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Kosmos Kammermusik
Russische Klaviertrios

Ein Riesenprojekt haben die Musiker des Brahms-Klaviertrio aus Moskau gestartet: die Geschichte russischer Werke für Klavier, Violine und Violoncello auf 15 CDs. Die ersten fünf Ausgaben liegen jetzt vor. Ein Meilenstein!

Am Mikrofon: Florian Amort |
    Drei Personen in schwarzer Kleidung sthen zusammen in einem Konzertsaal neben einem Flügel. Die beiden Männer halten je ein Instrument in den HÄnden, eine Violine und ein Cello.
    Die Musiker des Moskauer Brahms Trio: Natalia Rubinstein, Nikolai Sachenko und Kirill Rodin (Naxos)
    Rund 2000 Werke für Kammermusikbesetzungen mit Klavier stöberte die Pianistin und Gründerin des Moskauer Brahms-Trios Natalia Rubinstein in unterschiedlichen Bibliotheken und Archiven auf; alle von russischen Komponistinnen und Komponisten. Gemeinsam mit ihren Triokollegen Nikolai Sachenko an der Violine und Kirill Rodin am Cello wählte sie die interessantesten Werke aus, die nun nacheinander in einer 15-teiligen CD-Edition beim Label Naxos erscheinen. "History of the Russian Piano Trio", so der Titel, spannt einen Bogen über rund 200 Jahre Musikgeschichte, von der Musik des russischen Kaiserreiches über Kompositionen aus dem sogenannten "Silbernen Zeitalter" bis hin zur sowjetischen Musik aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

    Weitgeschwungen, schwärmerisch

    Nummer vier und fünf liegen seit kurzem vor und wie es sich für eine richtige Anthologie gehört, geben sich bekannte Klassiker und spannende Neuentdeckungen die Hand. Anton Arenskys 1894 komponiertes Klaviertrio Nr. 1 in d-Moll, op. 32 gehört sicherlich zu den Klassikern. Wer den ersten Satz einmal gehört hat, wird das weitgeschwungene, schwärmerische Hauptthema nicht wieder vergessen.
    Musik: Anton Arensky - Klaviertrio Nr. 1 d-Moll, op. 32, 1. Satz: Allegro moderato
    Mit einem warmen, samtigen und satten Klang gestalten die Streicher des Brahms-Trios den Beginn von Arenskys erstem Klaviertrio. Melancholie, Wehmut, Pathos: das verbindet man gemeinhin mit vielen Werken der russischen Spätromantik. Besonders "russisch" ist Arenskys Werk dennoch nicht. Sowohl die Tonart d-Moll, als auch die berauschende Harmonik und weitere kompositorische Details lassen Bezüge zu den jeweils ersten Klaviertrios von Felix Mendelssohn Bartholdy sowie Robert Schumann erkennen und offenbaren somit eine elegische Geisteshaltung, die an eine deutsch-romantische Musiktradition anknüpft.
    Musik: Anton Arensky - Klaviertrio Nr. 1 d-Moll, op. 32, 1. Satz: Allegro moderato
    Der schlimmste Kampf zwischen "russisch" und "westlich" war um 1900 bereits ausgefochten – Ergebnis: unentschieden. Nikolaj Rimskij-Korsakow, ein überzeugter Anhänger einer russischen Schule, bedauerte dennoch in seiner Autobiographie die Hinwendung seines einstigen Musterschülers am Sankt Petersburger Konservatorium, Anton Arensky, zum künstlerischen Gegner, des in nationalistischen Kreisen als westlich verfemten Peter Tschaikowsky. Auch der Scherzo-Satz in Arenskys erstem Klaviertrio erinnert in seiner Anlage stark an Mendelssohn Bartholdy. Mit dem Staccato-Thema und den Pizzicati-Tupfern in den Streichern sowie den perlenden Tongirlanden im Klavier zupft uns das Brahms-Trio gleichsam Elfen leicht an den Ohren.
    Musik: Anton Arensky - Klaviertrio Nr. 1 d-Moll, op. 32, 2. Satz: Scherzo. Allegro molto
    Zentrum des ersten Klaviertrios von Anton Arensky ist jedoch der mit "Elegia" überschriebene dritte Satz, der auf den 1889 und damit fünf Jahre zuvor verstorbenen Widmungsträger des Werkes verweist: Karl Dawidow. Dawidow war langjähriger Solocellist der Kaiserlichen Oper in Sankt Petersburg und Professor am dortigen Konservatorium. Von 1860 bis 1862 war er auch als Solocellist beim Gewandhaus und als Pädagoge am Leipziger Konservatorium tätig. Sehnsucht, Schönheit, aber auch aufrichtige Trauer liegt in der Cello-Kantilene.

    Expressiv, schmerzerfüllt, feinfühlig

    Kirill Rodin stellt sie abgedunkelt und dennoch äußerst expressiv mit großen Legatobögen vor, ehe Nikolai Sachenko an der Violine mit ihm in einen schmerzerfüllten Dialog tritt, im Rhythmus eines Trauermarschs feinfühlig begleitet von Natalia Rubinstein am Klavier.
    Musik: Anton Arensky - Klaviertrio Nr. 1 d-Moll, op. 32, 3. Satz: Elegia. Adagio
    Arenskys erstem Klaviertrio diametral entgegen steht das 13 Jahre später, 1907, geschriebene einzige Klaviertrio von Sergej Tanejew. Als 18-Jähriger debütierte er einst mit der russischen Erstaufführung von Johannes Brahms’ erstem Klavierkonzert; nur sechs Jahre später übernahm Tanejew nach dem Tod seines ehemaligen Lehrers Nikolaj Rubinstein die Klavierklasse am Moskauer Konservatorium. Zusammen mit seinem in Freundschaft verbundenen Kollegen für Komposition Arensky zeichnete Tanejew unter anderem für die Ausbildung von Sergej Rachmaninow, Alexander Gretchaninow, Nikolaj Medtner und Alexander Skrjabin Verantwortung. Doch anders als bei Arensky sind die Melodien bei Tanejew weniger poetisch, kleinteiliger, komplexer und daher auch schwieriger zu fassen.
    Musik: Sergej Tanejew - Klaviertrio D-Dur, op. 22, 1. Satz: Allegro
    Rund 40 Minuten dauert Tanejews kontrapunktisch höchst kunstvolles Klaviertrio in D-Dur, op. 22, das enorme technische Herausforderungen an alle Interpreten stellt und ein tiefgreifendes Studium der Partitur voraussetzt. Feinfühlig, spannungsreich und mit Liebe zum Detail musiziert das Brahms-Trio, ohne je den großen Atem außer Acht zu lassen. Sehr wild, mitunter schroff und ja, "russisch" ist der zweite Satz gestaltet, in dem Tanejew geschickt Scherzo und Variationsform miteinander verbindet.
    Musik: Sergej Tanejew - Klaviertrio D-Dur, op. 22, 2. Satz: Allegro molto
    Tanejew darf durchaus als Sonderling gelten. Anders als Arensky und Tschaikowsky konnte er den neusten musikalischen Strömungen aus Westeuropa wenig abgewinnen. Auch die russische Folklore, welche die Komponisten des sogenannten "Mächtigen Häufleins" um Rimskij-Korsakow in der Nachfolge Michail Glinkas propagierten, schien ihm kein Allerheilmittel für eine ästhetisch überzeugende nationalrussische Musik.

    Melodiesatt, kraftvoll, farbenreich

    Kreative Anregung fand Tanejew hingegen bei den Alten Meistern, an deren überzeitlichen Bedeutung er keinen Zweifel hegte: Josquin, Palestrina, Bach, Händel, Gluck und Mozart. Tanejews Beherrschung des Kontrapunkts und die polyphone Dichte seiner Werke waren schon zu seinen Lebzeiten legendär, wenngleich nicht auf Breitenwirkung ausgelegt. Seine Tonsprache ist noch in der Spätromantik verwurzelt, jedoch kann Tanejew binnen weniger Takte die Grenzen der Tradition radikal überschreiten, konsequent entwickelt aus der kontrapunktischen Faktur, die das Brahms-Trio energisch unterstreicht.
    Musik: Sergej Tanejew - Klaviertrio D-Dur, op. 22, 2. Satz: Allegro molto
    Auf der fünften CD der "Geschichte des russischen Klaviertrios" präsentiert das Brahms-Trio drei Weltersteinspielungen. Klaviertrios, die wie ihre Schöpfer in Vergessenheit geraten sind. Völlig zu Unrecht, wie beispielsweise der zweite Satz von Sergej Juferows Klaviertrio in c-Moll, op. 52 aus dem Jahr 1911 zeigt. Von atemberaubender Schönheit ist dieses melodiesatte, ungemein kraftvoll und farbenreich vom Brahms-Trio musizierte Adagio, das in einem ungewöhnlichen 5/4-Takt vorausschauend Abschied vom "Silbernen Zeitalter" nimmt, das spätestens mit der Oktoberrevolution 1917 endgültig und unwiederbringlich verloren ging.
    Musik: Sergej Juferow - Klaviertrio c-Moll, op. 52,2. Satz: Adagio
    Der Beginn des Adagios aus dem Klaviertrio in c-Moll von Sergej Juferow, das hoffentlich, wie das ganze Werk, bald Eingang in das Klaviertriorepertoire finden wird. Allein für die Entdeckung dieses Werkes kann man dem Brahms-Trio nicht genug danken.

    Neue Wege abseits ausgetretener Repertoirepfade

    Aber auch für das fatalistische Klaviertrio in c-Moll, op. 25, des ebenfalls aus Odessa stammenden, 1943 in Ausschwitz ermordeten Vladimir Dyck und das humoristische Klaviertrio Nr. 3 in C-Dur, op. 104, des 1886 in die Vereinigten Staaten ausgewanderten Constantin von Sternberg findet das Moskauer Brahms-Trio in ihrer Weltersteinspielung stets den adäquaten Ton.
    Musik: Constantin von Sternberg - Klaviertrio Nr. 3, C-Dur, op. 104, 4. Satz: Rondo. Allegro con umore
    Wer neue Wege abseits ausgetretener Repertoirepfade beschreiten mag, dem sei nicht nur diese CD, sondern alle bislang erschienenen fünf Folgen der "History of the Russian Piano Trio"-Reihe ans Herz gelegt. Und wer weiß, vielleicht lässt sich vom wünschenswerten Erfolg der Reihe das Label Naxos bewegen, etwas umfangreichere Booklets zu produzieren, in denen auch die Musiker des Brahms-Trios, Natalia Rubinstein, Nikolai Sachenko und Kirill Rodin, zu Wort kommen. Man möchte dann doch gerne etwas mehr über die intensive Recherche, die Komponisten und die Werke selbst erfahren.
    History Of The Russian Piano Trio, Vol.1-5
    The Brahms Trio
    Natalia Rubinstein, Klavier
    Nikolai Sachenko, Violine,
    Kirill Rodin, Violoncello

    Label: Naxos Deutschland (LC 05537)
    Bestellnr. Vol. 4: 8.574115
    Bestellnr. Vol. 5: 8.574116