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Kreuz-Debatte
"Söder macht das Kreuz zum Bayern-Logo"

Die Theologin Ursula Nothelle-Wildfeuer kritisiert eine politische Instrumentalisierung des Kreuzes in Bayern. Es sei ein Glaubensymbol und kein Zeichen für eine Werteordnung. Kreuze seien nicht dazu da, um etwas von anderen fordern, es verpflichte vielmehr diejenigen, die es aufhängen.

Ursula Nothelle-Wildfeuer im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Markus Söder, Bayerischer Ministerpräsident (CSU), hängt ein Kreuz im Eingangsbereich der bayerischen Staatskanzlei auf.
    Markus Söder, Bayerischer Ministerpräsident (CSU), hängt ein Kreuz im Eingangsbereich der bayerischen Staatskanzlei auf. (dpa/Peter Kneffel)
    Benedikt Schulz: Markus Söder ist erst seit einigen Wochen bayerischer Ministerpräsident und hat es offenbar eilig in kurzer Zeit viele Dinge anzukündigen - was sicher auch an der Landtagswahl im Oktober liegt - wo die absolute Mehrheit der CSU als gefährdet gilt. Eine Ankündigung hat er nun umgesetzt, per Anordnung: In allen Landesbehörden des Freistaats müssen ab dem 1. Juni Kreuze aufgehängt werden. Und zwar, weil das Kreuz ein Symbol sei für die Grundwerte in Bayern und Deutschland, es sei kein religiöses Symbol. Kreuze und Bayern - da war doch was. Wir erinnern uns: Schon 1995 - da hat man in Bayern schon mal ziemlich heftig gestritten über das Kruzifix und das Bundesverfassungsgericht hat damals festgestellt, dass nicht in jedem Klassenzimmer ein Kreuz hängen muss. Im Beschluss stand auch dieser im aktuellen Zusammenhang hochinteressante Satz: "Das Kreuz ist Symbol einer bestimmten religiösen Überzeugung und nicht etwa nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur." Das ist die juristische Sichtweise - wir wollen über die theologische sprechen im Folgenden. Ursula Nothelle-Wildfeuer ist Professorin für Praktische Theologie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg und Sie hat ein Buch herausgegeben über die Bedeutung des Kreuzes in einer pluralistischen Gesellschaft. Ich grüße Sie!
    Ursula Nothelle-Wildfeuer: Schönen guten Tag, Herr Schulz.
    Die Theologin Ursula Nothelle-Wildfeuer bei einer Veranstaltung des BDA in Berlin
    Die Theologin Ursula Nothelle-Wildfeuer (imago/Reiner Zensen)
    Schulz: Also: Es heißt von Markus Söder, das Kreuz sei ein sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Geschäftsordnung in Bayern und Deutschland und es sei nicht das Zeichen einer Religion. Sie als katholische Theologin - was sagen Sie dazu?
    Ursula Nothelle-Wildfeuer: Das kann ich natürlich überhaupt nicht teilen. Ich glaube, das kann man nicht nur als Theologin nicht teilen, sondern das trifft tatsächlich auch jeden Christen, jede Christin, weil das Kreuz das zentrale Symbol für den christlichen Glauben ist. Und das abzustreiten ist das eine und das zum andern zum Symbol für das Bekenntnis zur Identität und zur kulturellen Prägung Bayern zu machen wie Söder das ja in seiner Begründung auch noch getan hat. Das verfehlt meines Erachtens den Sinngehalt des Kreuzes und damit der christlichen Botschaft.
    "Eine Instrumentalisierung des Kreuzes"
    Schulz: Ja, dann gehen wir mal in die Geschichte und auch in die historisch kritische Theologie. Was bedeutet das Kreuz konkret?
    Nothelle-Wildfeuer: Man muss zunächst tatsächlich mal sehen, wenn man von außen drauf schaut: Das ist ein schreckliches Folter- und Mordwerkzeug, Tötungswerkzeug gewesen zur damaligen Zeit. Und wir lesen das ja schon im ersten Korintherbrief, also einem Brief des Apostels Paulus, dass das Kreuz eine Torheit für die Heiden darstellt und dass es für die Juden ein Ärgernis ist und Gotteslästerung bedeutet. Also mit einem nicht-christlichen Blick darauf geschaut ist das gar nicht nachzuvollziehen. Und dann lesen wir aber beim Apostel Paulus weiter von der Weisheit, der Weisheit der Welt und von der Torheit des Glaubens. Und für Christinnen und Christen bedeutet dieses Kreuz das ganz Zentrale der Botschaft: Es steht für den Sohn Gottes, für Jesus Christus, der sich - so könnte man vielleicht sagen - insbesondere für seine Parteinahme für die, die am Rande der Gesellschaft stehen, für die Armen, für die Vergessenen, für die Ausgegrenzten - letztlich hat an das Kreuz nageln lassen. Das ist die letzte, die tiefste Konsequenz dieser Botschaft. Und dafür hat er sein Leben gegeben. Und das ist das, was das Kreuz eigentlich transportiert. Das ist eine zutiefst erlösende Botschaft, die man aber natürlich christlich ausformulieren und einholen muss.
    Schulz: Jetzt haben Sie den ersten Korintherbrief erwähnt. Den kann man ja auch lesen als eine Geschichte, wie das Kreuz von verschiedenen Gruppen instrumentalisiert wird. Haben wir das in diesem Fall auch vorliegen, den Fall, dass das Kreuz instrumentalisiert wird?
    Nothelle-Wildfeuer: Das würde ich schon sagen, ja. Was Herr Söder da formuliert hat und was dort beschlossen worden ist, ist meines Erachtens eine Instrumentalisierung des Kreuzes. Er macht es eigentlich zum Logo für Bayern, zum Logo für Deutschland. Zumindest mal für Bayern. Und ich glaube, das verfehlt völlig den Sinn. Das Kreuz lässt sich nicht primär auf eine Werteordnung reduzieren, sondern wir haben ja gerade über die Bedeutung des Kreuzes gesprochen. Daraus folgt natürlich schon etwas. Es ist nicht so, dass das bedeutungslos bliebe für das Handeln in der Gesellschaft, für das Handeln jedes einzelnen. Aber ich würde eben sagen, dass wir das Kreuz nicht primär in der Öffentlichkeit irgendwo anbringen oder aufhängen, um etwas zu fordern oder zu plakatieren, das Menschen zu akzeptieren haben, die dieses Kreuz sehen und die in dem Umfeld leben, wo das Kreuz Geltung beansprucht, sondern eigentlich umgekehrt: Meines Erachten hängen wir das Kreuz auf oder es ist in der Öffentlichkeit zu sehen, weil es ein Versprechen impliziert, eine Zusage derer, die es aufgehängt haben oder aufgestellt haben. Nämlich das Versprechen von Humanität oder Menschenfreundlichkeit, Wertschätzung, Anerkennung, Achtung der Menschenwürde. All das folgt, glaube ich, aus der Botschaft Jesu Christi, die mit dem Kreuz repräsentiert wird. Das ist eine Konsequenz aus der eigentlichen Botschaft und eine Verpflichtung für die, die es aufhängen - und nicht eine Verzweckung durch die für andere, die es aufhängen.
    "Der Kulturbegriff wird sehr verengt"
    Schulz: Wenn ich jetzt das Kreuz, wie Sie es formuliert haben, auf diese Werteordnung reduziere, grenze ich damit nicht auch die Leute aus, die eben nicht an das Kreuz glauben, sondern eben anderen Weltanschauungen, Religionsgruppen angehören? Ist das dann das Kreuz als Symbol der Ausgrenzung?
    Nothelle-Wildfeuer: Das, glaube ich, ist ein großes Problem bei dieser Entwicklung in Bayern. Es wird ja nicht expressis verbis formuliert, jedenfalls habe ich es nicht gelesen, dass es deutlich machen soll: Wir sind christlich und der Islam gehört nicht zu Deutschland. Die Debatte haben wir ja gerade wieder einmal geführt. Aber es schwingt mit, wenn die Rede ist von Identität und von kultureller Prägung. Und ich glaube, auch da muss man dran gehen. Kultur ist etwas ganz Wichtiges für eine Gesellschaft. Aber ich würde gerade sagen, unsere Kultur ist sicherlich auch, aber nicht ausschließlich gespeist vom Christlichen, von der christlichen Botschaft, ist eine Kultur, in der der Wert der Freiheit - und übrigens auch der Religionsfreiheit - eine ganz große Bedeutung hat.
    Markus Söder, Bayerischer Ministerpräsident (CSU), steht im Eingangsbereich der bayerischen Staatskanzlei neben einem Kreuz, das er kurz zuvor aufgehängt hat
    Markus Söder und das Kreuz in der Staatskanzlei - vom 1. Juni an sollen in allen bayerischen Behörden und öffentlichen Gebäuden Kreuze hängen (picture alliance/ dpa/ Peter Kneffel)
    Und schon das klingt eigentlich nicht so, als sei das hier primär im Blick. Auch der Kulturbegriff wird dann meines Erachtens sehr verengt und grenzt in der Tat die aus, die nicht aus diesem christlichen Kontext stammen.
    Schulz: Sonst ist häufig die Rede von der jüdisch-christlichen Prägung des Abendlandes. In dieser Debatte interessanterweise so gut wie gar nicht. Müssten nicht folgerichtigerweise auch jüdische Symbole in den bayrischen Staatskanzleien aufgehängt werden?
    Nothelle-Wildfeuer: Es würde vielleicht sinnvoll sein, darüber nachzudenken, welche anderen Elemente noch eine Rolle spielen. Das Jüdisch-Christliche zielt meistens, meine ich, auf solche Elemente wie Gottebenbildlichkeit, Geschöpflichkeit, die Frage nach Umgang mit der Schöpfung ab, was man dann vermeintlich alles auch unter dieser Rubrik Christlichen subsumiert. Aber natürlich spielt das Jüdische noch mal eine eigene Rolle. Das ist natürlich in Deutschland auch noch mal behaftet mit der ganz eigenen, nicht nur jüngsten, aber auch jüngsten Geschichte dazu. Insofern, glaube ich, tut man sich keinen Gefallen, wenn man das einfach alles subsumiert unter dem Christlichen und es wäre in der Tat nachzudenken über die Frage: Braucht es nicht dann auch Symbole oder Hinweise auf andere Religionen. Das aber glaube ich, ist gar nicht das, was gemeint ist. Denn man kann in unserer Kultur und auch in unserer Wertordnung ja gar nicht mehr eins zu eins sagen: Das kommt aus der Aufklärung, das kommt aus dem katholischen Glauben, das aus der evangelischen Richtung, sondern da fließt vieles ineinander und es entwickelt sich ja permanent weiter. Insofern ist das, glaube ich, keine sinnvolle Idee, da weitere Symbole aufzuhängen.
    Schulz: Ab dem 1. Juni müssen in bayrischen Landesbehörden Kreuze aufgehängt werden. Das hat die bayrische Landesregierung unter Ministerpräsident Markus Söder jetzt beschlossen. Darüber habe ich gesprochen - über die theologische Seite habe ich gesprochen mit Ursula Nothelle-Wildfeuer. Herzlichen Dank!
    Nothelle-Wildfeuer: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.