Die Epidemiologen, die kurz nach den ersten EHEC-Fällen in Hamburg ausschwärmten, hatten eine Mission: Das verseuchte Lebensmittel so schnell wie möglich finden und so den Ausbruch stoppen. Also befragten sie die Patienten am Krankenbett, was sie in letzter Zeit gegessen hatten – das ist gängige Praxis, kostet allerdings viel Zeit. Man muss viele Menschen befragen, bis man ein paar Lebensmittel eingrenzen kann. Und: Die Angaben der Patienten sind nicht immer vollständig, sagt Annemarie Käsbohrer vom Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin.
"Und wenn wir uns den EHEC-Ausbruch anschauen, dann haben wir eine ganz besondere Situation gehabt: Denn was verzehrt wurde - also das, was wir am Schluss als die wahrscheinlichste Ursache identifiziert haben - ist etwas, woran sich viele gar nicht erinnert haben. Weil es war mehr oder weniger die Dekoration auf einer Speise, diese Sprossen. Viele Menschen haben das gar nicht bewusst wahrgenommen."
Wochenlange Suche
Damals hat es Wochen gedauert, bis die Sprossen ausfindig gemacht worden sind. Forscher des BfR haben jetzt, zusammen mit Kollegen aus den USA, eine neue Methode entwickelt, die die Patientenbefragung ergänzen könnte. Das Verfahren basiert auf der Analyse von Warenströmen. Wenn irgendwo viele Menschen erkranken, überprüfen die Forscher, welche Produkte in der Region besonders häufig verkauft wurden. Praktisch sieht das so aus:
"Nehmen wir mal ein hypothetisches Szenario: Stellen wir uns vor, wir haben Fleischprodukte, als Beispiel Minisalami. Die wird von einem Hersteller hergestellt, und dort gibt es eine Salmonellenkontamination."
Solche Fälle gibt es immer mal wieder: Kinder, die an Salmonellen erkranken, weil sie kontaminierte Minisalami oder Teewurst gegessen haben.
"Dieses Produkt würde im Supermarkt verkauft. Anhand dieser Supermarktdaten würde man genau wissen, wie häufig dieses Produkt von dieser Firma in einem bestimmten Zeitraum verkauft wurde. Wenn man jetzt einen Salmonellen-Ausbruch beim Menschen hat, dann könnte man diese Erkrankungsmuster beim Menschen vergleichen mit den Verkaufsdaten. Und zum Beispiel zeigen: Ja, diese Orte, wo Kinder häufig erkrankt sind, das sind auch die Orte, wo häufig dieses Fleischprodukt verkauft wurde. Und dann könnte man gezielt bei dieser Firma, bei diesem Produkt Untersuchungen veranlassen und schauen, kann man den Erreger nachweisen. "
Die Behörden, so die Hoffnung, könnten dem verseuchten Lebensmittel also schneller auf die Spur kommen – und das ist nicht nur gut für den Verbraucher, sondern auch für die Industrie.
"Je schneller man natürlich das Lebensmittel erkennt, das für den Ausbruch verantwortlich ist, umso schneller sind andere Produkte wieder aus dem Verdacht raus. Und man kann eben auch den Schaden auf das absolut notwendige begrenzen."
Melderegister für besondere Krankheitsfälle
Die Forscher müssen den Computer dafür mit den richtigen Daten füttern. Das sind einmal die Krankheitsfälle, dafür gibt es besondere Melderegister. Zweitens die Verkaufsdaten aus dem Supermarkt. Es gibt Firmen, die solche Daten sammeln und in anonymisierter Form bereitstellen. Dass die Methode theoretisch funktioniert, haben die Forscher bereits gezeigt. Bei einem echten Ausbruch ist sie aber noch nicht zum Einsatz gekommen, das wäre der nächste Schritt. Und im Moment gibt es auch noch eine Einschränkung:
"Die Methode – so weit, wie wir im Moment sind – konzentriert sich darauf, Produkte zu entdecken, die mehr oder weniger so von dem Verbraucher dann auch gegessen werden. Wenn wir jetzt im Gegensatz dazu eine Zutat haben, eine kontaminierte Zutat, die in ganz unterschiedlichen Lebensmitteln dann verarbeitet wird - nehmen wir mal ein bestimmtes Gewürz, das geht in ganz viele verschiedene Speisen - dann können wir natürlich das über so eine Methode nicht erkennen. "
Beim EHEC-Ausbruch hätte die Methode also auch nicht viel weitergeholfen: Die Sprossensamen sind nämlich ebenfalls zu verschiedenen Produkten weiterverarbeitet worden. Die Forscher wollen die Methode aber noch weiter verfeinern.