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Kosmetisch aufgehübschte Pressefreiheit

In Russland geht der erste öffentlich-rechtliche Fernsehsender an den Start. Ist das der Anfang vom Wandel hin zu mehr Pressefreiheit? Mitnichten, meinen Kritiker - auch wenn der neue Intendant und Fernsehmoderator Anatoli Lyssenko seine Unabhängigkeit bekundet.

Von Pauline Tillmann |
    Anatoli Lyssenko: "Mein Kontakt mit Präsident Putin beschränkt sich auf meine Berufungsurkunde. Ich habe natürlich etwas, womit ich wuchern kann und das sind mein Alter und mein Renommee. Und ich glaube nicht, dass die Regierung einen weiteren Sender braucht, der ihn hofiert."

    Vor 20 Jahren gab es in Russland bereits einen öffentlich-rechtlichen Sender namens ORT. Heute heißt er "Erster Kanal" ist und ist das Sprachrohr des Kremls. Jetzt will man es also noch einmal probieren. Allerdings ist der Geburtsfehler derselbe wie damals: Das Geld für den öffentlich-rechtlichen Sender kommt vom Staat. Daran sieht man in Putins Reihen nichts Verwerfliches, wie das Zitat des stellvertretenden Telekommunikationsministers, Alexej Uwolin, zeigt:

    "Der Journalist sollte daran denken, dass er nicht dafür da ist, die Welt zu verbessern. Der Journalist soll Geld verdienen für diejenigen, die ihn bezahlen. Wir müssen Studenten beibringen, dass sie für einen Onkel arbeiten werden. Und dieser Onkel wird ihnen sagen, was man schreibt und was man nicht schreibt und wie man es schreiben soll. Und der Onkel hat das Recht dazu, weil er sie bezahlt."

    PR und Journalismus? Ist dasselbe, meinen viele im Kreml
    Viele im Kreml denken, PR und Journalismus sei dasselbe. Deshalb sieht man keinen Interessenskonflikt, wenn scheinbar unabhängige Journalisten vom Staat bezahlt werden sollen. Leonid Nikitinsky, Gerichtsreporter bei der Zeitung "Nowaja Gazeta", bei der auch Anna Politkovskaja gearbeitet hat, sagt:

    "Es heißt, wenn es sich öffentlich-rechtliches Fernsehen nennt, wird es irgendwie anders. Aber daran glaube ich nicht, denn wenn es aus dem Staatsbudget finanziert wird und nicht durch die Fernsehzuschauer, dann wird es genauso wie alle anderen."

    Er beobachtet, dass immer mehr Journalisten in Russland, die ihre Meinung frei äußern wollen, ins Internet flüchten. So sagen sie tagsüber das eine und abends –unter Pseudonym – etwas völlig anderes. Man könne wählen zwischen freier Meinungsäußerung und einer anständigen Bezahlung bei einem vom Staat kontrollierten Medium, meint Nikitinsky. Die meisten Journalisten in Russland entscheiden sich für das Letzere:

    "Natürlich gibt es Pressefreiheit und es gibt kritisch denkende Menschen – einige von ihnen sind Journalisten – die sich vor allem im Internet tummeln. Es ist so wie Dimitrij Medwedjew einmal gesagt hat: Technisch gesehen sind alle frei. Du kannst frei berichten, aber damit verdienst du kein Geld."

    Doch das Internet spielt immer noch eine untergeordnete Rolle in Russland. Deshalb erklärt Vitalij Zeplajev, Politikchef bei der größten russischen Wochenzeitung "Argumenti i Fakty":

    "Um die Massen zu erreichen, braucht man das Fernsehen. Also versucht die Regierung, das Fernsehen zu kontrollieren. Das Internet entfaltet sich prächtig, aber der Einfluss des Fernsehens ist unangefochten und deshalb ist alle Konzentration darauf gerichtet."