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Korruptionsvorwürfe um Tokio 2020
"Alarmstufe Rot für die Ermittler"

Es besteht der Verdacht, dass es vor der Olympia-Vergabe nach Tokio 2020 Stimmenkäufe gab. Nun wurden weitere fragliche Zahlungen bekannt, berichtet IOC-Kenner Thomas Kistner im Dlf. Durch die Verschiebung der Spiele auf 2021 gewinnen die Ermittler wertvolle Zeit. Ein "globaler Sportskandal" droht.

Thomas Kistner im Gespräch mit Maximilian Rieger |
24.03.2020, Japan, Fukushima: Ein Besucher mit Mundschutz macht ein Selfie mit der olympischen Flamme in Fukushima. Die Flamme tourt durch die von der Erdbeben-Tsunami-Katastrophe im März 2011 schwer getroffenen Gebiete im Nordosten Japans, bevor der Fackellauf in der Präfektur Fukushima am 26. März beginnt. Foto: kyodo/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Gab es im Vorfeld der Olympia-Vergabe an Tokio im Jahr 2013 Stimmenkäufe? (kyodo)
Seit Jahren ranken sich Korruptionsgerüchte um die Vergabe der Olympischen Sommerspiele nach Tokio 2020. Seit 2016 wird zur Vergabe der Spiele an Tokio ermittelt, federführend ist die Pariser Finanzstaatsanwaltschaft Parquet National Financier (PNF).
Im Fokus stehen 1,8 Millionen Euro, geflossen in zwei Tranchen kurz vor und kurz nach der Olympia-Vergabe an Tokio im Herbst 2013, an eine Beraterfirma namens Black Tidings in Singapur, laut Betreffzeile für die "Tokio 2020 Olympiabewerbung".
Im Schattengeflecht von Skandal-Funktionär Diack
Black Tidings zählt zum Schattengeflecht des von Interpol gesuchten Senegalesen Papa Massata Diack, dem Sohn des langjährigen IOC-Mitglieds und Leichtathletik-Weltverbandschefs Lamine Diack.

Die Diacks sollen blockweise afrikanische Stimmen für Tokio 2020 besorgt haben. Der Verdacht zu Tokio deckt sich mit dem zur Vergabe der 2016-Spiele an Rio de Janeiro, damals wurden Stimmkäufen auch über die Diacks eingeräumt.

Unter dem wachsenden Ermittlungsdruck trat Tokios Organisationschef Tsunekazu Takeda bereits im März 2019 zurück.
Diack sitzt vor einer weißen Wand mit roter Schrift vor einem Mikrofon und gestikuliert mit beiden Händen. 
Der Ex-Präsident des Internationalen Leichtathletik-Verbands (IAAF), Lamine Diack (AFP / GREG BAKER)
Umstrittener japanischer Lobbyist taucht auf
Jetzt hat das japanische Magazin Facta enthüllt, dass die Tokio-Bewerber eine äußerst schillernde Figur als Lobbyisten beauftragt hatten, einen, der auch enge Verbindungen zu Diack pflegte: 8,2 Millionen Dollar flossen an die Firma des japanischen Sportagenten Haruyuki Takahashi. Takahashi pflegte engen Kontakt zu den IOC-Mitgliedern und warb um Stimmen für die Tokio-Bewerbung.
Seit den 1970er-Jahren pflegte der Lobbyist enge Verbindungen mit dem deutschen Strippenzieher und adidas-Chef Horst Dassler. Dassler bestach mit seiner Firma International Sport and Leisure (ISL) jahrelang Sportfunktionäre. Er begründete damit die moderne Sportkorruption.


Auch bei der WM 2006 in Deutschland hatte Takahashi seine Finger im Spiel. So vergab die FIFA das Hospitality-Geschäft mit Toptickets, Hotels und Rundum-Service für Sponsoren und Gäste an eine neue Agentur: Die ISE, gegründet von Takahashi.
Japans NOK-Chef Tsunekazu Takeda wies die Vorwürfe zurück: Er sei an keinem Fehlverhalten beteiligt gewesen.
Japans Ex-NOK-Chef Tsunekazu Takeda musste 2019 seinen Posten räumen (imago sportfotodienst)
Nach der WM blieb der Verbleib zigtausender Karten für WM-Topspiele im Gegenwert eines bis zu dreistelligen Millionenbetrags ungeklärt, jahrelang sondierten deutsche Behörden die Grau- und Schwarzmärkte erfolglos. "Das so einer mit 8,2 Millionen Dollar ausgestattet wird, um IOC-Mitglieder zu umgarnen, ist ein beunruhigender Sachverhalt", sagte Thomas Kistner, Journalist der Süddeutschen Zeitung im Dlf.
Dem IOC droht Ungemach
Takahashi räumte auch ein, dass er IOC-Wahlleute beschenkt habe - wenn auch in kleinem Umfang. "Das bedeutet Alarmstufe Rot für die Ermittler", sagte IOC-Experte Kistner. Zu Takahashis Klientel zählte auch Diack der nun auf seinen Prozess wartet. Der hätte im Januar beginnen sollen, wurde aber auf Juni vertagt. Nun könnte er noch rechtzeitig vor den Spielen 2021 beendet sein, was extrem heikel für das IOC werden könnte.

Denn Korruptionsfälle gab es oft, doch meist kamen die erst ans Licht als die Spiele vorbei waren und die mediale Aufmerksamkeit sich schon auf die nächsten Austragungsorte richtete. Dies ist nun gefährdet, da die Spiele überraschend auf 2021 verschoben worden.
Sollte nun vor Beginn der Spiele 2021 bekannt werden, dass Tokio Stimmen gekauft habe, dann sei dies ein "globaler Sportskandal", sagte Kistner, nur vergleichbar mit der Korruptionsaffäre um Salt Lake City 2002, die im Jahr 1999 aufflog. "Dann wäre das IOC massiv unter Druck."