Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat angekündigt, den Eigenanteil für stationäre Pflege im Zuge der geplanten Pflegereform zu begrenzen. Mit seinem Vorstoß will Spahn konkret die Kosten für die Pflegebedürftigen und deren Angehörige deckeln. So soll der Eigenanteil für Pflegebedürftige in Heimen bei maximal 25.200 Euro innerhalb von 36 Monaten liegen, das sind 700 Euro pro Monat. Der Rest soll dann über Steuern aus dem Bundeshaushalt beglichen werden. Dafür setzt Spahn drei Milliarden Euro pro Jahr an.
Zuletzt lag der Eigenanteil für die reine Pflege im Schnitt bei 786 Euro monatlich. Zusammen mit den Kosten für Unterkunft und Verpflegung kostet ein Platz im Pflegeheim im bundesweiten Durchschnitt pro Monat mindestens 2.015 Euro.
Während die einen es begrüßen, dass Spahn erstmals überhaupt Steuermittel für die Pflege aufwenden will, finden andere, dass die Einkommen der Betroffenen stärker berücksichtig werden sollten. Mit Blick auf jene, "die die ganzen Kosten einmal werden schultern müssen", hält die pflegepolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Nicole Westig, die teilweise Finanzierung über Steuerzuschüsse für den falschen Weg.
Philipp May: Profitieren von der Reform die Falschen?
Nicole Westig: Sagen wir es mal so: Es profitieren auch die davon, die sich die Kosten für die Pflege prinzipiell leisten können. Einen ganz großen Verlierer gibt es bei diesen Plänen, und das ist die junge Generation und auch die nachfolgenden Generationen, die für all diese Kosten durch übermäßige Schulden, die jetzt gemacht werden, aufkommen müssen.
May: Das heißt, sechs Milliarden Euro mehr Geld für die Pflege, das halten Sie für falsch?
Westig: Das halte ich nicht für falsch. Aber das weiterhin über Umlage beziehungsweise jetzt über Steuerzuschuss zu finanzieren, das halte ich mit Blick darauf, auf diejenigen, die die ganzen Kosten einmal werden schultern müssen, für den falschen Weg. Wir dürfen nicht hier die junge Generation gegen die ältere Generation ausspielen. Da muss es andere Lösungen geben. Wir müssen dringend umsteuern bei der Umlagefinanzierung. Der richtige Weg wäre, mehr private Vorsorge für die Pflege einzuführen.
"Wer soll das dauerhaft finanzieren?"
May: Aber private Vorsorge, das können sich ja die wenigsten leisten - gerade die, um die es jetzt wahrscheinlich geht, die Probleme haben, diesen Pflegebeitrag zu bezahlen. Was schlagen Sie da vor?
Westig: Über eine Übergangslösung, da kann man sprechen. Da würde ich persönlich sogar auch über einen Steuerzuschuss mit mir reden lassen. Aber es entbindet Jens Spahn nicht von der Pflicht, für die Zukunft andere Mechanismen umzusteuern und kapitalgedeckte Elemente einzuführen, denn wenn immer mehr Pflegebedürftige da sind, die versorgt werden müssen, die aber finanziert werden müssen von immer weniger jüngeren Menschen, dann wird das System eines Tages kollabieren. Und hier umzusteuern, das wäre eine umsichtige Politik.
May: Die sechs Milliarden, verstehe ich Sie richtig, die Jens Spahn jetzt in die Hand nehmen möchte, letztendlich aus dem Bundeshaushalt, wenn das über die Steuer finanziert wird, sollte er lieber nicht in die Hand nehmen, sondern sparen?
Westig: Na ja! Wer sagt uns denn, dass es bei den sechs Milliarden bleibt. Das was er jetzt anstrebt, sieht meiner Meinung nach doch deutlich nach einem dauerhaften Steuerzuschuss aus, und da darf man schon die Frage stellen, wer soll das dauerhaft finanzieren.
May: Das heißt, Sie würden da lieber noch eine ganz klassische Umlagefinanzierung machen?
Westig: Nein, gerade nicht! Ich möchte mehr Menschen dazu motivieren, gerade auch junge Menschen, privat für die Pflege vorzusorgen. Ich sehe da übrigens auch die Arbeitgeber in der Pflicht. Es gibt da bereits gute Beispiele. Die Henkel AG bietet ihren Mitarbeitenden seit Beginn 2019 zu einem geringen Preis eine Pflegezusatzversicherung an – nicht nur für die Mitarbeitenden, auch für Familienangehörige. Ein solches Modell ist auch Bestandteil des Tarifabschlusses der IG Bergbau, Chemie. Da gibt es gute Beispiele, die in die richtige Richtung weisen. Weshalb sich Jens Spahn dieser Beispiele nicht bedient, weiß ich nicht.
May: Weil es um die konkrete Situation gerade jetzt geht, und Sie schlagen jetzt hier auch viele langfristige Modelle vor. Hat er nicht recht, wenn er sagt, die steigenden Kosten gerade bei der Unterbringung im Pflegeheim werden für gerade nicht so einkommensstarke Familien verstärkt zum Problem? Er spricht von einer Kostensteigerung monatlich von 238 Euro pro Monat.
Westig: Selbstverständlich werden die zu einem Problem. Aber auch da gibt es kurzfristige Lösungen, das Problem einzudämmen. Ich denke, die Investitionskosten, die im Durchschnitt bei über 400 Euro liegen, werden fällig, weil die Länder ihren Investitionen nicht nachkommen, und da sollte Jens Spahn vielleicht dann auch mal von Bund zu Land sprechen und hier ein Machtwort reden, dass das besser wird.
"Es gäbe ad hoc Möglichkeiten, Kosten zu sparen"
May: Was meinen Sie damit, die Länder kommen ihren Verpflichtungen nicht nach?
Westig: Die kommen ihren Verpflichtungen nicht nach, die Investitionskosten in stationären Einrichtungen zu tragen. Dadurch werden diese Investitionskosten auf Bewohner umgelegt. Wie gesagt, im Durchschnitt sind das über 400 Euro. Hier könnte man schon mal ansetzen, um Kosten zu senken für die Pflegebedürftigen. Und es gibt noch einen weiteren Punkt: Das ist die medizinische Behandlungspflege, die für die ambulant Betreuten von der Krankenversicherung übernommen wird, bei den stationär Untergebrachten jedoch von der Pflegeversicherung. Wenn man das umswitchen würde – und das ist übrigens Einigkeit bei allen Fraktionen im Deutschen Bundestag -, dann könnte man auch schon bis zu 300 Euro Kosten sparen. Setzen wir doch erst mal hier an, medizinische Behandlungspflege, Investitionskosten. Und übrigens auch Ausbildungskosten werden auf Pflegebedürftige umgelegt. Wieso das heute noch sein kann für die Ausbildung in einem Mangelberuf, erschließt sich mir auch nicht. Es gäbe ad hoc Möglichkeiten, Kosten zu sparen. Über die spricht Jens Spahn aktuell nicht. Da sollte er zunächst ansetzen.
May: Frau Westig, Kosten sparen ist ein gutes Stichwort. Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang über einen anderen Vorschlag sprechen. Jens Spahn möchte, dass Pflegekräfte in Zukunft besser bezahlt werden. Wollen Sie das auch, oder reicht es, abends auf dem Balkon zu stehen und zu klatschen?
Westig: Auf keinen Fall reicht das. Selbstverständlich müssen Pflegekräfte angemessen bezahlt werden. Das gilt insbesondere für die Pflegenden in der Altenpflege. Ich denke, darum geht es, die immer noch im Durchschnitt 500 Euro weniger verdienen. Aber auch da muss man sagen, es handelt sich um einen Mangelberuf, dass letztlich niemand zu einem schlechten Lohn arbeiten muss, denn es sieht so aus, dass sich Pflegekräfte auch den Arbeitgeber aussuchen können. Da kann es sich niemand leisten, weiterhin schlechte Löhne zu zahlen.
"Nicht in den Tariflöhnen das Allheilmittel sehen"
May: Es zahlen nur 40 Prozent der Pflegeheime, wenn ich da ganz kurz einhake, nach Tarif und nur 26 Prozent der Pflegedienste.
Westig: Die Zahlen habe ich auch gelesen, ja. Aber eine andere Wahrheit ist auch, dass die nicht tarifgebundenen Löhne in der Vergangenheit überdurchschnittlich gestiegen sind. Deswegen sollte man auch nicht in den Tariflöhnen das Allheilmittel sehen, auch wenn ich mich da selbstverständlich nicht gegen einen allgemeinverbindlichen Tariflohn sperren möchte.
May: Was halten Sie denn von dem Vorschlag, nur wer nach Tarif bezahlt, kann auch Leistungen bei der Krankenkasse abrechnen? Wie klingt das für Sie?
Westig: Das klingt für mich ein wenig nach Schieflage in der Tarifautonomie, denn das ist eigentlich nicht so, dass der Staat sich da einmischt. Das machen die Gewerkschaften mit den Arbeitgeberverbänden und jetzt so als Minister zu sagen, ich spreche da mal ein Machtwort, da möchte ich noch mal zurückkommen, dann sollte er vielleicht erst mal mit den Ländern reden, dass sie den Investitionskosten nachkommen, erst mal vor der eigenen Haustür kehren.
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