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Krebszellen auf die Streckbank

Medizin. - Bereits 2005 haben zwei Leipziger Forscher eine Apparatur entwickelt, die Krebszellen anhand ihrer mechanischen Eigenschaften erkennt. Das ist aus der Idee geworden.

Von Ralf Krauter |
    Ein neues Verfahren könnte die Früherkennung von Krebs revolutionieren, berichtete der Deutschlandfunk 2003. Gemeint war der sogenannte Cell-Stretcher, eine Streckbank für Zellen also, die die beiden Leipziger Physiker Josef Käs und Jochen Guck entwickelt und patentiert hatten.

    "Wir schießen mit zwei gegenläufigen Lasern auf die Zelle. Eigentlich wollten wir damit die Zellen quetschen, weil man sich denkt, das Licht wird reflektiert. Aber das Licht geht einfach durch. Allerdings gibt's dabei einen Impulsübertrag. Und dieser Impulsübertrag zieht die Zellen definiert auseinander. Das heißt, wir messen ganz einfach, wie weich oder wie hart die Zelle ist. Also wie man im Gymnasium die Federkonstante misst, indem man ein Gewicht dran hängt, ziehen wir an beiden Seiten und messen die Federkonstante der Zelle","

    erklärt Josef Käs, der mittlerweile Professor für die Physik weicher Materie an der Universität Leipzig ist. Der biomechanische Stresstest dient einem guten Zweck. Denn Krebszellen sind Softies. Weil sie im Frühstadium eines Tumors allmählich ihr Skelett verlieren, sind sie weicher als gesunde Zellen. Die optische Streckbank kann sie deshalb zuverlässig aufspüren.

    ""Wissenschaftlich läuft es extrem gut. Wir haben gerade die ersten klinischen Versuche veröffentlicht. Natürlich muss das Produkt auch kommerzialisiert werden. Sie wissen, dass es eine Wirtschaftskrise gibt, da gibt's also eher Probleme. Aber an sich läuft es bisher besser als wir erwartet haben."

    Jochen Guck, der Miterfinder der optischen Streckbank, ist mittlerweile Professor an der Universität Cambridge. Im Fachmagazin "Cancer Research" publizierte seine Gruppe kürzlich die Ergebnisse einer klinischen Studie zur Frühdiagnose von Mundkrebs. Und die belegen: Der Verformungstest kann Tumore im Frühstadium erkennen. Ein Abstrich der Mundschleimhaut genügt. Die Zellen werden in einer Flüssigkeit gelöst und einzeln durch feine Kanäle in einem Plastikchip gespült, wo sie das Laserlicht zweier Glasfasern in die Mangel nimmt. Momentan dauert die Messung zwei Sekunden pro Zelle. Die nächste Gerätegeneration soll aber schon 5000 Zellen pro Sekunde analysieren können.

    "Wir hatten eigentlich eine Lizenz an Zeiss vergeben. Also Zeiss wollte eine verkaufbare Maschine daraus bauen. Wir sind dabei schon fast am Ende dieser Entwicklung gewesen. Wie sie wissen geht's Zeiss derzeit nicht gut, da arbeitet man Teilzeit und Zeiss hat Teile seiner Rücklagen bei den Banken verloren. Infolgedessen hat sich Zeiss jetzt aus diesem Projekt ausgeklinkt. Und wir sind kurz davor, mit einer kleinen Firma jetzt wieder eine neue Lizenz zu schließen."

    Bis der Zellstrecker bei Vorsorgeuntersuchungen in Arztpraxen zum Einsatz kommt, werden noch fünf bis zehn Jahre vergehen, schätzt Josef Käs. Ein kommerzielles Messgerät für Forschungszwecke dagegen könnte vielleicht schon 2010 auf den Markt kommen. An Abnehmern dürfte es nicht mangeln. Die mechanische Zellprüfung verspricht nämlich ganz neue Erkenntnisse über Entstehung, Aufbau und Entwicklung vieler Tumore.

    "Wir führen gerade klinische Versuche zum Brustkrebs durch, zusammen mit Hamburg-Eppendorf. Dort geht es darum zu diagnostizieren, wann ein Tumor zu metastasieren beginnt. Und dort haben wir eine ganz neue Zellklasse gefunden von hyperaktiven Zellen, von denen wir im Moment sehr stark vermuten, dass das diejenigen Zellen sind, die für eine Metastase zuständig sind."

    Diese hyperaktiven Zellen, die sich auch in Lungen- und Gebärmutterhalstumoren finden, zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich bei Zugbelastung aktiv zusammenziehen. Ihre exakte Rolle muss erst noch erforscht werden. Fakt ist aber: Ohne den Zellstrecker wären sie vielleicht nie entdeckt worden. Nach anfänglicher Skepsis gegenüber dem neuen Werkzeug aus dem Physiklabor, interessieren sich klinische Forscher deshalb zunehmend dafür, sagt Josef Käs.

    "Heute ist immer noch die normale Pathologie, die visuelle Inspektion, der Goldstandard. Und wir verlangen jetzt sozusagen, dass man eine physikalische Eigenschaft der Zellen zur Diagnose nimmt. Das verlangt Umdenken. Es passiert jetzt gerade, sodass immer mehr Leute auf diesen Zug aufspringen. Es gibt inzwischen auch Konkurrenzfirmen. Was also sehr viel hilft, ist, dass wir eben jetzt sehr eng mit dem national cancer institute zusammen arbeiten. Und es ist eben so: Wenn eines der großen Krebsforschungsinstitute an Bord ist, dann wollen auch die anderen."