"Verglichen mit den Schafen sind wir Wissenschaftler wirklich Laien, wenn wir die Chemikalien in einer bestimmten Nahrung untersuchen. Schafe können keine Etiketten lesen, sie benutzen allein ihre Sinne, um bestimmte Geschmäcker mit einer Erfahrung zu assoziieren und daraus Präferenzen oder Abneigungen zu entwickeln."
Diesen ausgeprägten Sinn für Inhaltsstoffe möchte Juan Villalba von der Utah State Universität in Old Main Hill in Nutztieren wieder stärker zum Leben erwecken. Denn Tiere, die im Stall gehalten werden, haben keine Möglichkeit, in die medizinische Trickkiste der Natur zu greifen. Sind sie krank, bekommen sie Medikamente oder werden sogar prophylaktisch mit Antibiotika behandelt. Doch der übermäßige Gebrauch an Arzneimitteln stößt nicht nur bei Verbrauchern auf Kritik: Auch Forscher bemängeln, dass viele Medikamente ihre Wirkung verlieren, weil sie in der Tierhaltung massiv eingesetzt werden.
Große Probleme mit Parasiten im Stall
"Landwirte haben große Probleme mit Parasiten, die gegen Medikamente resistent geworden sind. Sie sind deshalb sehr an einer Lösung interessiert. In unseren Studien konnten wir zeigen, dass Schafe Pflanzen mit einem hohen Gehalt an Gerbstoffen bevorzugen, wenn sie von Parasiten befallen sind. Ohne Würmer haben sie diese Vorliebe nicht."
In der freien Natur können Schafe und andere Weidetiere ihre Parasiten mit gerbstoffreichen Blättern in Schach halten. Doch im Stall haben sie keinen Zugang zu solchen Pflanzen. Juan Villalba will Landwirte deshalb dazu bringen, ihren Tieren nicht nur Futterpflanzen anzubieten, sondern auch Gewächse mit sogenannten sekundären Inhaltsstoffen, die oftmals eine medizinische Wirkung haben. In seinen Studien konnte der Forscher auch nachweisen, dass Lämmer schneller lernen, Pflanzen mit solchen Inhaltsstoffen zu finden, wenn sie länger bei ihren Müttern verweilen dürfen. Er plädiert deshalb dafür, Jungtiere nicht direkt nach der Geburt von ihren Eltern zu trennen.
"In Anwesenheit der Mutter lernen die Lämmer schneller. Was aber auch sehr interessant war zu beobachten: Das Muttertier scheint auch schneller zu begreifen, welche Pflanzen medizinisch wirksam sind, wenn sie das Lamm länger bei sich hat."
Medizin aus der Natur
Juan Villalba möchte aber nicht nur Landwirte davon überzeugen, sich wieder mehr auf den medizinischen Instinkt der Nutztiere zu verlassen. Auch im Zoo gehaltene Arten sollten Zugang zu Pflanzen mit bestimmten Inhaltsstoffen bekommen, die sie fressen können, wenn sie diese brauchen. Wie wichtig diese Wirkstoffe für das Überleben eines Tieres sein können, weiß Rainer Lindigkeit von der TU Braunschweig. Der Pharmazeut sucht in Pflanzen, die wild lebende Tiere als Medizin nutzen, nach interessanten Wirkstoffen.
"Das hat man bei Lemuren in einem amerikanischen Zoo gesehen. Diese im Zoo gehaltenen Tiere wurden selbstverständlich mit ausreichend Nahrung versorgt. Allerdings ist es - trotz dieser ausreichende Nahrungszufuhr - nach einiger Zeit zu massiven Durchfällen bei einigen gekommen, die sogar zum Tode führten. Und die Frage war warum ist das so? Um das zu klären, stellte man den Tieren ein großes Freigehege zur Verfügung. Und das Ergebnis war das diese Tiere ganz gezielt bestimmte Blätter gefressen haben. Aufgrund von Zusatzstoffen, die für die Verdauung absolut notwendig sind."
Obwohl Lemuren aus Madagaskar stammen und amerikanische Pflanzen nicht kennen, hatten sie in der Fremde Pflanzen mit den richtigen Inhaltsstoffen gefunden. Doch nicht nur Säugetiere wissen sich zu helfen: Auch Vögel, Amphibien oder Insekten schützen sich aktiv vor Pilz-, Bakterien- oder Parasitenbefall. Die Forscher entdecken immer mehr Beispiele von Selbstmedikation. Sogar bei Arten, denen sie diese Fähigkeit nicht zugetraut hätten.