Dem früheren Staatsoberhaupt stehe "für die erlittenen Durchsuchungen" eine Entschädigung zu, sagte der Vorsitzende Richter Frank Rosenow. Die Verteidigung hatte mit einem Freispruch gerechnet und das Angebot der Staatsanwaltschaft abgelehnt, dass das Verfahren gegen Zahlung einer Geldsumme eingestellt wird. Wulff, selbst Jurist, zeigte sich erleichtert: "Das Recht hat sich durchgesetzt", sagte der Alt-Bundespräsident. "Nun kann ich mich wieder der Zukunft zuwenden." Er wolle sich künftig verstärkt um jene Themen kümmern, "die mir immer am Herzen gelegen haben".
Auslandsurlaube Wulffs in Wohnungen und Häusern von ihm bekannten Unternehmern, ein günstiger Kredit für sein inzwischen verkauftes Haus in Großburgwedel, kostenlose Flug-Upgrades: Fast alle Vorwürfe, die in den Medien zu lesen waren, wertete die Staatsanwaltschaft als strafrechtlich bedeutungslos. Übrig blieb der Vorwurf der Vorteilsannahme und -gewährung in lediglich einem Fall. Der Filmfinancier David Groenewold soll 2008 für Wulff rund 720 Euro Hotel- und Bewirtungskosten während eines Oktoberfestbesuchs übernommen haben. Zweieinhalb Monate später warb Wulff als damaliger niedersächsischer Ministerpräsident bei Siemens um Unterstützung für einen Film, den Groenewold produzierte. Auch Groenewold wurde freigesprochen; beide bestritten einen Zusammenhang.
Richter bezeichnet Vorwürfe als "Peanuts"
Der Vorsitzende Richter Frank Rosenow hatte bereits im Vorfeld mehrfach Kritik an der Arbeit der Staatsanwaltschaft geäußert. So sei teilweise einseitig ausschließlich Belastendes ermittelt worden. "Ist es vorstellbar, dass sich der Ministerpräsident eines Bundeslands für Peanuts kaufen lässt?", fragte Rosenow in der Urteilsbegründung. Wulff hätte die Münchener Hotelrechnung, die in der Argumentation der Anklage eine wichtige Rolle spielte, als Ministerpräsident ohne Weiteres dienstlich abrechnen können.
Der Freispruch bedeute, dass Wulff "uneingeschränkt unschuldig" ist, sagte der Richter. "Ein bisschen schwanger geht nicht." Wulffs Anwälte sehen das Urteil als "eine Ehrenerklärung" für ihren Mandanten.
Auch der "SZ"-Journalist und Prozessbeobachter Heribert Prantl kritisierte, die Staatsanwaltschaft habe extrem einseitig und "auf fast lächerliche Weise parteilich" ermittelt. Der Prozess sei ein Exempel dafür, dass die Rechtsstellung des Staatsanwalts in Deutschland geändert werden müsse, sagte Prantl im Deutschlandfunk.
Entscheidung über Revision vertagt
Die Staatsanwaltschaft sieht die Korruptionsvorwürfe nicht eindeutig widerlegt. Die Behörde könnte nun versuchen, gegen das Urteil Revision einzulegen - dafür müsste sie dem Gericht Verfahrensfehler nachweisen. Darüber will die Staatsanwaltschaft erst in der kommenden Woche entscheiden. Tut sie dies, würde der Prozess vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe noch einmal neu aufgerollt werden.
Der Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig kritisierte die Argumentation des Gerichts, dass sich ein Ministerpräsident wohl nicht für die im Raum stehende Summe von 720 Euro kaufen lasse. "Wenn für das Gericht diese Frage im Vordergrund stand, hätte es das Verfahren gar nicht eröffnen dürfen." Die Staatsanwaltschaft hatte noch vor einer Woche verlangt, die Beweisaufnahme fortzuführen, nachdem das Gericht mehrere Anträge abgelehnt hatte.
Während des Verfahrens wurde Kritik an der Prozessführung des Vorsitzenden Richters laut, etwa als er bei der Vernehmung eines Zeugen ungehalten wurde. Vor der Eröffnung des Verfahrens hatten Beobachter kritisiert, dass der Prozess vor dem Landgericht Hannover und nicht bei den korruptionserfahrenen Kollegen in Hildesheim geführt wurde.
Jerzy Montag: Staatsanwaltschaft hat sich verrannt
Es stelle sich die Frage, ob dieser Prozess überhaupt nötig gewesen sei, sagte der Grünenpolitiker und Jurist Jerzy Montag im Deutschlandfunk. "Ich glaube, man muss zweierlei unterscheiden. Die politischen Ungeschicklichkeiten und auch die Unseriosität, die Herr Wulff an den Tag gelegt hat auf der einen Seite, komische Finanzierung seines Hauses, wahrheitswidrige Angaben in Niedersachsen vor dem niedersächsischen Landtag und vieles andere mehr. Und auf der anderen Seite ein knallharter Vorwurf einer Bestechlichkeit oder einer Vorteilsannahme. Da sind Welten dazwischen, und ich glaube, dass die Staatsanwaltschaft sich bei diesen Ermittlungen oder in diesem Verfahren sehr verrannt hat."
Die Affäre Wulff
Das Urteil ist der vorläufige Schlusspunkt einer Affäre, die Deutschland seit mehr als zwei Jahren beschäftigt und die zum Rücktritt Wulffs als Bundespräsident geführt hatte.
Dezember 2011: Die "Bild"-Zeitung berichtet erstmals über Wulffs Hauskauf-Finanzierung. Dabei geht es um einen Privatkredit über 500.000 Euro einer Unternehmergattin. Im Landtag erklärt der damalige niedersächsische Ministerpräsident, er pflege keine geschäftlichen Beziehungen zu dem Unternehmer - den Kredit verschweigt er. Wulff drohte auf dem Anrufbeantworter von "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann mit Konsequenzen, falls die Geschichte erscheint. Neun Tage nach dem Bericht entschuldigt sich Wulff öffentlich für die Irritationen und entlässt seinen Sprecher Olaf Glaeseker.
Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft Hannover beantragt die Aufhebung der Immunität Wulffs, um Ermittlungen führen zu können. Wulff erklärt seinen Rücktritt als Bundespräsident.
März 2012: Kriminalbeamte und ein Staatsanwalt durchsuchen Wulffs Wohnhaus in Großburgwedel bei Hannover.
Juli 2012: Neue Vorwürfe werden bekannt. Wulff soll sich als Ministerpräsident dafür eingesetzt haben, der Versicherungswirtschaft Vorteile zu verschaffen. 2008 verbrachten die Wulffs ihre Flitterwochen im Haus eines Versicherungsmanagers in Italien.
Januar 2013: Die Wulffs trennen sich.
Programmhinweis: 8.10 Uhr im Deutschlandfunk
Gespräch mit Wolfgang Thierse (SPD), früherer Bundestagspräsident
Gespräch mit Wolfgang Thierse (SPD), früherer Bundestagspräsident