Im Kosovo lebt ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über fünfzig Prozent. Es ist der Fußball, der dem seit 2008 unabhängigen Staat großes Ansehen bescheren könnte: mit zwei erfolgreichen Spielen am Donnerstag in Tschechien und am Sonntag zu Hause gegen England könnte sich das Nationalteam für die EM 2020 qualifizieren. Bis heute erkennen 114 der 193 UN-Mitgliedsstaaten den Kosovo an. Kann der Fußball bei der Nationenwerdung helfen?
Im ehemaligen Jugoslawien hatte der Kosovo eine Sonderrolle: Zur Bevölkerung gehörten mehrheitlich Albaner. Ob Gesundheitswesen, Bildung oder hohe Ämter: Die Kosovo-Albaner waren im Vielvölkerstaat unterrepräsentiert.
Einer der wenigen Orten, wo sie Protest dagegen äußerten, war das Stadion des FC Pristina, des wichtigsten Klubs ihrer Region. Trotzdem schaffte es in der Geschichte Jugoslawiens nur ein Albaner ins Nationalteam: der Stürmer Fadil Vokrri. Der Schriftsteller und kosovarische Botschafter in Berlin, Beqë Cufaj, erinnert sich an ihn.
"Die Albaner waren die Underdogs, wir waren schon eine Art von zweiter Klasse. Wenn ein Fadil Vokrri für Jugoslawien gespielt hat, heißt es, er hätte zwei- bis dreimal besser sein müssen als seine anderen Kollegen. Und das war er in der Tat. Trotzdem wurde er nicht immer gleichberechtigt behandelt."
Geheim-Turniere für kosovarische Fußballer
Jugoslawien hat die Autonomie des Kosovo 1990 beschnitten. Unter dem Präsidenten Slobodan Milošević ging die serbisch dominierte Polizei streng gegen Kosovo-Albaner vor. Die kosovarischen Fußballer zogen sich aus den jugoslawischen Ligen zurück und bauten eigene Strukturen auf, mit geheimen Turnieren und geschmuggelten Bällen aus dem Ausland.
Damals mit dabei: Remzi Ejupi, seit 2004 ist er Präsident des FC Pristina. "Wir waren als Föderation parallel, das war verboten. Aber wir haben trotzdem in Dörfern irgendwo gespielt, da waren keine Umkleidekabinen. So haben wir uns im Leben gehalten."
Die Spannungen zwischen Serben und Kosovo-Albanern mündeten 1998 in den Kosovokrieg. 13.000 Menschen starben, Hunderttausende verließen ihre Heimat. Doch nach dem Krieg kehrten innerhalb weniger Wochen achtzig Prozent der Flüchtlinge zurück. Bald auch der ehemalige Fußballprofi Eroll Salihu, der in Wilhelmhafen gespielt hatte. Als Generalsekretär des kosovarischen Fußballverbandes brachte Salihu den Bau von Sportplätzen auf den Weg. Für die Trainerausbildung schloss er eine Kooperation mit dem DFB. Und er ging in europäischen Ligen auf die Suche nach Nationalspielern.
"Wir haben so viel gelitten. Aber wir haben Glück im Unglück. Wir haben viele Leute, die geflohen sind nach Westeuropa. Und ihre Kinder spielen heute Fußball für die Nationalmannschaft. Und wir haben jetzt die Qual der Wahl. Nicht Superspieler, aber sehr gute Spieler, sehr talentierte Spieler."
Durchbruch 2014: Aufnahme des Kosovo ins IOC
Kosovo ist noch nicht Mitglied der Vereinten Nationen. Für eine Verankerung in der internationalen Gemeinschaft bemüht sich die Regierung um globale Organisationen. So ist Kosovo Mitglied im Internationalen Währungsfonds oder in der Weltbankgruppe, nicht aber im Kulturverbund Unesco oder im polizeilichen Netzwerk Interpol. Als Durchbruch feierten die Kosovaren 2014 ihre Aufnahme in das Internationale Olympische Komitee. 2016 folgte der Eintritt in die UEFA und die FIFA, also in den europäischen und den Weltfußballverband.
Der Journalist Eraldin Fazliu beobachtet den Fußball für Birn, das "Balkan Investigative Reporting Network". "In den internationalen Ranglisten steht Kosovo nur in negativen Themen an der Spitze: Korruption oder organisiertes Verbrechen. Der Fußball leistet etwas, was die Politik nicht geschafft hat: Er gibt der Jugend Hoffnung. Und er ist eines der wenigen Themen, die uns im Ausland Anerkennung verschaffen. Leider nutzen Politiker diesen Erfolg für sich: Sie gehen in die Kabine und machen Fotos mit Nationalspielern, die im Ausland aufgewachsen sind. Dabei sollten sie eine Infrastruktur schaffen, die eine stärkere Talentförderung auch vor Ort möglich macht."
Provokationen an der Tagesordnung
Neunzig Prozent der Kosovaren sind ethnische Albaner. Etliche Fans der kosovarischen Erstligisten hielten lange zum albanischen Nationalteam. Doch mit dem Erfolg der kosovarischen Auswahl ist die Zahl albanischer Flaggen in ihren Kurven zurückgegangen. Acht Prozent der Kosovaren sind Serben. Viele von ihnen akzeptieren den Kosovo nicht als Staat, sondern nur als kulturelles Hinterland Serbiens. Meist leben sie in Dörfern unter sich.
Der britische Reporter Jack Robinson arbeitet für das Onlinemedium "Prishtina Insight". "Serbische Spieler werden unter Druck gesetzt, nicht gegen den Kosovo anzutreten. Und auch sonst gibt es Provokationen: Mehrfach bestritt Roter Stern Belgrad Wohltätigkeitsspiele in serbischen Enklaven des Kosovo. Serbische Fans hissten auf kosovarischem Staatsgebiet die serbische Flagge und sangen die serbische Hymne. Einige hielten in Pristina und schwenkten eine Fahne von 'Großserbien'. Das ist gegen die UEFA-Regeln."
Im vergangenen Juni wurde Ljubiša Tumbaković als Nationaltrainer Montenegros entlassen. Der Serbe hatte sich geweigert, gegen den Kosovo an der Seitenlinie zu stehen. Kurz darauf wurde er von Serbien als Nationaltrainer verpflichtet. Im September nahm die kosovarische Polizei acht tschechische Fans in Gewahrsam. Sie wollten beim Spiel zwischen Kosovo und Tschechien offenbar eine Drohne steigen lassen, dazu der Schriftzug: "Kosovo ist Serbien". Nun tritt der Kosovo am Donnerstag zum Rückspiel in Tschechien an. Diplomatische Komplikationen: nicht ausgeschlossen.