"Im Jahr 2006, im Alter von 19 Jahren wurde bei mir ein Gehirntumor diagnostiziert, der genau an der Hypophyse, an der Hirnanhangdrüse gefunden wurde, dazu kam noch , dass an dem Tumor eine ungefährliche Zyste gefunden wurde."
Philipp Volkerts, dessen Namen wir geändert haben, ist heute ein junger Mann mit 26 Jahren. Der Tumor ist weg, Operation, Bestrahlung und Chemotherapie hatten Erfolg. Die Zyste blieb zunächst in seinem Kopf, staute ganz allmählich Hirnflüssigkeit auf, vergangenen Sommer musste Volkerts noch einmal operiert werden. Ein Schock für ihn, aber immerhin: kein neuer Tumor. Die Angst davor, dass wieder etwas sein könnte, ist ihm geblieben.
"Diese Geschichte mit der Unfruchtbarkeit bei der Chemotherapie, die auftauchen kann, was für einen jungen Mann ja relativ wichtig ist. Dann, was ich auch immer mal wieder gehört habe, waren Probleme mit dem Gehör, mit den Augen, die auftreten können, da bin ich bis dato zum Glück verschont worden."
Augen, Ohren, Herz, Lunge, Hirn, Knochen, die Fruchtbarkeit. Die Liste möglicher Spätschäden variiert je nach Therapieart und Medikation. Lange Zeit wurde das Thema von Ärzten und Forschern kaum beachtet, im Fokus stand allein der Sieg über die Krebserkrankung. Erst seit einigen Jahren gibt es umfassendere Studien zum Thema Spätfolgen. Die amerikanische Medizinerin Melissa Hudson vom St. Jude Children‘s Hospital schätzt:
"Wir wissen vielleicht die Hälfte von dem, was wir wissen müssten. Wir kennen Eckpunkte, zum Beispiel welche Medikamente das Herz und welche das Gehör schädigen können. Wir wissen auch, je höher die Dosis, und je jünger das Kind bei Behandlung, umso höher ist das Risiko. Aber wir wissen zum Beispiel sehr, sehr wenig darüber, welchen Einfluss genetische Faktoren haben."
Melissa Hudson leitet die zurzeit weltweit umfangreichste Studie. Sie holte mit ihren Kollegen gut 1700 ehemaligen Krebspatienten zurück ins St.-Jude-Hospital. Bei jedem Einzelnen überprüften sie unzählige körperliche und kognitive Kennwerte.
"Bei vielen Probanden haben wir Einschränkungen gefunden, die bis dato nicht diagnostiziert waren."
98 Prozent der Probanden hatten mindestens eine chronische Erkrankung. Am häufigsten war die Funktion der Lunge eingeschränkt, es folgen Schäden am Herzmuskel oder den Herzgefäßen. Diejenigen, die am Kopf bestrahlt wurden, kämpfen, je älter sie werden, umso häufiger mit Konzentrationsstörungen, und das deutlich früher als im Schnitt der Bevölkerung. Lunge, Herz, kognitive Fähigkeiten, bei all diesen gilt: der Schaden wird mit steigendem Alter meist größer. Doch das gilt womöglich nicht für alle Spätschäden:
Hudson: "Von denjenigen, die Platinderivate bekommen haben, oder eine Bestrahlung im Bereich der Gehörnerven, hatten 62 Prozent ein geschädigtes Gehör. Und diese Diagnose wird meist relativ bald nach Therapieende gestellt. Wir vermuten, dass wir aus unseren Daten noch Genaueres werden herauslesen können: Nämlich, ob Patienten, die den Gehörschaden nach einer gewissen Zeit immer noch nicht haben, ihn auch nicht bekommen werden, sich also auch keine Sorgen mehr zu machen brauchen."
Möglich also, dass Philipp Volkerts die Sorgen um sein Gehör bald vergessen könnte. Das könnte die nächste Auswertung der Daten aus den USA klären.