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Krieg im Jemen
Wollen die Kriegsparteien wirklich Frieden?

Im Jemen gilt seit vergangener Woche eine einseitig verkündete, durch das Coronavirus bedingte Feuerpause. Der zuständige UN-Vermittler sieht Fortschritte hin zu einem dauerhaften Waffenstillstand. Doch es gibt begründete Zweifel, ob die Kriegsparteien wirklich an einem Frieden interessiert sind.

Von Björn Blaschke |
Rückansicht zweier Huthi-Kämpfer, einer trägt eine Panzerfaust auf der Schulter
"Die Huthis glauben, dass sie jetzt eine seltene Gelegenheit haben, Gebietsgewinne zu erzielen", sagt der jemenitische Politikwissenschaftler Maged al-Mahaji (picture alliance / AP Photo / Hani Mohammed)
Eine längere Feuerpause im Jemen? – Ein Fußgänger in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa meinte im Fernsehen, dass sie nicht lange halten werde…
"Ich habe das gelesen und bin pessimistisch: Weil die Feuerpause nur zwei Wochen gelten soll. Danach wird der Krieg dann wohl heftiger als zuvor weitergehen."
Tatsächlich hat eine Kriegspartei der Feuerpause nicht zugestimmt. Die Huthis. Einer ihrer Sprecher, Mohammed al-Bukhaiti, sprach mit einer Nachrichtenagentur:
"Unsere Position ist klar. Wir fordern ein endgültiges Ende des Krieges und ein Ende der Blockade. Die saudische Erklärung bedeutet keine Feuerpause. Sie ist nur die Fortsetzung des Krieges, weil Saudi-Arabien seine Land-, See und Luftstreitkräfte nutzt, um den Jemen weiterhin zu belagern."
UN-Vermittler sieht große Fortschritte
Seit 2014 gehen die Huthis gegen die international anerkannte Regierung von Jemens Präsident Abd Rabbo Mansour Hadi vor. Die Huthis halten ihn für unfähig und demokratisch nicht legitimiert. Denn Hadi kam in einem zweifelhaften Wahlverfahren an die Macht. Vor fünf Jahren sprang dann eine Militärallianz – geführt von Saudi-Arabien – Hadi bei; seither liegen die Huthis und diese Koalition im Krieg. Mehrere Versuche zu Friedensverhandlungen scheiterten.
Nun unterrichtete der UN-Vermittler für den Jemen, Martin Griffiths, den UN-Sicherheitsrat in New York darüber, dass neuere Verhandlungen für einen anhaltenden landesweiten Waffenstillstand und humanitäre Hilfsprojekte große Fortschritte machten. So werde der Waffenstillstand grundsätzlich von beiden Seiten – dem Bündnis sowie den Huthi-Rebellen – unterstützt.
Zweifel an der Chance auf Frieden
Maged al-Mahaji ist dennoch pessimistisch. Mahaji ist Leiter der jemenitischen Denkfabrik Sanaa Zentrum für strategische Studien. Er meint, dass die Huthis derzeit kein Interesse am Ende eines Kriegs hätten.
"Die Huthis glauben, dass sie jetzt eine seltene Gelegenheit haben, Gebietsgewinne zu erzielen – während die ganze Welt sich mit der Ausbreitung des Coronavirus beschäftigt und dem Jemen weniger Aufmerksamkeit schenkt. Daher glauben sie, dass sie in einer militärisch stärkeren Position sind – und sie führen weiter Angriffe, durch die sie an Boden gewinnen. Sie führen gerade eine Großoffensive gegen die größte Provinz unter der Kontrolle der Hadi-Regierung, und zwar in Maareb. Sie werden sich nicht an den Verhandlungstisch setzen, bevor sie einen Erfolg in Maareb erzielt haben."
Ein Mann mit Mundschutz gibt einem anderen Mann Händedesinfektionsmittel aus einem Spender
Das Bürgerkriegsland Jemen hat jetzt auch noch mit COVID-19 zu kämpfen (picture alliance / Anadolu / Mohammed Hamoud)
Aber auch Saudi-Arabien wolle zur Zeit keinen Frieden – sondern nur eine Verschnaufpause:
"Die Saudis stehen, wie der Rest der Welt, wegen der Coronakrise unter Druck, denn diese Krise hat zur Erschöpfung vieler Staaten geführt. Ich glaube auch nicht, dass die Saudis den Krieg jetzt beenden wollen. Sie wollen nur die zunehmende Stärke der Huthis unter Kontrolle bringen und deren militärischen Druck auf die strategisch wichtige Provinz Maareb reduzieren. Aber: Jede Form eines Kriegsendes wird nach heutiger Lage gegen die Grundinteressen von Saudi-Arabien sein und eine Bedrohung für das Königreich darstellen."
Denn: Die Huthis haben einen mächtigen Partner: den Iran, Erz-Rivale Saudi-Arabiens im Nahen Osten. Der Krieg gegen die Huthis kostet Riad viel Geld – und das in Zeiten, in denen der Ölpreis niedrig ist, aber die wirtschaftlichen Folgekosten der Corona-Pandemie hoch sind. Einen wie auch immer gearteten Sieg der Huthis könne sich Saudi-Arabien jedoch nicht leisten – sagt Maged al-Mahaji:
"Mit Sicherheit belasten die finanziellen Kosten dieses Krieges Saudi-Arabien, allerdings können die Saudis diese Ausgaben verkraften. Denn die Bedrohung der nationalen Sicherheit Saudi-Arabiens im Fall eines Sieges der Huthis als Verbündete des Iran ist viel größer als die finanzielle und wirtschaftliche Belastung. Daher sind die Saudis bereit, jedes Risiko einzugehen."
Welternährungsprogramm muss Hilfen drastisch kürzen
Der Krieg könnte also trotz positiver Signale in der UN weitergehen – zu Lasten der Menschen im Jemen. Trotz der dramatischen humanitären Lage dort muss das Welternährungsprogramm, kurz WFP, seine Hilfe für das Bürgerkriegsland drastisch kürzen. Wegen mangelnder internationaler Finanzierung habe man keine andere Wahl, als die Hilfe um die Hälfte zu verringern, teilte jetzt eine WFP-Sprecherin mit. Notleidende Familien erhielten von Mitte April an nur noch alle zwei Monate Unterstützung statt jeden Monat. Das Geld bleibe aus, weil die Hilfe missbraucht werde – sagen Kritiker, auch Maged al-Mahaji:
"Die internationalen Hilfsorganisationen werfen den Huthis vor, die Hilfen für eigene Zwecke zu nutzen. Und das ist leider auch die Wahrheit. Daher kommt diese Hilfe nicht den Menschen im Jemen zugute; sie wird von den Huthis zur Unterstützung ihrer Angehörigen benutzt. Deshalb muss man jetzt eine andere Form der Versorgung finden, die nicht von den Huthis kontrolliert wird. Aber man darf diese Lebensmittelversorgung nicht verringern, denn die Folgen wären für die Menschen im Jemen verheerend."
Freiwillige bei der Helferausbildung in Sanaa
Freiwillige bei der Helferausbildung in Sanaa (picture alliance / Anadolu / Mohammed Hamoud)
Der Konflikt hat im Jemen einen humanitären Notstand ausgelöst. 24 Millionen Menschen – rund 80 Prozent der Bevölkerung – sind nach Angaben der Vereinten Nationen auf Hilfe angewiesen. Viele Menschen müssen schon heute hungern. Die UN sprechen von der größten humanitären Krise der Neuzeit. Und jetzt wurden auch noch die ersten Corona-Infektionen gemeldet.
"Ausbreitung des Coronavirus wird katastrophal sein"
Politikwissenschaftler Maged al-Mahaji fürchtet, dass eine Verbreitung des Coronavirus die Lage noch einmal verschlimmert. "Das Coronavirus ist zerstörerisch für den Jemen, denn der Jemen leidet unter einer sehr schlechten Versorgung. Das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen und im Land haben sich viele Epidemien verbreitet: Cholera, Dengue-Fieber und andere Krankheiten. Dazu kommen die Hungersnot, Unterernährung und die anderen humanitären Folgen des Krieges für die Bevölkerung. Daher wird eine Ausbreitung des Coronavirus katastrophal sein."