Das winzige weiße Lungengerüst aus feinen, aber festen Protein-Streben schwebt in einer rosa Flüssigkeit. Es stammt von einer Ratte und hätte in einem Fingerhut Platz - viel zu klein für einen Menschen. Was der Doktorand David Fecher vom Lehrstuhl für Tissue Engineering und regenerative Medizin der Universität Würzburg hier vorstellt, ist also keine Ersatzlunge für die Transplantation.
"Wir versuchen möglichst realistisch einen Lungentumor aufzubauen im Labor. Und dazu verwenden wir ein Gerüst aus einer Rattenlunge, die wir vorher zellfrei machen und dann Tumorzellen aufbringen. Und dabei wächst ein Tumor in diesem Gerüst."
Auf den feinen Verästelungen der Rattenlunge wachsen menschliche Tumorzellen aus der Lunge eines Patienten. Über kleine schlauchartige Katheter werden die Zellen von außen mit Luft und Nährlösung versorgt - als Blutersatz. Für die richtige, lungenähnliche Umgebung sorgt eine kleine Apparatur, die ständig Klack-Geräusche erzeugt. Ein besonderer Bioreaktor, den David Fecher und seine Kollegen in Würzburg entwickelt haben.
"Das ist dann der Lungenreaktor. Der besteht aus drei Teilen. Einerseits haben wir eine untere Kammer, eine Hauptkammer und einen Deckel. Die untere und die Hauptkammer sind voneinander mit einer Membran getrennt, sodass wir in der unteren Kammer ein Vakuum erzeugen können. Die Membran wird herunter gezogen und erzeugt in der Hauptkammer Unterdruck. Das ist ähnlich wie in unserem Körper, in unserem Brustkorb. Da wird Unterdruck erzeugt, in dem das Zwerchfell nach unten gezogen wird. Es entsteht Unterdruck im Brustkorb, und die Lunge atmet ein. Und genauso sieht es hier auch aus."
Der Unterdruck saugt über einen dünnen Schlauch Luft aus der Umgebung an. Gleichzeitig wird das Lungengewebe mit einer Pumpe über einen zweiten Schlauch mit Nährflüssigkeit versorgt. Das geht sogar pulsierend - wie beim menschlichen Herzen.
Nebenwirkungen vermeiden und Wirkung steigern
Diese Lungensimulation soll der Krebsforschung dienen - sowohl der Grundlagenforschung als auch der Entwicklung von Medikamenten. Wirkstoffe gegen Krebs könnten mit der Mini-Lunge getestet werden - besser als im Tierversuch. Denn drei Viertel aller Krebsmedikamente, die in Tierversuchen erfolgreich waren, versagen in der medizinischen Praxis.
Der nächste Schritt ist die Optimierung der Krebstherapie für jeden einzelnen Patienten. Das ist die Vision von Heike Walles. Die Professorin leitet sowohl das Forscherteam an der Universität Würzburg als auch eine Projektgruppe der Fraunhofer-Gesellschaft.
"Wir wollen von den Patienten die Tumorzellen nehmen, das Tumorgewebe aufbauen und in unseren Bioreaktoren Therapien simulieren. So wollen wir voraussagen, welches Therapieverfahren für welchen Patienten geeignet ist."
Man baut ein künstliches Lungenmodell aus den Zellen des Patienten. Bevor zum Beispiel eine Chemotherapie am Patienten eingesetzt wird, kann sie an der künstlichen Lunge erprobt werden. So lässt sich die Wirkung steigern und Nebenwirkungen können vermieden werden.
Thorsten Walles, Leiter der Lungenchirurgie am Universitätsklinikum Würzburg, arbeitet mit den Gewebezüchtern zusammen. Er liefert das medizinische Know-how und die nötigen Patientenzellen.
Thorsten Walles, Leiter der Lungenchirurgie am Universitätsklinikum Würzburg, arbeitet mit den Gewebezüchtern zusammen. Er liefert das medizinische Know-how und die nötigen Patientenzellen.
"Der Lungentumor besteht aus unterschiedlichen Gewebekomponenten. Er stellt also immer ein Mischgewebe dar, was dann richtig diagnostiziert werden muss, und dann müssen die unterschiedlichen Gewebe auch richtig behandelt werden."
Einheitliche Tumorzellen auf einem Lungengerüst sind also nicht genug. Die Forscher in Würzburg arbeiten deshalb daran, verschiedene Zelltypen aus der menschlichen Lunge auf dem Gerüst im Bioreaktor zusammen zu bringen: Gesunde Zellen und Tumorzellen.
"Auch da machen wir Fortschritte. Und langfristig ist es tatsächlich das Ziel, patientenspezifische Lungenmodelle herstellen zu können."