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KPD-Führer Ernst Thälmann
Von Hitler ermordet, von DDR-Ideologen verklärt

Er war eine Ikone der Linken, Hitler persönlich ordnete seine Hinrichtung an: In der Nacht zum 18. August 1944 wurde der KPD-Führer Ernst Thälmann im KZ Buchenwald ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Thälmann in der DDR zur kitschig stilisierten Leitfigur und in der BRD Persona non grata.

Von Cornelie Ueding |
    Das Ernst-Thälmann-Denkmal an der Greifswalder Straße im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg
    Die im KZ Buchenwald ermordete Linken-Ikone wurde in der DDR zur Leitfigur. Sein Denkmal steht an der Greifswalder Straße in Berlin. (imago / PEMAX)
    "Ich konnte den Gefangenen nur von hinten sehen. In dem Augenblick, wo der Gefangene das Spalier der vier angeführten SS-Leute passiert hatte und den Gang des Krematoriums betrat, fielen hinter ihm vom Hof her drei Schüsse. Hierauf begaben sich die draußen gestandenen SS-Leute und die zwei Zivilisten in das Krematorium und schlossen die Tür hinter sich. Etwa drei Minuten später fiel im Krematorium ein vierter Schuss. Offensichtlich war es der übliche Fangschuss."
    Mit diesen dürren Worten beschrieb der zum Leichenträger-Kommando gehörende Buchenwald-Häftling Marian Zgoda die von Hitler persönlich angeordnete Hinrichtung des KPD-Führers Ernst Thälmann in der Nacht vom 17. auf den 18. August 1944. Das blutige Ende einer sehr besonderen deutschen Karriere: Anfangs der steile Aufstieg des am 16. April 1886 in Hamburg geborenen Ernst Thälmann, der sich, aus einfachsten Verhältnissen kommend, als ungelernter Hilfsarbeiter durchschlug und als Gefreiter im Ersten Weltkrieg seinen Wehrdienst ableistete.
    Ein Mann der einfachen Arbeiter
    Dann die große Wende. Enttäuscht vom unscharfen Kurs der bürgerlichen Parteien wandte sich Thälmann der Kommunistischen Partei Deutschlands zu. Bald darauf stieg er zum Mitglied des linksorientierten Politbüros auf und wurde zum Idol der Arbeiter, wie ein Journalist es zusammenfasste.
    "Thälmann war eben, das sah jeder, vor allem jeder Arbeiter - die Intellektuellen haben ja manchmal die Nase gerümpft über ihn - aber das sah jeder Arbeiter, das ist ein Mann von uns, nicht, jeder wusste, dass der also als einfacher Arbeiter lebt, dass der in der Kneipe beim Bier sitzt mit seinen Kameraden und Kollegen und Genossen, und der hatte halt auch die Sprache! Er hatte eben beides, sowohl den Flair des Proletarierführers als auch die Form, die Art, sich auszudrücken."
    Geblendet von seinen Erfolgen als Arbeiterführer, machte Thälmann die in den 20er-Jahren zunehmende Radikalisierung und Stalinisierung seiner Partei nicht nur mit, sondern wurde als KPD-Vorsitzender zu einem ihrer glühendsten Verfechter.
    Eiferer der Kommunistischen Internationale
    Noch nach sechs Jahren Haft schrieb er an die Genossen: "Über das Gekläffe und das Verzweiflungsgeschrei der vereinigten Opposition aller Schattierungen hinweg, stand Lenins Partei, allen Gefahren trotzend, von seinem einstmaligen besten Schüler, dem Genossen Stalin, entschlossen und meisterhaft geführt, wie ein starker Fels in der Brandung."
    Offenbar verfing diese technokratisch-messianische, mit ideologischen Klischees gespickte Redeweise kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs über die Landes- und Parteigrenzen hinaus. Auch in dem einzigen von ihm erhaltenen Tondokument aus dem Jahr 1928 zeigte sich Thälmann als Eiferer der Kommunistischen Internationale.
    "Wir wissen, dass die Metallarbeiter die Eliten waren, die mit den anderen Industriearbeitern zusammen die Grundlagen schufen für die großen revolutionären Klassenkämpfe und die Voraussetzungen für die Durchführung des Sieges der Revolution"."
    "Thälmann ist niemals gefallen"
    Der blinde Glaube an Stalin verführte ihn sogar dazu, den Hitler-Stalin-Pakt als "Segen für die deutsche Nation" misszuverstehen.
    Und noch 1939, nach sechs von insgesamt elf Jahren Einzelhaft, glaubte er unverbrüchlich an Stalin, dem er nach dem Pakt aus dem Gefängnis nicht weniger als 24 Briefe schrieb.
    "Aber daß Stalin und Molotov die Frage der Freilassung der politischen Gefangenen einschließlich die von Thälmann irgendwo und irgendwie gestellt und aufgeworfen haben, davon bin ich innerlich felsenfest überzeugt, denn es ist für mich ganz selbstverständlich, daß meine Freunde nur so und keinesfalls anders gehandelt haben. Alles, aber auch alles spricht heute für meine baldige Freilassung." [sic]
    Ein Irrtum mehr in dieser an Irrtümern und Paradoxien reichen Vita: Von Stalin fallen gelassen, von Hitler erschossen, die Anklage gegen seine Mörder von der bundesrepublikanischen Justiz 42 Jahre lang verschleppt.
    Den makabren Höhepunkt seiner Wirkung aber sollte Thälmann erst posthum in der DDR erreichen - parallel zu den peinlichen und peinigenden Verschleppungen der bundesdeutschen Justiz. Der "tote Heilige", den man wieder auferstehen lassen konnte, war ein Glücksfall für die DDR-Ideologen. Wie kein zweiter eignete sich der "Mann von uns" als Propagandamaterial für ein kitschig pathetisches Märtyrerbild und zum Vorbild für Scharen von jungen Pionieren: "Thälmann ist niemals gefallen."