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Krafttraining in der Kulturschale

Mittels Reprogrammierung lassen sich aus Hautzellen Herzmuskelzellen züchten. Doch diese Muskelzellen sind immer noch viel zu schwach, um in einem richtigen Herzen mithalten zu können. Deshalb trainieren Wissenschaftler der Medizinischen Hochschule Hannover das nachgezüchtete Herzmuskelgewebe noch während des Wachstums.

Von Michael Engel |
    Schon seit Jahren arbeitet Dr. Ina Gruh mit Herzmuskelzellen, die sie aus umgewandelten, das heißt "reprogrammierten" Zellen der Haut gewinnt. Auch Blutzellen eignen sich für diese Prozedur. Aus den reprogrammierten Körperzellen entstehen dann Herzmuskelzellen, die auf eine Matrix – auf ein tragendes Gerüst - aufgebracht werden.

    "Normalerweise produzieren diese Zellen selbst auch extrazelluläre Matrix. Allerdings setzen wir diese am Anfang schon mal zu. Das sind so Bindegewebsbestandteile wie Kollagen. Und auch das braucht man, um die Gewebe funktionell herstellen zu können."

    Schon nach wenigen Tagen pulsiert der Muskel im Miniformat – im Takt eines schlagenden Herzens. Dabei ist das künstliche Gewebe gerade mal sechs Millimeter lang und hauchdünn.

    Die Wissenschaftlerin öffnet den Brutschrank mit den Kulturschalen. 37 Grad Celsius herrschen hier im Inneren. Das Gewebe befindet sich in einer Nährlösung und wird beidseitig mit Klemmen fixiert. Denn: Mit einer ausgeklügelten Technik wird der "Minimuskel" über mehrere Wochen trainiert.

    "Hier im Brutschrank haben wir unseren Bioreaktor. Da sehen Sie hier in der Mitte das Kulturgefäß, in dem das Gewebe eingespannt ist. Hier vorne auf der Seite haben wir einen Kraftsensor, das heißt, wir können wirklich im Mikronewton-Bereich messen, mit welcher Kraft dieses künstliche Gewebe kontrahiert. Und auf der hinteren Seite ein bisschen versteckt haben wir einen sogenannten Linearmotor. Der dient dazu, das Gewebe mechanisch zu stimulieren, das heißt, es wird gedehnt, zyklisch, oder auch statisch gedehnt, um eben das Gewebe zu trainieren und die Gewebereifung zu unterstützen."

    Herzmuskelgewebe ohne Krafttraining wäre viel zu schwach, um später einmal – eingebettet in einem Herzen – mithalten zu können. Die Wissenschaftler weltweit haben deshalb schon vor Jahren damit begonnen, künstlich geschaffenes Gewebe zu trainieren. Bislang aber immer nur mit rhythmischen Bewegungen im Takt eines Herzens – ohne nennenswerten Erfolg. In der Medizinischen Hochschule in Hannover verfolgt man deshalb einen anderen Weg.

    "Ursprünglich haben die meisten Forschergruppen tatsächlich zyklische Dehnung angewendet, um die Situation im Herzen zu simulieren. Damit haben natürlich auch wir angefangen und haben dann festgestellt, dass es den Geweben eher schadet, wenn sie tatsächlich zyklisch gedehnt werden. Und deswegen haben wir einen neuen Stimulus entwickelt – den sogenannten "growing stretch" – das heißt, wir dehnen einfach stückweise immer ein bisschen mehr über die Kulturdauer, und sehen dann, dass das deutlich besser funktioniert als wenn wir rhythmisch dehnen."

    Am Ende – nach drei bis fünf Wochen Trainingsdauer – ist das Gewebe auf 7,2 Millimeter gedehnt worden. Ein Plus von 1,2 Millimetern. Zusätzlich zum "growing stretch" gibt es noch eine Prise "Vitamin C" in die Nährlösung. Auch diese Strategie stärkt die Herzmuskelzellen in der wohl kleinsten "Mucki-Bude" der Welt. Die Leistung der Muskelfasern steigt so um mehr als das 50-Fache. Damit sind sie fast so stark wie in einem richtigen Herzen. Von daher könnte man die trainierten Gewebeverbände sicher bald implantieren, um ein krankes Herz zum Beispiel nach einem Infarkt zu verstärken. Noch aber, so Forschungsleiter Prof. Ulrich Martin, sind die Gewebe viel zu klein.

    "Das Gewebe, das wir jetzt haben, hat eine Länge von ungefähr einem Zentimeter und ist etwa nur einen Millimeter dick. Für den Ersatz eines zerstörten Herzmuskels nach einem Herzinfarkt brauchen wir aber Gewebestücke, die mehrere Zentimeter Durchmesser haben. Also wir liegen da in einer anderen Größenordnung. Da sind ganz klar noch viele Probleme zu lösen, dass so ein Gewebe natürlich auch mit Blutgefäßen versorgt werden muss. Und dazu sind ganz neue Konzepte, wie man solche Blutgefäße einbaut, auch notwendig."

    Noch sind viele Fragen offen – auch mit Blick auf das Tumorrisiko, das noch im Tierversuch ausgelotet werden soll. In wenigen Jahren, so die Forscher, könnten dann erste menschliche Patienten profitieren: Solche mit Herzinfarkt oder Kleinkinder mit angeborenen Herzfehlern.