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Krebserregend oder unbedenklich?

Laut der EU-Verordnung REACH müssen Chemieunternehmen systematisch alle auf dem Markt befindliche Substanzen auf ihre gesundheitliche und ökologische Auswirkung überprüfen. Der erste Datenschwung liegt bei der EU-Chemikalienagentur in Helsinki vor.

Von Ralph Ahrens |
    Heute lehnen sich viele Mitarbeiter von Chemiefirmen erleichtert zurück. Sie haben in den letzten Monaten bis gestern um Mitternacht umfangreiche Dossiers über Gefahren und Risiken von rund 3000 Chemikalien zusammenstellen. Damit endete die erste Staffel von REACH. Jetzt liegen Dossiers zu Stoffen vor, von denen Firmen mehr als 1000 Tonnen jährlich vermarkten oder zu Stoffen, die Krebs auslösen können.

    Nun können sich die Mitarbeiter kurz ausruhen. Gerd Romanowski, Geschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie.

    "Die erste Zwischenstation ist erreicht, wo der erste Becher Elektrolytgetränke zu sich genommen wird, um wieder Kräfte zu sammeln, mehr ist noch nicht geschafft."

    Denn bis 2018 müssen die Chemiefirmen über Gefahren und Risiken von etwa 30.000 weiteren Stoffen berichten. Diese Daten zu erheben und zusammenzutragen ist teuer. Deutsche Chemieunternehmen kostete das bereits mehr als zwei Milliarden Euro, so Gerd Romanowski. Diesen Aufwand hält Patricia Cameron vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland jedoch für notwendig.

    "Alle die Daten, die jetzt unter REACH erhoben werden, sind ja absolut notwendig. Sie sind vorher nie gesammelt worden. Und wenn wir diesen Datensatz haben, dann haben wir die Voraussetzung geschaffen, um tatsächlich systematisch und wirksam Chemikalien zu regeln, und auch die Voraussetzung dafür, gefährliche Stoffe weitgehend zu substituieren. Von daher brauchen wir alle diese Daten."

    Die Daten werden jetzt ausgewertet und vielleicht muss mit einigen Chemikalien bald anders verfahren werden, um Arbeiter, Verbraucher oder die Umwelt besser zu schützen. Manch' eine Anwendung kann sogar verboten werden.

    Dennoch sind Umweltverbände mit der Chemikalienverordnung REACH nicht ganz zufrieden. Patricia Cameron gibt ein Beispiel.

    "Wir sind der Meinung, dass Nano-Materialien unter REACH bisher nicht ausreichend geregelt sind. Also, dass zum Beispiel Nanosilber einer anderen Registrierung bedarf als Silber, weil es andere Eigenschaften hat."

    So wirkt Silber nur in seiner Nanoform – also als winziges Partikel – giftig gegen Bakterien und Schimmelpilze. Eine eigene Registrierung von Nano-Materialien hält die Chemieindustrie aber für unnötig. Firmen, die Silber vermarkten, müssten unter REACH auch diese Giftwirkung bewerten. Das finde aber, kritisieren Umweltschützer, nicht ausreichend statt.
    Unzufrieden ist Patricia Cameron auch mit dem Auskunftsrecht für Verbraucher.

    "Wir haben ja mit REACH erstmalig die Möglichkeit, dass der Verbraucher im Laden, wenn er ein Produkt kauft, die Möglichkeit hat zu erfahren, ob sich gefährliche Substanzen in diesem Produkt befinden. Und das ist einmalig – nur das kann letztlich das Vertrauen der Verbraucher in Produkte schaffen. Und es ermöglicht auch jedem, frei zu wählen, ob er sich bestimmten Risiken aussetzen möchte oder nicht."

    Das Auskunftsrecht gilt jedoch nur für Stoffe auf der 'Kandidatenliste'. Das ist die Liste, aus der die EU Stoffe auswählt, die zugelassen werden. Auf der Liste stehen zurzeit nur knapp 40 Stoffe – darunter etwa vier fruchtbarkeitsschädigende Phthalate, die als Weichmacher im Kunststoff PVC eingesetzt werden –, doch Patricia Cameron vermutet, die Wirtschaft setze mehr als 2000 solcher besonders besorgniserregenden Substanzen ein.
    Chemievertreter Gerd Romanowski wehrt sich jedoch gegen ein Auskunftsrecht für alle diese Stoffe. Es wirke wie eine Vorverurteilung, obwohl in der Industrie mit gefährlichen Stoffen sicher umgegangen werden kann.

    "Allein das Auftauchen auf der Kandidatenliste führt bereits zu einer Stigmatisierung dieser Stoffe, und führt dazu, dass Handel und nachgeschaltete Anwender versuchen, diese Stoffe aus den Produkten heraus zu halten. Es ist im Grunde ein Black-Listing, eine Stigmatisierung, die eigentlich noch nicht gerechtfertigt ist, weil ja die endgültige wissenschaftliche Bewertung noch nicht erfolgt ist."

    Für Patricia Cameron gibt die Kandidatenliste hingegen Orientierungshilfe, welche Stoffe verantwortungsvolle Unternehmen in Zukunft lieber meiden sollten. Der Streit darum, was sichere Chemie vor allem in Verbraucherprodukten ist, wird also weitergehen.

    REACH