Die Pest war die Seuche des Mittelalters und der frühen Neuzeit, die Cholera die des 19. Jahrhunderts und die Tuberkulose die Seuche der Industrie, so fasst es der Medizinhistoriker Jörg Vögele im Dlf zusammen. ″Das 20. Jahrhundert scheint nun durch die grippeartigen Erkrankungen geprägt zu sein″, so Vögele. Das zeige auch, dass Pandemien eben nicht nur ein medizinisches Phänomen seien, sondern auch immer überlagert werden von den sozialen, kulturellen und ökonomischen Entwicklungen. So habe jede Zeit sozusagen ihre Seuche.
Es habe ihn aber erstaunt, wie sich bei Covid-19 die Muster der alten Epidemien wiederholten. Am Anfang stehe häufig die Verharmlosung. So hätte man auch bei der Cholera 1890 nur von einem sommerlichen Brechdurchfall gesprochen. Durch die hohen Opferzahlen entstehe danach meistens Panik, die sich durch die Flucht aufs Land zeige. Nach der Pandemie beginne dann immer die Suche nach den Schuldigen. ″Das sind immer gesellschaftliche Randgruppen, die sich schlecht wehren können.″
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Pandemien hätten aber auch schon immer Entwicklungen beschleunigt, die bereits vorher angelegt gewesen seien. So wie nun beispielsweise im Bereich der Digitalisierung. Dennoch gebe es natürlich auch große Unterschiede - zum Beispiel bei den Bewältigungsstrategien und auch den Betroffenengruppen. Die spanische Grippe habe stark die junge Bevölkerung getroffen.
″Es gibt immer Epidemien und Krankheiten, auf die die Gesellschaft blickt und es gibt solche, die sie weniger im Blick hat.″ Beispielsweise seien Säuglinge immer die größte Risikogruppe gewesen mit Sterblichkeiten bis zu 30 Prozent. Das sei aber nie ein Skandal gewesen. Erst im 20. Jahrhundert habe man gegengesteuert, nachdem die Geburten stark zurückgegangen und der Bedarf an Arbeitern und Soldaten gestiegen sei.
Bei Covid habe er ein ähnliches Gefühl. So bekomme Europa die Pandemie wohl in den Griff – wenn man sich aber die geringe Durchimpfung in Afrika anschaue, dann sehe man ″die Dramatik der Dinge.″