Als Michail Chodorkowski vor fünf Jahren begnadigt wurde, führte sein erster Weg aus dem Lager direkt nach Deutschland. Noch immer ist er der Kanzlerin dankbar. Dass Angela Merkel den CDU-Vorsitz abgegeben hat, besorgt ihn als ein Anfang vom möglichen Ende ihrer Regierung. Gilt sie doch als bindende Kraft in der Europäischen Union, wenn es um ein gemeinsames Auftreten gegen über Moskau geht.
"Putin und sein Kreis möchten einzeln auf die EU-Länder zugehen, denn das Vereinigte Europa hat mehr als doppelt so viele Einwohner wie Russland und eine fünfmal so starke Wirtschaft. Jedes einzelne EU-Land ist kleiner als wir. Ich bin Frau Merkel sehr verbunden. Ohne sie und ohne Hans-Dietrich Genscher würde ich heute nicht mit ihnen sprechen. Aber ich verstehe Angela Merkel. So viele Jahre in der Politik sind fast nicht auszuhalten."
Kreml will die Schwächung der EU
Der ehemals reichste Mann Russlands, Besitzer des größten Ölkonzerns Jukos, lebt heute in London, wo er fassungslos auf das Brexit-Chaos schaut.
"Mir tut das leid. Dass bei dem Brexit-Referendum der Kreml seine Finger im Spiel hatte, halte ich für eine Version, der man durchaus Beachtung schenken sollte. Denn der Kreml hat natürlich ein Interesse an der Schwächung der Europäischen Union."
Moskau betreibe eine hybride Kriegsführung, unterstütze extrem rechte wie linke Kritiker im Westen. Die russischen Geldströme seien völlig intransparent. Wie wenig auch der deutsche Geheimdienst BND darüber weiß, machte die Ko-Chefin des Zentrums Liberale Moderne, Marieluise Beck klar, auf deren Einladung Michail Chodorkowski in Berlin war.
"Als wir noch im Bundestagsbüro gearbeitet haben und sehr systematisch Einflussnahme auf die Ukraine markiert haben, bekamen wir Besuch von Herrn Maaßen und er fragte, ob wir Informationen über die Finanzierungsquellen hätten, weil selbst Herr Maaßen offenbar keine Informationen über die Finanzierung hat. Also wir tappen einfach im Dunkeln."
Chodorkowski befürchtet kein neues Wettrüsten
Ein neues Wettrüsten nach einem möglichen Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag über das Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen, weil Russland diesen verletzt, fürchtet der einstige russische Topmanager nicht: "Ich glaube nicht, dass man einen Krieg der Sterne wie unter Ronald Reagan wiederholen kann. So etwas geht nur einmal. Ich glaube auch nicht, dass sie im Kreml so unvernünftig wären, sich in ein solches Wettrüsten einzulassen, dass die gesamte russische Wirtschaft wie damals zu Sowjetzeiten in den Abgrund reißen würde."
Er wolle nicht bewerten, wer sich unmöglicher verhält: Trump oder Putin. Dass der Kreml gesetzeswidrig Einfluss auf Prozesse in westlichen Ländern ausübt, stünde außer Zweifel. Zehn Jahre saß Chodorkowski wegen angeblicher Steuerhinterziehung und Betrug in Haft. Das Verfahren gegen ihn galt als politisch motiviert.
Kreml nicht mit Russland gleichsetzen
Der heute 55-Jährige ist inzwischen einer der schärfsten Putin-Kritiker: "Wenn ich davon spreche, dass im Kreml eine Verbrecherbande herrscht, dann tue ich das nicht, weil ich jemanden beleidigen möchte. Ich rede auch nicht von einem ganz konkreten Verbrechen. Normalerweise schlagen Menschen, die mit anderen zusammenarbeiten oder ein Problem lösen möchten, etwas vor, das im gegenseitigen Interesse ist. Diese Gruppe macht das ganz anders. Sie bringt den anderen in Schwierigkeiten und schlägt ihm dann vor, die Probleme zu lösen. So handeln Verbrecher. Das was Putin in Syrien, Amerika, in der Ukraine oder in Deutschland macht, entspricht dem Verhaltensmuster von Kriminellen."
Jedoch solle niemand die Herren im Kreml mit Russland gleichsetzen. Die Zerstörung der jahrhundertealten deutsch-russischen Beziehungen wären ein grandioser Fehler. Nach zehn Jahren Lagerhaft und fünf Jahren Exil würde Michail Chodorkowski nur zu gern in seine Heimat zurückkehren: "Ich habe diese Hoffnung, immerhin bin ich zehn Jahre jünger als Putin. Ich hoffe auf den Moment, an dem Putin von der Macht abtritt, ich in mein Land zurückkehre und dort gebraucht werde."
Ukraine-Konflikt: Reaktionen des Westens unlogisch
Das kürzliche Auftauchen der Putin-Tochter Katerina Tichonowa im russischen Fernsehen, von vielen Beobachtern als mögliche Nachfolgerin interpretiert, kommentiert Chodorkowski zurückhaltend: "Ganz Russland hat das gesehen und jetzt gibt es jede Menge von konspirativen Versionen. Für irgendwelche Schlussfolgerungen haben wir noch viel Zeit, mindestens fünf Jahre." Inzwischen will er über das System Putin aufklären und politischen Häftlingen wie dem ukrainischen Regisseur Oleg Senzow helfen.
Die Reaktionen des Westens auf die Ausweitung des Ukraine-Krieges auf das Asowsche Meer bezeichnet Chodorkowski als unlogisch: "Als die Krim annektiert und zum Territorium Russlands erklärt wurde, war die Ausweitung der russischen Souveränität auf das Asowsche Meer nur ein logischer Schritt. Und so hätte auch der Westen reagieren müssen: Wenn er die Krim nicht als Teil Russlands ansieht, hätte er analog dazu beim Asowschen Meer seine Sanktionen erweitern müssen."