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Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg
Anwohner wehren sich gegen zunehmende Kriminalität

Kreuzberg wurde lange "Klein Istanbul" genannt und gehört mittlerweile zu den angesagtesten Bezirken Berlins. Immer mehr Touristen besuchen den Stadtteil. Der hat aber auch eine dunkle Seite, die Gewerbetreibende und Anwohner rund um die U-Bahnstation Kottbusser Tor stark beunruhigt. Eine Bürgerinitiative will das jetzt ändern.

Von Kemal Hür |
    Blick auf die U-Bahnstation "Kottbusser Tor" in Berlin-Kreuzberg
    Blick auf die U-Bahnstation "Kottbusser Tor" in Berlin-Kreuzberg. (picture alliance / dpa / Foto: Soeren Stache)
    Der Sozialarbeiter Ercan Yaşaroğlu kann in Kreuzberg keine zwei Schritte machen, ohne von jemandem begrüßt zu werden und einen kurzen Plausch zu halten. Doch in letzter Zeit kommt auch beim Smalltalk das Gespräch schnell auf das Thema, das die Anwohner und Gewerbetreibenden im Zentrum von Kreuzberg besonders bewegt: die jungen Kriminellen. Yaşaroğlu macht mehrmals am Tag einen Rundgang und fragt in den Imbissen und Restaurants, Kiosken und Cafés, ob es besondere Vorkommnisse gibt.
    Abdulkadir Aktürk, den der Sozialarbeiter vor einem Café trifft, ist Werbetechniker.
    "Es wird immer schlimmer hier, was Drogenszene betrifft. Kriminalität steigt auf jeden Fall. Es war auch im letzten Jahr und dem Jahr davor auch schon so, wegen der Touristen und der neuen Menschen hier. Und es wird immer schlimmer. Ich merke das selber, wenn ich vorbei laufe, abends besonders. Da sprechen sie mich auf Drogen an. Oder ich beobachte, wie sie die Menschen auf der Straße anmachen. Es nimmt jeden Tag zu."
    Die tägliche Gewalt vor Augen
    Der 32-jährige Werbetechniker ist in Kreuzberg geboren. Sein Vater betreibt hier ein Restaurant. Ercan Yaşaroğlu kennt ihn seit seiner Kindheit. Der Sozialarbeiter wohnt in einem Hochhaus, das mit seinen zehn Geschossen die Adalbertstraße überbrückt. Über der Straße hat das Haus eine Balustrade. Dort betreibt Yaşaroğlu ein Szenecafé. Wenn er vor seinem Café steht, kann er das Kottbusser Tor beobachten: Mehrere U-Bahn-Zugänge, ein Obst- und Gemüsestand, der Tag und Nacht in Betrieb ist, ein Menschengewühl, ebenso Tag und Nacht. Auf der Balustrade vor seinem Café haben zwei Jugendliche, die er kennt, mit einem Handy einen Überfall gefilmt. Yaşaroğlu spielt es vor.
    "Zwei Menschen, die von der Dresdener Straße reinkommen, sind abgezockt worden. Nachdem sie beklaut worden sind, wollten sie ihre Sachen zurück haben. Die Täter haben, um die Opfer los zu werden, ihre Gürtel rausgezogen und haben angefangen, diese zwei Personen am ganzen Kottbusser Tor gehauen und bis U-Bahn-Eingang hingebracht."
    Ein Überfall, der vor zwei Wochen in den Nachtstunden passiert ist. Die filmenden Jugendlichen holten Ercan Yaşaroğlu zu Hilfe. Er rief einen Krankenwagen. Denn die Gürtelschnallen hatten die ausgeraubten Personen im Gesicht verletzt. Sie mussten im Krankenhaus behandelt werden. Dieser Überfall, sagt Yaşaroğlu, sei keineswegs eine Ausnahme gewesen.
    "Das Problem dabei ist, jedes Wochenende sind wir mit diesen Gewalttaten konfrontiert, als Bewohner, als Gewerbe, als Akteure von diesem Kiez. Und unsere Gäste, die nach Kreuzberg kommen, sind am häufigsten die Opfer."
    Gemeinsam gegen den Drogensumpf
    Die ausgeraubten und verletzten zwei Personen waren spanische Touristen, berichtet Yaşaroğlu, der auch im Namen einer Bürgerinitiative spricht. Anwohner und Gewerbetreibende haben sich zusammengeschlossen, um auf die Missstände rund um das Kottbusser Tor aufmerksam zu machen und sich gegenseitig zu unterstützen. Sie sammelten Unterschriften, schrieben mehrere Briefe an Bezirks- und Landespolitiker.
    In einem der Briefe, die uns vorliegen, heißt es: "Wir wollen nicht in einem Zustand der Selbstjustiz ankommen müssen und bitten daher um Handlungen Ihrerseits." Ein Hilferuf, den die Leiterin des zuständigen Polizeiabschnitts, Tanja Knapp, kennt und einstimmt.
    "Es trifft zu, dass im vergangenen Jahr insbesondere die Straftaten, die von der Bevölkerung wahrgenommen werden, nämlich Taschendiebstahl, aber auch Raubstraftaten und Delikte im Bereich der Drogenkriminalität tatsächlich zugenommen haben, in einem auch messbaren Bereich, sodass also die subjektive Wahrnehmung der Bevölkerung tatsächlich auch die objektiven Zahlen trifft."
    Angst vor einer neuen Tätergruppe
    Den besorgten Kreuzbergern macht auch etwas Angst, was Ercan Yaşaroğlu ein neues Phänomen nennt, nämlich die Herkunft der Straftäter.
    "Die Leute sind nordafrikanischer Herkunft. Wo wir mit denen selbst Gespräche geführt haben, wissen wir, dass es eine Gruppe gibt, die über Italien kommen und dort Asylanträge gestellt haben. Und es gibt eine andere Gruppe, die seit Januar letzten Jahres nach Deutschland gewandert sind, sie sind Nordafrikaner mit einem französischen Aufenthaltsstatus. Mit dem wandern sie hier."
    Zufällige subjektive Beobachtungen, könnte man annehmen. Sie decken sich aber mit den Erkenntnissen der Polizei. In einer Aufstellung der Straftaten in Kreuzberg zeigt sich, dass sich die Zahl der Straftäter aus den Ländern Marokko, Tunesien, Ägypten, Libyen, Algerien und Syrien von 2014 auf 2015 vervielfacht hat. Trotzdem ließen sich aus dieser Tabelle keine Rückschlüsse auf die neuen Flüchtlinge ziehen, warnt Kriminaldirektorin Tanja Knapp.
    "Es ist natürlich nicht abwegig, das anzunehmen. Aber es ist erst in den letzten Monaten verstärkt aufgetreten. Und die absoluten Zahlen sind noch sehr klein. Da jetzt den Flüchtlingsstatus mit zu verbinden, das ist mir jetzt einfach nicht möglich. Das wäre nicht seriös."
    Ercan Yaşaroğlu läuft in einen Durchgang unter dem Hochhaus. Am Eingang einer Bar begrüßt er einen Türsteher.
    "Guten Abend, ist heute irgendwas Auffälliges passiert, oder ist es etwas ruhiger geworden?" - "Heute ist nichts Auffälliges passiert. Um diese Zeit ist auch ein bisschen schwer. Es muss dauerhafte Überwachung hier sein, Kameras. Hier trauen sie sich nicht, weil wir hier stehen. Wenn aber an jeder Ecke City-Streifen oder Securities wären, irgendwie '+Wir sind hier, wir machen was dagegen', dann würden sie es langsam sein lassen.
    Man kann nicht in Ruhe laufen, Frauen können nicht in Ruhe laufen, verstehst du? Aber dank ihm ist es sauber hier, verstehst du? Weil er beschützt nicht nur den Laden, auch die Straße automatisch. Wenn er was sieht, hilft er. Das ist gut. Die Leute helfen sich gegenseitig."
    Weiter auf eine gemeinsame Lösung setzen
    Hilfsbereitschaft und Solidarität hat sich die Bürgerinitiative auf die Fahnen geschrieben. Braucht jemand Hilfe, wird sofort eine Telefonkette gestartet, sagt Sprecher Yaşaroğlu. In Bürgergesprächen mit der Polizei und den politisch Verantwortlichen will die Initiative weiter nach einer Lösung suchen. Denn die alteingesessenen Kreuzberger wollen ihren "Kotti" nicht so schnell aufgeben.