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Kortison gegen Covid-19
Dexamethason rettet bei schwerem Verlauf Leben

Ein preiswertes Kortison-Präparat verringert die Sterblichkeit bei COVID-19. Die Weltgesundheitsorganisation feiert die Ergebnisse einer Studie britischer Forscher als Durchbruch bei der Behandlung der Lungenkrankheit. Ein Allheilmittel ist Dexamethason aber nicht. Ein Überblick.

Von Volkart Wildermuth |
Patienten und Personal auf einer Intensivstation
Dexamethason mildert nach den Studienergebnissen schwere Fälle von COVID-19, bei leichten Verläufen hilft es nicht. (imago / ITAR-TASS / Stanislav Krasilnikov)
Die Ärzte kämpfen nach wie vor um das Leben von schwer betroffenen COVID-19-Patienten auf Intensivstationen, auch in Deutschland. Sie verlassen sich dabei auf ihre Erfahrung, spezifische Medikamente mit klarem Nutzen/Nebenwirkungsprofil gibt es noch nicht. Vorsichtigen Anlass zur Hoffnung gab bislang nur das Mittel Remdesivir der US-Pharmafirma Gilead. Vorläufigen Studienergebnissen zufolge wirkt es eher im Frühstadium von COVID-19 und verkürzt bei schweren Verläufen die Dauer der Behandlung um mehrere Tage. Ob Remdesivir auch hilft, Leben zu retten, ist derzeit noch unklar. Beim Kortisonpräparat Dexamethason gibt es nun aber so klare Anzeichen dafür, dass nicht nur die an der klinischen Studie beteiligten Wissenschaftler von einem Durchbruch sprechen, sondern auch die Weltgesundheitsorganisation

Sind die neuen Erkenntnisse zum Kortisonpräparat Dexamethason ein Durchbruch gegen Corona?

Ja. Es ist das erste Mal, dass ein Medikament wirklich in einer großen Studie gezeigt hat, es senkt die Sterblichkeit. Das wird bei der Behandlung von COVID-19 jetzt Standard werden. Da sind auch alle Mediziner und Forscher einer Meinung, die von den Science Media Centers in England, Australien und Deutschland befragt wurden: Das ist ein wichtiger Schritt nach vorn.

Dexamethason, was für ein Medikament ist das?

Im Grunde ist Dexamethason eine künstliche, viel wirksamere Variante des menschlichen Hormons Kortison. Es wird schon seit vielen Jahren eingesetzt, um Rheuma und Allergien zu behandeln. Weil es ein altes Medikament ist, kennt man es gut, auch die Nebenwirkungen. Und vor allem ist es billig: Der Patentschutz der Tabletten und Infusionen ist längst abgelaufen. Kortisonpräparate werden auf Intensivstationen häufig eingesetzt, auch schon länger bei COVID-19. Das haben die Ärzte aufgrund ihrer Erfahrungen gemacht. Jetzt ist klar: Es wirkt tatsächlich.

Wer hat das herausgefunden?

Die RECOVERY-Studie aus Großbritannien, bei der 11.500 Patienten in 175 Kliniken mit verschiedenen Medikamenten behandelt werden. Ein Ergebnis dieser Studie war bereits, dass das Malariamedikament Hydroxychloroquin nicht gegen COVID-19 hilft. In der Studie wurden aber auch über 2.000 Patienten mit Dexamethason behandelt und die Ergebnisse mit über 4.000 Kontrollpatienten vergleichen, die die Standardbehandlung bekamen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Die Ergebnisse waren für unterschiedliche Patientengruppen bei COVID-19 verschieden. Den größten Effekt zeigte das Kortisonpräparat bei Patienten an der Beatmung. Da starben in der Kontrollgruppe rund 40 Prozent der Patienten, aber bei jenen, die Dexamethason verabreicht bekamen, sank die Sterblichkeit um ein Drittel. Anders ausgedrückt: Wenn man acht dieser Patienten mit Dexamethason behandelt, dann rettet man ein zusätzliches Leben. Das ist ein wirklich guter Wert. Dexamethason ist also ein wichtiges Element der Therapie bei schweren Verläufen, es ist allerdings auch kein Allheilmittel gegen COVID-19. Von diesen sehr schwer betroffen Patienten sterben selbst mit Dexamethason immer noch gut 26 Prozent - also einer von vier.

Wie wirkt das Mittel bei leichter Erkrankten COVID-19-Patienten?

Wenn die Patienten nicht beatmet wurden, aber sie doch zusätzlich Sauerstoff benötigten, dann hat Dexamethason auch geholfen, aber der Effekt war nicht so groß. Hier mussten 25 Patienten damit behandelt werden, um ein zusätzliches Leben zu retten. Und bei Patienten, die noch nicht so schwer erkrankt waren, bringt Dexamethason offenbar gar keinen Vorteil. Allerdings gibt es bislang nur eine Pressemitteilung zur Studie. Die Details, insbesondere das Nebenwirkungsprofil, wird man erst beurteilen können, nachdem die Studienergebnisse veröffentlicht sind.

Warum hilft Dexamethason gerade besonders schwer betroffenen Patienten?

Die Mediziner gehen davon aus, dass die Anfangsphase der Krankheit COVID-19 von dem Virus dominiert wird, also SARS-CoV-2 selbst sorgt anfangs für die Schäden im Körper. Dann springt das Immunsystem an und bekämpft das Virus - und diese Gegenreaktion läuft eben bei manchen Patienten aus dem Ruder. Mit der Folge, dass die schweren Lungenschäden oft gar nicht aufs Konto des Virus selbst gehen, sondern auf eine viel zu heftige Immunreaktion des Körpers. Dexamethason kann diese überschießende Immunreaktion dämpfen - und hilft deshalb vor allem jenen Patienten, die am meisten Probleme haben. Für die Ärzte ist es deshalb wichtig, dass sie dieses Medikament nicht am Anfang der Erkrankung geben - da kann es theoretisch sogar schaden -, sondern erst, wenn wirklich diese Immunreaktion das Geschehen dominiert.

Was heißt das für andere Medikamente, deren Wirkung gegen COVID-19 getestet wird? Ist Remdesivir vom Tisch, weil es die Sterblichkeit nach derzeitigem Kenntnisstand nicht verringert?

Nein. Die Medikamente ergänzen sich wahrscheinlich. Remdesivir hemmt die Vermehrung des Virus. Und wenn das Modell des Krankheitsverlaufes stimmt, hilft Remdesivir eher am Anfang. Studien, die den Beleg dafür liefern könnten, laufen gerade. Dexamethason hingegen würde dann eingesetzt, wenn Remdesivir und ähnliche Medikamente nicht ausgereicht haben, um einen schweren Verlauf zu verhindern.
Im Rahmen der britischen RECOVERY-Studie und der großen SYNERGY-Studie der Weltgesundheitsorganisation, werden aber auch weitere Medikamente getestet. Da gibt es einen Antikörper aus der Rheumatherapie, der ebenfalls die Immunreaktion dämpfen soll. Da lautet die spannende Frage: Wirkt der genauso gut oder vielleicht sogar besser? Oder braucht man diesen Hightech-Ansatz gar nicht - und ein altes und vor allem auch billiges Medikament wie Dexamethason ist genauso effektiv? Diese Entwicklung muss man abwarten.
Aber das jetzige Ergebnis zur Wirkung von Dexamethason ist in jedem Fall ein Durchbruch, das sagt auch die Weltgesundheitsorganisation. Und das Beispiel zeigt auch, wie wichtig es ist, seriöse große Studien aufzulegen, die eben doppelblind sind, bei denen es eine Kontrollgruppe gibt. Das geht auch mitten in einer Epidemie. Und da haben die Ärzte und Forscher in England wirklich hervorragendes geleistet, trotz aller Schwierigkeiten des dortigen Gesundheitssystems.