruptionsbekämpfung doch eher einzuschränken, die bleiben ja. Die Konfliktlinien bleiben auch. Sie haben ja auf der einen Seite im Grunde eine Konstellation gehabt, wo Sie die Regierungsmehrheit auf der einen Seite hatten, und auch deshalb, weil es bei der Opposition im Parlament eigentlich keine klare Führerschaft gibt, hatten sie auf der anderen Seite den Präsidenten, der dann praktisch in die Rolle des Verteidigers des Rechtstaats kam. Und diese grundsätzliche Konstellation wird uns, glaube ich, in den nächsten Jahren auch erhalten bleiben, dass praktisch der Präsident in diesen Fragen, wenn es um die Rechtstaatlichkeit geht, im Grunde der Verteidiger der Korruptionsbekämpfung und des Justizsystems ist. Und Sie haben im Parlament in der Mehrheit im Grunde eher Interessen, die das System der Korruptionsbekämpfung durchaus auszuhöhlen wieder versuchen könnten. Und da sind eine ganze Reihe von Konflikten, auch von Verfassungskonflikten für die Zukunft durchaus angelegt. Also, die Geschichte ist hier nicht zu Ende.
    "Das Land bewegt sich in die richtige Richtung"
    Schulz: Und warum ist das, um das vielleicht noch zu verstehen, überhaupt so ein zähes Ringen? Wir sprechen ja über ein EU-Mitglied. Müsste es da nicht Geschäftsgrundlage sein, dass politischer Einfluss – Geschäftsgrundlage natürlich jetzt in Anführungszeichen gesagt! –, dass politischer Einfluss nicht mit Geld erkauft werden kann?
    Sieg: Ja, das ist … Ich würde mal sagen: Ja und nein. Hier geht es natürlich immer um relative Kategorien. Sie können natürlich sagen, dass in Rumänien hier noch einiges aufzuholen ist, aber der entscheidende Punkt ist doch, dass im Zusammenhang mit der EU-Mitgliedschaft in Rumänien sehr viel geschehen ist und das Land sich in die richtige Richtung bewegt, und zwar in sehr großen Schritten. Ohne jetzt direkte Vergleiche anstellen zu wollen, aber in Rumänien ist da sicherlich sehr viel mehr geschehen als in einigen anderen EU-Mitgliedsländern. Die Tatsache, dass wir so viel in dem Kontext über Rumänien hören, ist im Kern eigentlich eine Erfolgsgeschichte.
    Schulz: Einschätzungen von Martin Sieg, er leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bukarest. Danke ganz herzlich für das Interview heute Morgen!
    Sieg: Danke sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.