Tumorzellen kann man nicht nur an ihren Genen von gesunden Zellen unterscheiden. Die Chemikerin Livia Eberlin von der University of Texas in Austin nimmt andere Merkmale ins Visier:
"Krebs und normales Gewebe haben verschiedene molekulare Profile. Die Krebszellen wachsen ja sehr schnell und unkontrolliert. Bestimmte Stoffwechselprodukte, also kleine Moleküle, werden dann anders produziert als in gesunden Zellen."
Wenn es darum geht, feinste Unterschiede in der Stoffzusammensetzung von Gewebeproben zu ermitteln, bietet sich ein besonders empfindliches Analyseverfahren an: die Massenspektrometrie. Livia Eberlin erforscht Möglichkeiten, diese Technik in der Krebsdiagnostik einzusetzen:
"Wenn wir die Stoffwechselprodukte analysieren, können wir molekulare Profile, die typisch sind für Krebszellen, von den molekularen Profilen normaler Zellen unterscheiden. Wenn wir das mit einer ausreichend großen Zahl von Patienten machen, bekommen wir repräsentative Profile, die charakteristisch sind für Tumoren."
Weder Zellen noch Gewebe werden beschädigt
Gemeinsam mit Medizinern entwickelte Livia Eberlin eine Technik, mit der sich die Frage "Tumor oder gesundes Gewebe?" fast in Echtzeit beantworten lässt. "MasSpec Pen" heißt das System. Für die Analyse reicht es aus, eine Art Stift für nur wenige Sekunden auf das Gewebe zu halten. Über die Spitze des Stiftes wird dabei erst ein kleiner Tropfen Wasser abgegeben, damit sich gewebetypische Moleküle darin lösen. Nach drei Sekunden wird das Wasser von der Zelloberfläche wieder durch den Stift abgesaugt und zum Massenspektrometer geleitet. Dort werden alle im Wasser gelösten Moleküle anhand ihrer Masse kategorisiert. Ein Computer wertet die erfassten Signale automatisch aus und zeigt nach nur zehn Sekunden das Ergebnis auf einem Bildschirm an: "Tumor" oder "normal".
"Unser Verfahren ist sehr schonend. Wenn man duscht, extrahiert man ja mit dem Wasser auch immer Moleküle, ohne sich Gedanken darüber zu machen. Da gibt es weder an den Zellen noch am Gewebe irgendwelche Schäden."
Das Verfahren ist auch erstaunlich akkurat. Die Forscher trainierten das System anhand von 253 Gewebeproben von Patienten mit Tumoren. Anschließend erkannte es in mehr als 96 Prozent der Fälle korrekt, wenn sich Krebszellen unter der Spitze des Analysestifts befanden. Bisher sind das nur Laborergebnisse von Prototypen. Livia Eberlin will den "MasSpec Pen" nun zur Serienreife entwickeln. In Zukunft sollen Chirurgen noch während einer Krebs-OP damit erkennen können, wo sie ihr Skalpell ansetzen sollten.
Erste Behandlungen im nächsten Jahr möglich
"Wir zielen mit dem Verfahren auf die chirurgische Grenzanalyse. Das sind die Situationen, wenn der Chirurg schon den Großteil des Tumors entfernt hat und nun in den Randbereichen unsicher ist, ob er das Krebsgeschwür schon komplett erwischt hat oder nicht. Die Ärzte wollen ja möglichst viel gesundes Gewebe erhalten, aber sie wollen auch keine Tumorzellen im Körper zurücklassen. Wir hoffen sehr darauf, dass der "MasSpec Pen" auf Basis der molekularen Informationen die chirurgische Arbeit präziser machen kann."
Bei Test-Operationen an krebskranken Mäusen hat das schon gut geklappt. Analysen ergaben, dass der "MasSpec Pen" auch Mischgewebe von Tumor- und gesunden Zellen korrekt erkennen kann. Der Chirurg bekommt so eine wertvolle Entscheidungshilfe, wo der diffuse Grenzbereich des Tumors endet. Die räumliche Auflösung der Messungen liegt aktuell bei rund einem Millimeter. Wenn die Zulassungsbehörden grünes Licht geben, könnten schon im nächsten Jahr auch an menschlichen Patienten erste Tumor-Behandlungen mit Unterstützung des Krebserkennungsstiftes erfolgen.