Katrin Michaelsen: Eigentlich steht die Tür zur EU noch offen - zumindest symbolisch. Eigentlich gilt noch immer das große Versprechen für die Länder des Westbalkans, dass sie Mitglied der Europäischen Union werden sollen. Doch der Weg dahin scheint unendlich lang, die EU zögert, ist sie doch momentan eher mit sich selbst beschäftigt. Was aber hat das für Folgen, wenn die EU-Perspektive nicht wirklich existiert, wenn sie vielleicht sogar wegbricht? Beispiel Kosovo: Die Bundesregierung beobachtet eine zunehmende islamistische Einflussnahme Saudi-Arabiens und anderer Golfstaaten. Auch die Türkei erhebe einen politischen Gestaltungsanspruch, wird die Bundes-regierung in mehreren Medien zitiert.
Nobert Mappes-Niediek kennt das Kosovo und den West-Balkan als Korrespondent sehr genau. Ich habe ihn gefragt, was er in der Region wahrnimmt, ob der Einfluss von Ländern wie Saudi Arabien und der Türkei tatsächlich wächst?
Nobert Mappes-Niediek: Ja, der wächst ganz sicher. Einwirkungsversuche gibt es schon ziemlich lange, vor allem aus Saudi-Arabien, nur waren die eben nie besonders erfolgreich. Kosovo ist eigentlich ein sehr säkularer Staat, wahrscheinlich mit Albanien die säkularste Gesellschaft auf dem Balkan überhaupt. Islam und überhaupt Religion haben nie eine große Rolle gespielt. Und als dann nach dem Ende des Kommunismus und nach dem Abzug Serbiens im Bildungssystem der Pluralismus ausbrach, da entstanden - wie in den anderen Ländern auch - dann erstmal gut ausgestattete türkische Privatschulen. Und die Saudis haben sich auf Moscheen, also die kleine und eigentlich schwache islamische Gemeinschaft konzentriert, Moscheen gebaut, Geld darein gepumpt... Man hat das immer mit Argwohn beobachtet, schon von Anfang an, man sah sich als enger Verbündeter der Amerikaner. Es gab ja fast eine regelrechte Islamophobie bei der großen Mehrheit der Kosovaren und das hat sich in den letzten Jahren massiv geändert.
Katrin Michaelsen: Bleiben wir noch zunächst bei Saudi-Arabien und der Türkei, was versprechen sich die beiden Länder von einer Präsenz im Kosovo?
Mappes-Niediek: Also die Türkei verfolgt ja unter Erdogan eine sogenannte neo-osmanische Politik, wie man immer sagt. Sie schaffen sich einen Kreis von Ländern, die vor dem Ersten Weltkrieg zum Osmanischen Reich gehört haben, vorwiegend islamisch geprägt sind, Kosovo also, Albanien, Bosnien, West-Mazedonien. Und da ist es das Ziel, das außenpolitische Gewicht zu erhöhen und der EU etwas entgegenzusetzen. Und bei den Saudis, da sind missionarische, also politische und religiöse Absichten eng miteinander verwoben. Sie sehen sich global als Konkurrent des Iran in der islamischen Welt und nutzen ihre Petro-Dollars, um da für ihre Ideologie, ihre radikale Spielart des Islam zu werben.
"Die Enttäuschung über den Westen ist wahrscheinlich viel größer als die Begeisterung für den Islamismus"
Michaelsen: Wie schätzen Sie das im Moment ein, wie groß sind die Sympathien im Kosovo, die Ländern wie Saudi-Arabien und der Türkei entgegengebracht werden?
Mappes-Niediek: Also zur Türkei gibt es traditionelle Beziehungen. Es gibt viele albanische Familien, die im vorigen Jahrhundert in die Türkei ausgewandert sind und auch noch Kontakte unterhalten. Viele albanische Intellektuelle im Kosovo sprechen auch türkisch, das Land war ja jahrhundertelang dem Sultan untertan. Und Erdogan wurde bei seinem Besuch in Pristina 2013 regelrecht hofiert. Gegenüber Saudi-Arabien ist das anders, da geht es vornehmlich ums Geld und um Politik.
Michaelsen: Der EU-Beitritt scheint ja für das Kosovo erst einmal in weite Ferne gerückt zu sein. Wie groß ist die Enttäuschung darüber?
Mappes-Niediek: Ja sehr groß und das ist der eigentliche Punkt. Also die Enttäuschung über den Westen ist wahrscheinlich viel größer als die Begeisterung für den Islamismus oder für die Türkei. Es hat sich seit der Unabhängigkeit eigentlich nichts geändert, das war 2008, also fast ein Jahrzehnt her, die Arbeitslosigkeit liegt praktisch über 50 Prozent. Es fließt zwar immer noch viel Geld aus der EU ins Land, aber das kommt bei den Menschen nicht an, es bleibt in der korrupten Verwaltung hängen und die wiederum wird von den EU-Regierungen gestützt, weil man sich davon Sicherheit verspricht. Und jetzt hat letzte Woche die EU beschlossen, den Ukrainern visumsfreie Einreise zu gewähren, das sind also 42 Millionen Menschen, und die 1,6 Millionen Kosovaren, die ja im Krieg des Jahres 1999 als die engsten Verbündeten der Europäer galten, die brauchen immer noch ein Visum, sogar für Verwandtenbesuche, und kriegen es meistens nicht. Und da herrscht eine enorme Verbitterung und die führt dem bislang beinah unbekannten Islamismus erst einmal Anhänger zu. Ich würde sagen, es ist eine Art Trotz-Islamismus ohne kulturelle Wurzeln, einfach aus der Enttäuschung und der Erniedrigung heraus.
"Die Rechtsstaatlichkeitsmission der EU bringt nichts zu Wege"
Michaelsen: Sie sagen es fließt Geld, aber wie präsent ist die EU darüber hinaus momentan im Kosovo?
Mappes-Niediek: Also unsichtbar, aber spürbar präsent ist sie vor allem durch die Botschafter der großen EU-Länder, die gemeinsam mit den USA alles bestimmen und auch massiv in die Regierungsbildung im Kosovo reinreden, sogar in Personalfragen. Und sichtbar präsent ist sie vor allem durch die Rechtsstaatsmission EULEX, die eigentlich Korruption und Regierungskriminalität bekämpfen sollte, dabei aber ganz wenig bis nichts zu Wege bringt. Und natürlich gibt es die Truppenkontingente der EU-Länder, die aber im Alltagsleben keine Rolle spielen.
Michaelsen: Momentan durchlebt das Kosovo ja eine politische Krise, jetzt wird es Mitte Juni Neuwahlen geben. Was ist von diesen Wahlen zu erwarten?
Mappes-Niediek: Das ist ganz schwer abzuschätzen, vielleicht ändert sich ja auch ganz wenig. Wenn es zu Erschütterungen kommt, dann muss das nicht bei Wahlen sein. Also viele Menschen halten die Parteien, die sie wählen, ja selbst für korrupt, aber es ist eben ein Klientelsystem. Vielleicht hat der Vater einen Job bei der Regierung oder einen vermittelt durch die Partei und wenn die eigene Partei dann nicht mehr genug Stimmen hat, dann wird er, also der Vater, durch einen Günstling der anderen Partei ersetzt und wird arbeitslos. Mit anderen Worten: Man wählt eine Partei ja nicht, weil sie einen irgendwie überzeugt oder weil sie ein gutes Programm hat, sondern weil man irgendwo dazugehören muss. Und natürlich kann auch dieses System eines Tages stützen. Dann aber eher auf der Straße als bei einer Wahl.
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