Archiv


Kosovo-Krieg

Remme: Am Telefon begrüße ich Hans Koschnik, Bosnien-Beauftragter der Bundesregierung. Guten Morgen Herr Koschnik.

    Koschnik: Guten Morgen.

    Remme: Glauben Sie an einen Wendepunkt, vielleicht sogar an das Ende des Kosovo-Krieges?

    Koschnik: Na, ich habe die Hoffnung. Meine Erwartung geht aber nicht ganz so weit, ich kenne ein bißchen die Spielart in Belgrad. Ich bin nicht sicher, ob nicht unter Umständen Milosevic auch das Parlament nur einberufen hat, um sich ein neues 'nein' geben zu lassen.

    Remme: Warum sollte Milosevic jetzt einlenken, denn die NATO steckt doch offenbar in einer strategischen Klemme, wenn einerseits die Luftangriffe ihr Ziel nicht erreichen und Bodentruppen politisch nicht durchsetzbar sind?

    Koschnik: Ja, aber er steckt in der gleichen Klemme. Milosevic muß zusehen, wie die Infrastruktur seines Landes zerschlagen wird. Er muß damit rechnen, wenn er nicht aufpaßt, daß doch Bodentruppen kommen. Auf beiden Seiten gibt es Bewegungen, Belastungen, Probleme, die miteinander aufgewogen werden und die Lage offen machen. Es ist nicht klar, wie der nächste Schritt aussehen wird. Es ist insbesondere nicht klar: Wie wird sich Milosevic entscheiden. Wir versuchen jedes Mal, ihn zu interpretieren aus unserer Gedankenwelt und haben immer festgestellt: Wir haben uns geirrt. Nicht er hat uns enttäuscht, wir haben uns getäuscht. Das hat die NATO feststellen müssen und das hat auch der Generalsekretär der UNO feststellen müssen. Deswegen sage ich: Was sollen die Spekulationen? Warten wir ab.

    Remme: Herr Koschnik, was geschieht Ihrer Meinung nach, wenn diese Mission scheitert?

    Koschnik: Ganz unbestritten wird weiter gebombt, was natürlich auf Dauer gar keine Lösung ist. Immer wieder vergessen wir, daß das, was im Kosovo jetzt passiert, eine Schlußfolgerung ist, eine Entwicklung, wie sie sich in Bosnien gezeigt hat. Tagelang war Sarajewo eingeschlossen von serbischen Truppen, wurde bombardiert, grenadiert, es wurde geschossen nicht auf militärische Ziele, sondern auf Zivilpersonen. 200.000 Tote hat Bosnien gefordert. Und sie tun einfach so, als hätte die NATO willkürlich eingegriffen. Sie wollte ein neues Bosnien verhindern, das ist ihr nicht gelungen. Aber die Ursache war ganz klar.

    Remme: Sie haben den Wiederaufbau in Mostar miterlebt. Wenn wir nun einmal den günstigsten Fall annehmen und es kommt jetzt schnell zu einer Beendigung der Luftangriffe, zu einer Truppenpräsenz im Kosovo: Ist es realistisch, an eine rechtzeitige Rückkehr der Flüchtlinge in sichere, winterfeste Unterkünfte im Kosovo zu hoffen?

    Koschnik: In sichere Unterkünfte ja, in winterfeste nein, ganz eindeutig nicht. Ein Teil der Flüchtlinge wird winterfest untergebracht, ein anderer Teil wird in der Lage sein, sich mit Materialien auch leicht winterfeste Dinge zu schaffen. Aber ein Großteil der Flüchtlinge wird unter schlechtesten Bedingungen campieren müssen.

    Remme: Und wenn das so ist: Auch wenn Deutschland mehr getan hat als andere Staaten – haben wir vor diesem Hintergrund dann genug Flüchtlinge aufgenommen?

    Koschnik: Was heißt genug? Darf ich daran erinnern, daß, als der Bosnien-Krieg begann, wir 35.000 Flüchtlinge aufnehmen wollten, um den Menschen zu helfen, die in unmittelbarster Not waren. Als der Krieg zu Ende war, waren es 350.000. Das sagt ja wohl einiges. Ich glaube nicht, daß die Zahl 15.000 zu halten sein wird. Aber es muß endlich auch möglich sein, daß die Solidarität, die zum Kämpfen genügt, wahrscheinlich für den Frieden noch notwendiger ist. Die Europäer müssen insgesamt mehr tun.

    Remme: Das heißt, erst einmal die anderen?

    Koschnik: Das heißt: Die müssen die Flüchtlinge ja nicht als Geisel nehmen. Den betroffenen Menschen muß man helfen. Aber tatsächlich ist es keine realistische Position, zu sagen: 'Wieder einmal Österreich, Deutschland und die Schweiz - die Schweiz ist in großem Maße auch belastet – für die Flüchtlinge'. Und alles andere schaut zu, wie wir damit fertig werden. Das kann nicht sein.

    Remme: Noch eine Frage, die an Ihre Erfahrungen mit den verfeindeten Volksgruppen anknüpft: Wie kann das Leben im Kosovo nach diesem Krieg aussehen? Werden Serben und Albaner wieder Seite an Seite leben können?

    Koschnik: Sie werden erst einmal nebeneinander leben, geschützt durch eine Schutztruppe, die differenziert zusammengesetzt werden wird, und allmählich wird aus dem Nebeneinander ein Miteinander werden. Es dauert Zeit. Ich sage zwei Generationen. Aber schauen Sie: Als wir 1946/1947 uns die Landschaften anschauen, hat auch keiner geglaubt, daß wir mit den polnischen Nachbarn wieder so zusammenleben würden, wie wir heute leben. Es gibt eine Chance, wenn wir den Menschen im Kosovo und in Serbien, in Montenegro, in Mazedonien, in Albanien und in Bosnien einschließlich Kroatien eine Perspektive des Ökonomischen Hoffnung geben. Dann werden sie nebeneinander leben, damit sie anschließend miteinander leben werden. Schaffen wir das nicht, lassen wir die Region verelenden, würde es weitergeben Zoff, Krach, Krieg.

    Remme: Rußland und die Amerikaner, sie scheinen sich im Moment noch nicht ganz einig über die Kommandostruktur der Friedenstruppe. Ist das eine Diskussion um Einzelheiten, oder steckt darin der Kern: Die Gefahr einer Teilung des Kosovo?

    Koschnik: Das kann ich nicht genau übersehen. Einmal kann es sein, daß es die alte Diskussion war, die auch schon bei den SFOR-Truppen in Bosnien geführt worden ist, wo die Russen und die Ukrainer aber in den Strukturverbund der NATO mit eingetreten sind – was die Führung anbelangt, nicht was die Entscheidung vor Ort anbelangt. Das klappt vorzüglich in Bosnien. Und was jetzt gesagt wird: Wir müssen bei der großen Zahl von Truppen, zur Sicherheit der Truppen und für die Operative eine Führung haben, halte ich für logisch und richtig. Die Russen meinen auf der anderen Seite: Wir möchten uns ungern unter die NATO-Fahne begeben, wenn die NATO uns so behandelt, wie sie uns behandelt hat, nicht in Bosnien, aber jetzt bei der Konfliktlage im Kosovo. Dennoch gehe ich davon aus: Sie werden am Ende eine gemeinsame Kommandostruktur unter Führung der NATO akzeptieren, aber mit sehr viel eigenständigen Rechten. Das klappt ja in Bosnien auch.

    Remme: Und sehen Sie, daß die Frage einer Teilung des Kosovo auf uns zukommt?

    Koschnik: Es kann sein, das weiß ich nicht. Es wird eine sehr unglückliche Frage, wenn die Russen und die anderen Truppen organisiert und mit Standorten besetzt werden, daß sie keine für sich ganz alleine absichern und von daher eine Chance durch die Abspaltung organisieren. Das ist eine Frage der Organisation der Stationierung. Das muß nicht so sein.

    Remme: Sie verfolgen diesen Konflikt seit Jahren, zum Teil aus großer Nähe. Der Kommentator der Süddeutschen Zeitung sprach gestern mit Blick auf das Kosovo von einer 'weiteren Runde der Vertreibungen des Slobodan Milosevic, die sicherlich nicht die letzte sei'. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?

    Koschnik: Also, den Kosovo jedenfalls einbezogen, 'ja'. Und ich habe immer gemahnt seit 96: Die nächste schreckliche Konfliktlage entsteht im Kosovo. Man wird möglicherweise so reagieren wie in Bosnien, und wir werden zu spät reagieren. Wir haben zu spät reagiert. Gleichwohl: Sehr viel hat er nicht mehr zu vertreiben. Die Serben und die Mazedonier wird er nicht vertreiben. Es kann noch ein Problem geben in Volvodina, wo die Ungarn noch sind. Es kann auch sein, daß er an manchen Stellen die muslimische Bevölkerung noch malträtieren wird. Das muß aber nicht sein. Kosovo war immer das Element. Im Kosovo begann vor zehn Jahren der Konflikt. Dort begannen die Auseinandersetzungen, die Jugoslawien zur Aufregung brachte. Es kann sein, daß Kosovo der letzte Konflikt ist. Aber ich bin nicht sicher. In Belgrad und im Balkan ist alles möglich.

    Remme: Wie lange kann dieser Präsident denn noch ein akzeptabler Gesprächspartner sein?

    Koschnik: Er wird nicht ein akzeptabler Gesprächspartner sein, aber ein notwendiger. Solange jemand über Truppen und Polizei verfügt, wie er im Augenblick und Sie eine Vertragslösung haben wollen - und nicht durchmarschieren wollen zum Führerhauptquartier, wie die Alliierten - dann müssen Sie mit ihm verhandeln, denn er verfügt über die Waffen der serbischen Seite.

    Remme: Und wenn dieser Zwang besteht, war denn dann die Anklage vor dem Kriegsverbrechertribunal zu diesem Zeitpunkt einer richtige Entscheidung?

    Koschnik: Wenn das Gericht in Den Haag unabhängig ist, müssen Sie das Gericht fragen und nicht die Politiker. Ob es klug war oder nicht, das weiß ich nicht. Auf der anderen Seite ist deutlich geworden, daß die internationale Justiz, die nach Gerechtigkeit sucht und insbesondere menschenunwürdige und gewalttätige Kriegsführung verhindern will, daß sie endlich einmal deutlich macht: Wir gehen an die Führungskräfte und nicht an die Soldaten.

    Remme: Ich sagte es eingangs: Die Hoffnung auf einen Frieden – sie war heute morgen möglicherweise so groß wie noch nie seit dem 24. März. Trotzdem hat die NATO auch in der vergangenen Nacht wieder gebombt. Wäre es nicht Zeit für eine Geste?

    Koschnik: Welche Geste?

    Remme: Eine Geste, daß wenigstens einmal in der Nacht, wo die beiden Vermittler in Belgrad sind und Gespräche führen, die Bombardierung auszusetzen.

    Koschnik: Es wäre auch eine Geste, in der Zeit, wo man Vermittler braucht und sie nutzt in Belgrad, zu sagen: Wir hören auf mit dem Vertreiben. Dies geht immer wieder los, die sagen immer: Der eine soll handeln. Der, der Täter war, der gemordet und geschändet hat, soll bestimmen, was die anderen tun? Irgendwo ist das unlogisch. Auf der anderen Seite habe ich immer gesagt – und es sieht ja so aus, als wenn die Vermittler das einmal mitbringen: Wir sollten nicht so sehr sagen: 'Einer muß anfangen, der Zweite muß kommen', sondern: Wenn einer klar sagt: 'Ich höre um 12 Uhr auf, ich ziehe meine Truppen zurück', würden wir um 12 mit dem Bomben aufhören. Wir würden genau kontrollieren, ob es passiert, und dann ist Ruhe. Zeitgleich muß gehandelt werden, keineswegs aber mit Vorleistung der einen Seite.

    Remme: Das war die Meinung von Hans Koschnik, dem Bosnien-Beauftragten der Bundesregierung. Herr Koschnik, ich danke Ihnen für das Gespräch.