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Kreuz-Debatte
Überzogener Wahrheitsanspruch, überzogener Abwehranspruch

Das C wurden in den C-Parteien lange routiniert abgehandelt, jetzt ist es wahlkampftauglich, vor allem in Bayern. Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter warnt im Dlf vor einer christlichen Identitätspolitik. Damit setze man aufs Spiel, was das Christentum mühsam gelernt habe: Pluralität.

Heinrich Oberreuter im Gespräch mit Christiane Florin | 07.05.2018
    Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter.
    Die Diskussion ums Kreuz - die erkennbar wahlkampforientierte Kampagne werde das christliche Milieu eher abschrecken, so Heinrich Oberreuter (dpa / picture-alliance / Andreas Gebert)
    Christiane Florin: Es ist noch nicht so lange her, da schoben Vertreter der Parteien mit dem C im Namen eine Broschüre herüber, wenn sie nach dem Christlichen gefragt wurden. In dem Heftchen tauchte dann auf jeder Seite mindestens drei Mal das christliche Menschenbild auf - ein Routineding, so schien es. Mittlerweile ist deutlich mehr Leidenschaft zu erkennen: Steuer rauf oder runter? G8 oder G9? Das sind nicht mehr die großen Erreger-Themen. Jetzt geht es um Werte und christliche Identität. Das C ist wahlkampftauglich, nicht nur, aber besonders in Bayern. Über die neue Zeichenhaftigkeit in der Politik und deren tiefere Bedeutung möchte ich nun mit Heinrich Oberreuter sprechen. Er ist Politikwissenschaftler, leitete viele Jahre lang die Akademie für Politische Bildung in Tutzing und ist ein ausgewiesener Kenner der C-Parteien. In Passau ist er nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Oberreuter.
    Heinrich Oberreuter: Ja, guten Morgen, Frau Florin.
    Florin: Warum ist das C zurück in der Politik?
    Oberreuter: Es ist deswegen zurück, weil es herausgefordert wird durch die auffällige Konkurrenz anderer Identitäten und kultureller Orientierungen. Auch durch die Ansprüche, die da in der Öffentlichkeit sichtbar werden. Und vor allen Dingen kommt es in die Konkurrenz zurück, weil die Reaktion darauf nicht immer ein angemessenes intellektuelles Niveau erreicht, und sehr vieles in der Auseinandersetzung speziell mit den islamischen Identitäten durchaus nach einem besseren Niveau geradezu schreit. Da wird etwas für sich in Anspruch genommen, was man auf dieser Seite der Reaktionsbereiten eigentlich selber zu erbringen nicht in der Lage ist - wie man ja auch an den Positionen gemerkt hat, die hier (in dem vorangegangen Beitrag) aus der AfD referiert worden ist. Wenn man an Christsein und Deutschsein, wenn man an Nächstenliebe und Fernstenliebe denkt, dann sieht man hier doch gewaltige Defizite, mit denen man also eine christliche Orientierung nicht verbinden kann.
    Aber es ist natürlich dann auch so, dass in dieser neuen Auseinandersetzung um Identitäten in einer wertgebundenen Ordnung - wie das Grundgesetz sich ja versteht - auch die etablierte Politik gewissen Verführungskräften unterliegt und für sich etwas monopolisiert, was sie nicht monopolisieren kann, wenn ich an die Diskussion ums Kreuz denke.
    Florin: Ist dieser Beschluss des Bayerischen Kabinetts ab dem 1. Juni Kreuze in Behörden aufzuhängen, ist das Identitätspolitik?
    Freund-Feind-Denken? Die Frage ist berechtigt
    Oberreuter: Das ist natürlich als solche gemeint. Und es ist ja auch in der ersten Interpretation des Ministerpräsidenten als genau ein Zeichen der kulturellen Identität hingestellt worden. Erst bei den empörten theologischen Reaktionen ist dann auch die christliche Symbolik interpretativ nachgeschoben worden. Ich glaube, die Diskussion hat deswegen an Schärfe vielleicht gewonnen und an Ernsthaftigkeit und Intellektualität verloren, weil es eben diese politische, diese wahlkampfpolitische Inanspruchnahme des Kreuzes gegeben hat, von der man ja im Augenblick ein bisschen wieder abrückt und Distanz gewinnt.
    Florin: Dient das Christliche derzeit der Polarisierung - oder zugespitzter gesagt -, dem Freund-Feind-Denken?
    Oberreuter: Es ist ein bisschen zugespitzt wie Sie fragen, aber ich glaube, die Frage ist berechtigt. Denn wenn ich in einer dramaturgisch durchgestalteten Weise das Kreuz in einer Amtsstube oder im Eingangsbereich aufhänge, wenn ich Medienvertreter dazu bitte, damit fotografiert und gefilmt wird, dann will ich damit etwas symbolisieren und ich will damit etwas für mich in Anspruch nehmen. Und damit verstärke ich eine Konkurrenz der Weltanschauungen mit einem gewissen Wahrheitsanspruch oder Durchsetzungsanspruch, und ich begebe mich damit, eigentlich ungewollt, denke ich, in Bereiche, die ich eigentlich bekämpfen möchte. Denn was zum Beispiel den Islam vom hergebrachten Christentum oder vom aktuellen Christentum unterscheidet, das ist ein mangelndes Bekenntnis zur Pluralität und zur Religionsfreiheit, die Inanspruchnahme der Wahrheit für sich selbst - und damit eine Unterprivilegierung konkurrierender Weltanschauungen und Religionsorientierungen. Genau das macht das Christentum eigentlich nicht - oder zumindest nicht mehr. Das hat es historisch gelernt. Und die Religionsfreiheit, die wir haben, ist auch eine Ausdrucksfreiheit für alle Beteiligten. Und die sollte man weder durch einen überzogenen Wahrheitsanspruch - ist gleich Islam -, noch durch einen überzogenen Abwehranspruch - ist gleich Bayerische Staatsregierung - relativieren.
    Florin: Wenn wir in die Geschichte der Bundesrepublik zurückgehen: Konrad Adenauer war bekannterweise rheinischer Katholik - und war zum Beispiel durch die katholische Soziallehre inspiriert. Oder nehmen wir Willy Brandt, die neue Ostpolitik - da wurde das entscheidende Referat in der Evangelischen Akademie in Tutzing gehalten. Das Katholische, das Evangelische, das Christliche hat an entscheidenden Punkten in der Geschichte der Bundesrepublik inspirierend gewirkt. Was ist jetzt anders?
    Oberreuter: Gegen das erstere spricht ja nichts. Gerade wenn ich an andere historische Zusammenhänge erinnern darf, an das Zweite Vaticanum zum Beispiel, in dem ja deutlich formuliert worden ist, dass es keine Politik aus dem Evangelium gibt, dass aber Gläubige in der Politik antreten sollen und aus ihrer Glaubensüberzeugung heraus Politik gestalten, dann heißt das ja durchaus - und das gehört zur Religionsfreiheit dazu -, dass nicht nur Säkulare das politische Leben beeinflussen dürfen, sondern dass selbstverständlich eben auch aus religiöser Überzeugung oder aus Glaubensintentionen und Wertoptionen, die damit verbunden sind, politisch gestaltet werden kann. Und das würde ich für die Vergangenheit, aber auch für die Gegenwart in Anspruch nehmen.
    Die Differenz, glaube ich, liegt darin, wo man versucht, aus dem Zeichen des Kreuzes konkrete Abgrenzungsmaßnahmen und über das im Pluralismus Erträgliche hinaus Gestaltungs-, Durchsetzungskraft zu gewinnen, was aber mit Sicherheit im Augenblick so nicht festzustellen ist. Im Gegenteil, wir bewegen uns eigentlich mehr im Bereich der Symbole, wenn wir uns auf die aktuelle Diskussion konzentrieren.
    Wertprinzipien des Grundgesetzes entscheidend
    Florin: Es gab, Sie haben es schon angesprochen, aus den Kirchen, auch aus der Theologie, heftige Kritik an dieser bayerischen Entscheidung. Da kann man andersherum fragen: Sind die Kirchen eigentlich schon so belanglos, dass ihre Meinung einem Markus Söder egal sein kann?
    Oberreuter: Ich glaube das nicht, denn ich nehme mal an, dass die Initiative von Markus Söder nicht nur in den Amtskirchen auf gewissen Vorbehalte stößt, auch wenn da gegenwärtig auch ein Nachdenkungs-Prozess im Gang zu sein scheint, und man auch da mehr differenziert. Ich glaube, dass eine politische Aktion, die erkennbar wahlkampforientiert ist und doch sehr stark Menschen anspricht, die in ihrem Privatleben es mit dem C offensichtlich überhaupt nicht so wahnsinnig ernst nehmen, dass das durchaus auch in diesem christlichen Milieu abstoßend wirken kann. Und insofern mag da eine Fehlkalkulation vorliegen. Es ist ja auch ganz interessant, dass aus der Partei heraus auch den prominenten Kirchenvertretern Selbstverleugnung und Relativierung ihrer Position vorgeworfen worden ist, weil sie diesen Vorgang kritisch gesehen haben. Das ist eigentlich das Geschmackloseste gewesen, was in dieser ernsthaften Diskussion hat passieren können.
    Also ich würde sagen: Nichts spricht dagegen, aus religiöser Überzeugung, aus jedweder weltanschaulicher Überzeugung, sich in den politischen Diskurs einzubringen. Der entscheidende Punkt, für alle übrigens, ist - und da fangen dann die Differenzierungen an - , der entscheidende Punkt ist, dass man sich an die wertgebundene Ordnung, an die Wertprinzipien des Grundgesetzes bindet. Dass man die Menschenwürde und die daraus folgende Pluralität der gesellschaftlichen Kräfte und der politischen Entscheidungen akzeptiert und keine weltanschaulichen Monopolansprüche erhebt. Wer das nicht begreift, begreift den modernen Staat nicht.
    Florin: Wie passt es zusammen, dass - wie gerade auch im Beitrag zu hören war - die Gottesdienste zum Beispiel nicht gerade Publikumsrenner sind, aber zugleich eine Mehrheit der Deutschen "christlich geprägt" sein will? Prägung ohne Praxis, geht das?
    Oberreuter: Das, glaube ich, kann man, speziell dann, wenn man es selbst für sich persönlich nicht so ernst nimmt, durchaus realisieren. Wissen Sie, wir haben ja eigentlich seit Langem Diskussionen in dieser Gesellschaft, was wir nicht wollen. Und wir haben große Schwierigkeiten, in dieser Pluralität zu definieren, was wir eigentlich wollen - und wer wir sein wollen. Und diese Diskussion, die uns da jetzt aufgenötigt worden ist, eben auch durch die Sichtbarkeit anderer kultureller Identitäten in Mengen, die wir vor der "Flüchtlingswelle" nicht gewohnt waren, auch durch die Ansprüche, die da gelegentlich kenntlich werden, auch durch die Herausforderungen des Rechtsstaates, dass in dieser Situation sich die Leute fragen: Wo ist eigentlich unsere Basis - und was wollen wir verteidigen?
    Da erinnert man sich dann vielleicht an so liberale Geister wie Theodor Heuss, der während der Beratungen des Parlamentarischen Rats zum Grundgesetz darauf aufmerksam gemacht hat, dass das, was wir da jetzt niederlegen, sich auf drei Hügel in der europäischen Geschichte berufen kann: Nämlich auf den Areopag, auf das Kapitol und auf Golgatha. Da sieht man eigentlich schon, dass das Christliche eingebettet ist in einen weiteren Zusammenhang, und das also hier durchaus auch Wertstrukturen, Wertwurzeln von einer großen kulturgeschichtlichen Bedeutung zusammenfallen, die aber letztendlich dann das Christentum sozusagen in die Neuzeit hinübergerettet hat, begleitet von der Aufklärung.
    "Mit der AfD diskutieren, auch auf dem Katholikentag"
    Florin: Ist es richtig, die AfD auf den Katholikentag einzuladen?
    Oberreuter: Grundsätzlich ja, weil es auch in der AfD, trotz aller Schwierigkeiten, Menschen gibt, die christlich geprägt sind. Aber man muss sich auch mit denen auseinandersetzen, und man muss Antworten auf die finden, die das alles infrage stellen.
    Florin: Herzlichen Dank! Das war der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter über das Kreuz, das er als Abgrenzungszeichen sieht - zumindest, wenn es auf Befehl in Bayern aufgehängt wird.