Kommentar zum Nahostkrieg
Auch die deutsche Debatte zerreibt den Frieden

Acht Monate nach dem Angriff der Hamas auf Israel ist kein Ende des Krieges in Sicht. Auch die Außenstehenden sind in unversöhnlich scheinende Lager gespalten. Ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit, beide Seiten zu sehen.

Ein Kommentar von Benjamin Hammer | 01.06.2024
    Ein Pro-Israel-Demonstrant hält einer Free-Palestine-Demonstration die israelische Flagge entgegen
    Für Israel oder für Palästina - in der Debatte fehlen die Grautöne, findet Benjamin Hammer (picture alliance / Wolfgang Maria Weber / Wolfgang Maria Weber)
    Der israelische Historiker Yuval Noah Harari wandte sich im Oktober 2023 in einem Artikel für das Time-Magazine an die Welt. Wenige Tage zuvor hatte die Hamas Israel brutal angegriffen. Israels Armee wiederum reagierte bereits mit heftigen Gegenschlägen auf Gaza.
    Harari schrieb damals: Israelis und Palästinenser seien wegen ihres eigenen Schmerzes unfähig, Empathie für die andere Seite zu empfinden. Deshalb sei es die Aufgabe von Außenstehenden, Mitgefühl mit allen leidenden Menschen zu empfinden. Und nicht aus Faulheit nur eine Seite der schrecklichen Realität zu sehen.

    Polarisierung hat zugenommen

    Außenstehende: Damit sind Menschen im Ausland gemeint, die nicht direkt betroffen sind. Doch fast acht Monate nach dem 7. Oktober haben sich die Hoffnungen des Historikers nicht erfüllt. Im Gegenteil. Die Polarisierung, die es in diesem Konflikt schon immer gab, hat weltweit sogar noch zugenommen.
    „All Eyes on Rafah“ – alle Augen auf Rafah. Ein KI-generiertes Bild mit diesem Spruch wurde jüngst auf Instagram millionenfach geteilt. Es geht um die israelische Militäroffensive im Süden von Gaza, wo sich bis vor Kurzem mehr als eine Million Geflüchtete aufhielten. Alle Augen auf einen Ort. Da ist für einen differenzierten, breiten Blick eigentlich kein Platz mehr.
    Pro-israelische Aktivisten wiederum veränderten das Bild und strichen den Ortsnamen Rafah durch. Alle Augen müssten auf Israel und die Geiseln gerichtet sein, stand auf der neuen Version. Und auf einmal war für den Blick auf das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung kein Platz mehr.

    Man muss sich nicht für eine Seite entscheiden

    Dieser Konflikt ist kein Fußballspiel, bei dem man sich für ein Team entscheiden muss. Daran wurde in den vergangenen Monaten immer wieder erinnert. Auch diese Mahnung ist auf viele taube Ohren gestoßen. Eine junge Deutsche – etwa 18 Jahre alt – berichtete am Rande einer Podiumsdiskussion, sie rede kaum noch mit ihren Eltern, weil man sich beim Thema Nahost so sehr streite. Sie sei pro-palästinensisch, ihre Eltern pro-israelisch.
    Durch Teile Deutschlands geht längst ein Riss wegen der Lage in Nahost. Mit einem differenzierten, breiten Blick von Außenstehenden, wie ihn der Historiker Harari einfordert, hat das nichts mehr zu tun.
    Die extreme Polarisierung in Deutschland wird dabei von manchen Medien, Politikern und Aktivisten auch noch befeuert.
    Da ist zum Beispiel die "Bild"-Zeitung. Sie ist dermaßen einseitig pro-israelisch, dass alle pro-palästinensischen Demonstranten pauschal zu „Israel-Hassern“ gemacht werden und  die palästinensische Stadt Bethlehem im besetzten Westjordanland in einem Artikel in Israel verortet wurde. Einige deutsche Politiker wiederum führten zuletzt unermüdlich aus, warum eine Anerkennung eines Staates Palästina ein Fehler sei. Über die israelische Besatzung, die einem solchen Staat im Weg steht, sprachen sie kaum bis gar nicht.

    Mitgefühl und Empathie für beide Seiten

    Und die Polarisierung wird auch von anderer Seite gefördert – auch hier in Deutschland. Etwa durch pro-palästinensische Demonstranten, die den Terror der Hamas ausblenden oder teilweise sogar abstreiten. Teile des pro-palästinensischen Lagers haben es sich außerdem gemütlich gemacht mit der Behauptung, die deutschen Medien und die Politik seien pro-israelisch. Sie fordern einen differenzierteren Blick auf den Konflikt. Guter Punkt! Schade nur, dass einige von ihnen dabei selbst kaum merken, wie undifferenziert sie urteilen.
    Der Historiker Harari formulierte in seinem Artikel vom Oktober eine Bitte: Die Welt solle dabei helfen, Räume für den Frieden zu erhalten. Räume, die es im Nahen Osten aktuell nicht gebe.
    Doch der Frieden als kostbares Gut wird in diesen Tagen auch in Deutschland zerrieben. Auf den Straßen, im Netz und sogar an Esstischen beim Abendessen von Familien. Dabei hat der Historiker Harari eigentlich gar nicht so viel gefordert: Mitgefühl und Empathie beiden Seiten gegenüber.
    All Eyes on Rafah? All Eyes on Israel?
    All Eyes on Israel and Palestine!
    Das wäre doch mal was Neues, oder?