"Wenn ich eine Skala aufstelle von null bis zehn, und zehn ist der größte Skandal im Weltsport, dann würde ich diesen bei zehn einstufen", sagt Clemens Prokop. Der ehemalige Präsident des Deutschen Leichtathletikverbandes DLV. Er verfolgt die Ermittlungen seit Jahren aufmerksam:
"Es werden Athleten erpresst, es werden Veranstaltungen verschoben, es wird Stimmenkauf betrieben – es wird alles gemacht, was man im Sport als eigentlich mit den Idealen völlig unvereinbar ansieht. Insofern ist alles getan, um den Sport in seinen Grundfesten zu ruinieren."
Bis zu 700.000 Euro an hochrangige Funktionäre
Korruption. Geldwäsche. Vertrauensbruch. Französische Ermittler wurden tätig, nachdem die ARD 2014 über die Vertuschung von Dopingfällen in der russischen Leichtathletik berichtet hatte. Demnach zahlten Athleten zwischen 300.000 und 700.000 Euro an hochrangige Funktionäre, um trotz Dopingvergehen starten zu dürfen. Das bestätigen jetzt die Ermittler in der Anklageschrift, die der ARD-Dopingredaktion vorliegt.
Sechs Beschuldigte machen die Staatsanwälte aus. Darunter sind: der ehemalige Präsident des Welt-Leichtathletik-Verbandes IAAF Lamine Diack und Sein Sohn, damaliger IAAF-Marketingberater Papa Massata Diack.
Der ehemalige DLV-Präsident Prokop erinnert sich an Sie: "Ich kannte Lamine Diack vom ersten Tag seiner Präsidentschaft. Und von Anfang an kam bei mir der Eindruck auf, dass hier die ganze Familie eine Rolle spielte, vor allem sein Sohn Papa Diack, der immer wieder mit sehr seltsamen Ideen auf uns zukam. Insgesamt war mir diese Truppe sehr suspekt."
"Uhren sind das Synonym für Korruption im Sport"
Vor allem der Sohn Papa Massata Diack steht im Zentrum der Ermittlungen. Ausgestattet mit Einfluss durch seinen Vater, den Präsidenten, handelte er Verträge aus. Nebenbei soll er sich bereichert haben. So schlussfolgern die Ermittler einen direkten Zusammenhang zwischen möglichen Zuwendungen an Funktionäre bei wichtigen Leichtathletik-Events und teuren Uhrenkäufen in einem Pariser Juweliergeschäft. Zwischen 2013 und 2016 soll Papa Massata Diack dort Uhren im Wert von 1,7 Millionen Euro erstanden haben.
Für Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, ein Sittenbild: "Uhren sind geradezu das Synonym für Korruption im Internationalen Sport. Eigentlich sagt das dann alles." Und das ist nur eine von vielen teils absurden Episoden. So sollen die die Diacks insgesamt 3,45 Millionen Euro von Athleten erpresst haben, damit diese trotz Dopingvergehen starten durften. So etwa von der russischen Marathonläuferin Lilija Schobuchowa.
Auch das IOC könnte noch in den Fokus rücken
Noch können die Diacks und die anderen Beschuldigten Einspruch gegen die Anklageschrift einlegen. In dieser finden sich auch Ansätze für Bestechungszahlungen rund um die Leichtathletik-WM in Katars Hauptstadt Doha. Und das Internationale Olympische Komitee IOC? Es könnte ebenfalls noch in den Fokus rücken. Denn: Es hat die Youth Olympic Games 2022 ausgerechnet nach Dakar im Senegal vergeben, die Heimat der Diacks.
Dagmar Freitag: "Die Entscheidung, die nächsten Youth Olympic Games an den Senegal zu vergeben, ist aus meiner Sicht absolut nicht nachvollziehbar. Dieses Land weigert sich, einen der Hauptbeschuldigten, nämlich Papa Massatta Diack, an die französischen Behörden auszuliefern. Und das IOC hat nichts besseres zu tun als das Land mit der Vergabe der Youth Olympic Games zu belohnen. Das soll verstehen, wer will."
Diack senior steht bereits seit 2015 in Paris unter Hausarrest. Für eine Stellungnahme gegenüber der ARD waren er und die anderen Beschuldigten nicht zu erreichen. Mit dem Prozessbegin ist in etwa einem halben Jahr zu rechnen.