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Krankgemeldete Air-Berlin-Piloten
"Da sollten jetzt eigentlich alle zusammenstehen"

Der Piloten- und Flugausfall bei der insolventen Air Berlin säge am Ast der ganzen Belegschaft, meint Insolvenzexperte Jörn Weitzmann. Im Dlf sagte er, alle Beschäftigten sollten jetzt gleichermaßen zu einem geordneten Betrieb und einer geordneten Insolvenz beitragen.

Jörn Weitzmann im Gespräch mit Silvia Engels |
    Am Schalter von Air Berlin warten am 12.09.2017 auf dem Flughafen in Düsseldorf Reisende, deren Flüge annuliert worden sind.
    Über 30 Flüge der insolventen Air Berlin fallen heute aus, weil Piloten ausfallen. Plötzliche Grippewelle oder verdeckter Streik - laut Insolvenzexperte Jörn Weitzmann ist das Fernbleiben nicht im Sinne der gesamten Belegschaft. (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Silvia Engels: Das Zittern für die Flugpassagiere von Air Berlin geht auch heute weiter. Viele Piloten haben ihre Krankmeldung noch aufrecht erhalten. Die Air-Berlin-Leitung sieht darin einen gezielten Protest gegen drohende Gehaltseinbußen der Piloten, wenn die Airline einmal andere Eigentümer bekommt. Mehr als 30 Flüge wurden auch heute abgesagt. Erneut stranden viele Passagiere an den Eincheck-Terminals.
    Mitgehört hat Jörn Weitzmann. Er ist Insolvenzexperte und selbst Insolvenzverwalter in Hamburg. Außerdem ist er Vorsitzender der AG Insolvenzrecht im Deutschen Anwaltsverein. Guten Tag, Herr Weitzmann.
    Jörn Weitzmann: Guten Tag!
    Engels: Welche Chancen hat ein insolventes Unternehmen generell, wenn so eine ja offenbar bewusste Aktion von Mitarbeitern mitten im Verfahren passiert?
    Weitzmann: Das ist natürlich schon ein Schlag in die Magengegend, und zwar unterhalb der Gürtellinie. Man muss sich eigentlich überlegen, dass Air Berlin, wenn man die Bilanzzahlen nimmt, monatlich erhebliche Verluste gemacht hat. Im Jahr auf die 8600 Arbeitnehmer umgerechnet über 75.000 Euro. Und wenn es dort ein Sanierungsteam um den Kollegen Kebekus und Flöther und die anderen Beteiligten aus dem Unternehmen gibt, die versuchen, betriebsnotwendige Teile zu erhalten und wieder aufzustellen, dann kann man es wirklich nur in höchstem Maße als unfair betrachten, wenn hier eine Pilotengruppe versucht, gegebenenfalls Vorteile für sich darzustellen.
    "Da sollten jetzt eigentlich alle zusammenstehen"
    Und das erhöht die Attraktivität für mögliche Übernehmer mit Sicherheit nicht, denn wir wissen alle, wie wettbewerbsintensiv die Luftfahrt ist und dass auch große Airlines wie beispielsweise die Lufthansa mit unterschiedlichen Tarifsystemen, Gewerkschaften erhebliche Probleme mit Arbeitskämpfen gehabt haben. Das ist der Schritt in die falsche Richtung, und da sollten jetzt eigentlich alle zusammenstehen, um zu gucken, dass man tatsächlich in der Lage ist, auch vernünftig einen Airline-Betrieb zu gestalten, und dass es nicht nur um die eigene Bedürfnisbefriedigung geht.
    Engels: Nun haben wir gehört, dass sich einige Piloten wieder gesund gemeldet haben. Aber dennoch: Es kommt zu Flugausfällen. – Schauen wir mal auf die schlechtere der Entwicklungen, die das nehmen kann. Auch Herr Kebekus, der Generalbevollmächtigte, hat das Wort von Liquidation in den Mund genommen. Was könnte im schlimmsten Fall passieren und was würde das für die Passagiere bedeuten?
    Weitzmann: Die Passagiere sind natürlich jetzt schon in hohem Maße verunsichert. Da muss man wirklich sagen, dass der Generalbevollmächtigte, Herr Kebekus, zusammen mit dem vorläufigen Sachwalter, Herrn Flöther, und auch den Beteiligten alles getan haben, um den Geschäftsbetrieb im Prinzip sicherzustellen, um in Ruhe ein vernünftiges Verfahren zur Beordnung, zur Übertragung fortführungsfähiger Betriebsteile zu haben. Nur wenn einzelne Mitarbeiter jetzt alles tun, um Zweifel in die Leistungsfähigkeit zu setzen, dann wird keiner mehr bei Air Berlin buchen, und mit einem leeren Flugzeug können Sie nicht fliegen. Das heißt, Sie vergrößern die Verluste und sorgen dafür, dass das Unternehmen wirklich dann am Boden bleibt und exekutiert wird.
    "Wer jetzt streike, sägt der ganzen Belegschaft den Ast ab"
    Engels: Dann könnten die Kunden auch kein Geld zurückverlangen?
    Weitzmann: Die Kunden haben einen Anspruch, aber ein Anspruch im Insolvenzverfahren wird allenfalls brutal befriedigt, wenn Geld da ist. Der Kunde möchte ja auch fliegen. Der möchte ja keinen Anspruch haben, sondern er möchte fliegen und bucht dann im Zweifelsfall eher woanders, bei einer anderen Airline oder bei der Bahn, und dann bleiben die Kunden weg. Dann bleiben die Einnahmen weg und dann können Sie ein Unternehmen nicht fortführen. Die Belegschaft sollte eigentlich gewarnt sein, weil Air Berlin seit Jahren erhebliche Verluste darstellt, und deshalb sollte man in dieser kritischen Phase eigentlich alles tun, um das Unternehmen zu stützen, um zumindest für die fortführungsfähigen Teile, egal ob das im Bereich Technik oder auch Passage ist, dort die Möglichkeiten zu erhalten, auch tatsächlich möglichst viele gesunde Teile sanierungsfähig zu übertragen.
    Engels: Das sind die Perspektiven für Kunden, die buchen, für die Hoffnung, die die Leitung dort hat im Moment. Aber schauen wir noch mal auf den konkreten Fall, wenn jetzt wirklich droht, es wird liquidiert. Dann werden die Kunden, die gebucht haben bei Air Berlin, kein Geld kriegen, und gleiches gilt auch für den Übergangskredit in Höhe von 150 Millionen Euro, den die Bundesregierung gewährt hat? Ist das dann alles weg?
    Weitzmann: Da muss man gucken bei Kreditgebern, welche Sicherheiten denen gestellt worden sind, wie werthaltig die Sicherheiten sind. Nur es ist natürlich so, wenn Sie ein Unternehmen haben, was liquidiert wird in Einzelteilen, wo Sie die Slots nicht gesondert übertragen können, wo Sie ganz hohe Ablaufkosten haben, Kündigungskosten und so weiter, da haben Sie dann tatsächlich nur noch die Brotsamen und haben kein geordnetes Unternehmen, keine richtigen Assets mehr, die Sie übertragen können. Diejenigen, die jetzt streiken beziehungsweise bewusst nicht zur Arbeit kommen, sägen sich den Ast ab, auf dem sie sitzen, und zwar die ganze Belegschaft sitzt.
    Anspruch auf Sozialplan - aber für alle
    Engels: Dann schauen wir auf Auswege, die es geben könnte. Die Pilotengewerkschaft Cockpit fordert nun nach wie vor einen Sozialplan für die Air Berlin Piloten. Am Montag waren entsprechende Gespräche gescheitert. Sollte man hier dennoch mal einen Vorstoß versuchen aus Perspektive der Leitung?
    Weitzmann: Die Insolvenzordnung gibt durchaus einen Rahmen für einen Sozialplan und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein insolvenzrechtlicher Sozialplan von dem Unternehmen und von dem Sachwalter und dem Gläubigerausschuss nicht eingeleitet wird. Darauf gibt es einen Anspruch und der kann auch umgesetzt werden. Nur es geht jetzt nach den Regeln der Insolvenzordnung und da ist sichergestellt, dass es nicht Einzelne gibt, die sich vorab vor allen anderen befriedigen können. Da gibt es für die Arbeitnehmer schon Vorteile, aber die Vorteile sind im Sozialplan auch gedeckelt und das müssen auch privilegierte Arbeitnehmer zur Kenntnis nehmen.
    Engels: Nun haben sich die Piloten, die derzeit nicht arbeiten gehen, möglicherweise indirekt einmal zu Wort gemeldet. Zumindest hat ein früherer Betriebsratschef von Air Berlin einen Brief geschrieben an die Verantwortlichen von Air Berlin. Er hält ihnen dort vor, mit ihrem Kurs sich vertraglicher Altlasten entledigen zu wollen. Ist da etwas dran? Setzen insolvente Geschäftsführungen ihre Mitarbeiter ganz bewusst unter Druck, weil ja doch die Druckmittel erheblich sind?
    Weitzmann: Ich meine, eine Insolvenz fällt nicht vom Himmel, sondern zu Anfang ist eine strategische Krise. Dann kommt häufig eine Produkt- und Ertragskrise. Dann bleibt das Geld aus und zum Schluss die Liquidität. Das heißt, die Ursachen sind sehr viel früher da. Und wenn man sich den Jahresabschluss von Air Berlin anguckt, so haben die in den letzten Jahren deutlich steigende Verluste gehabt. Waren es 2015 noch ein negatives EBIT von 307 Millionen, waren es 2016 schon über 667 Millionen. Das heißt, man hat 50 Millionen Euro im Monat verbrannt. Und wenn man das mal runterrechnet auf die Zahl der 8.600 Arbeitnehmer, ist das pro Kopf ein Verlust von über 75.000 Euro, und da muss man sich schon ganz schön anstrengen, um wieder in schwarze Zahlen zu kommen. Deshalb kann man nur Respekt zollen zu allen, die sich in dieser Zeit wirklich darum bemühen, hier noch wirklich Teile zu halten.
    Engels: Herr Weitzmann, wir müssen zum Ende kommen. Vielen Dank für Ihre Zeit. – Das war Jörn Weitzmann, Insolvenzexperte und selbst Insolvenzverwalter. Wir sprachen über den Stand und die Perspektiven für Air Berlin. Vielen Dank.
    Weitzmann: Vielen Dank! – Alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.