"Der Feind meines Feindes ist mein Freund..." - ein alt bekanntes Sprichwort. Besonders gerne wurde es in den zurückliegenden Jahrzehnten bemüht, wenn es um Bündnisse im Nahen Osten und in Nord-Afrika ging: Wer zum Beispiel Israel als Feind betrachtete, konnte sich sicher sein, dass er - sagen wir in Syrien - wohl gelitten war....
Die Zeiten haben sich geändert; heute ist alles viel komplizierter; die Allianzen sind schwer durchschaubar. Und manchmal noch schwerer zu erklären. Allianzen, aber genauso auch Rivalitäten.
Zuletzt wurde das - halbwegs - offensichtlich bei der UN-Vollversammlung; der Bühne der Welt. Das blutige Syrien-Drama, der Stoff aller Albträume, ließ die politischen Großakteure zur Hochform auflaufen: Die Präsidenten der USA und Russlands, Barack Obama und Wladimir Putin, legten in New York Auftritte hin, die das Publikum wohl erschauern lassen sollten - ob ihres Wortgefechtes. Zwar nicht miteinander, aber wenigstens nacheinander schenkten sie einander offenbar nichts... Ja, Obama und Putin erweckten den Eindruck, dass sie sich uneins sind über die Rolle, die Bashar al-Assad in Syrien spielt – und spielen wird... Und darüber, ob er in den Krieg gegen die Terror-Organisation, die sich Islamischer Staat - kurz IS – nennt, noch eingebunden werden sollte. Obama unterstrich, dass der Herrscher von Damaskus Schuld ist an so viel Blutvergießen in seinem Land; und an dem Chaos:
"Ja, der Realismus diktiert, dass Kompromisse verlangt sein werden, um dem Kämpfen ein Ende zu setzen und den IS endgültig zu zerschlagen. Aber Realismus verlangt auch eine geordnete Übergangsphase weg von Assad und hin zu einem neuen Führer."
Putin hingegen erklärte zum wiederholten Mal, dass die Syrer selbst entscheiden sollten, wen sie als Präsident wollen. Und:
"Wir denken, dass es ein enormer Fehler ist, eine Zusammenarbeit mit der syrischen Regierung und ihren Streitkräften abzulehnen, die den Terrorismus wirklich von Auge zu Auge bekämpfen. Wir sollten außerdem endlich anerkennen, dass niemand außer Assads bewaffneten Kräften und den kurdischen Milizen ernsthaft gegen den Islamischen Staat und andere Terrororganisationen in Syrien kämpft."
Gemeinsame Basis zum Austausch von Informationen
Doch derlei Widerspruch auf der Weltbühne der UN ist mehr Schein als Sein: Die Kontrahenten koordinieren längst ihre Einsätze im Kampf gegen die Terrororganisation, die sich IS nennt, Islamischer Staat: Vor seiner Rede bei der UN-Vollversammlung hat Putin die Gründung eines Informationszentrums verkündet; Russland, Syrien, der Irak und der Iran haben eine gemeinsame Basis zum Austausch von Informationen in der irakischen Hauptstadt Bagdad geschaffen. Doch da die Kampfjets der USA und ihrer Verbündeten in der Anti-IS-Koalition ihre Einsätze mit der irakischen Regierung absprechen, sie zumindest darüber informieren, besteht so eine Koordination bereits seit Monaten. Schon seit Beginn der internationalen Luftangriffe auf IS-Stellungen in Syrien im Herbst des vergangenen Jahres haben die Amerikaner Bagdad als Informationskanal genutzt – und zwar hin zur Führung in Damaskus. Mit anderen Worten: Direkte Gespräche mit Assad? – Nein! Indirekte Kontakte? – Klar!
Nach außen also demonstrative Meinungsverschiedenheit, obwohl es doch schon Koordination längst unter- und miteinander gibt.
Gilt also: Der Freund meines Feindes, ist längst keiner mehr...?!
Woanders hingegen: Zur Schau gestellte Kooperation, obwohl die mehr auf dem Papier besteht als in echter Zusammenarbeit: So starten vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik in Südanatolien türkische und US-amerikanische Kampflugzeuge zu Einsätzen über Syrien und dem Irak. Die Regierungen in Ankara und Washington sind ganz offiziell "Alliierte" innerhalb der NATO. "Partner": Im Kampf gegen die Terroristen des IS. Ankara und Washington sind auf den ersten Blick "politische Freunde"!
Doch ihre Jets, die gleichzeitig in Incirlik starten, greifen täglich Feinde an, die eigentlich Freunde des jeweiligen Freundes sind: Die türkische Luftwaffe nimmt im autonomen Gebiet der irakischen Kurden Stellungen der sogenannten "Arbeiterpartei Kurdistans", kurz PKK, ins Visier. Das Argument der Politiker in Ankara: Die PKK ist eine Terrororganisation, die den türkischen Staat Jahrzehnte lang herausgefordert, in einen Bürgerkrieg verwickelt hat. Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu:
"Es gibt keinen Unterschied zwischen der PKK und dem IS. Sie können nicht sagen, dass die PKK besser ist, weil sie den IS bekämpft. Sie sind gleich. Terroristen sind übel. Sie müssen alle ausgemerzt werden."
Prinzipiell teilen die Sicherheits-Behörden in den USA und in Europa die Haltung der Türkei; auch in deren "Schwarzen Listen" ist die PKK als Terrororganisation aufgeführt. Was aus ihrer Sicht auch heute nach wie vor berechtigt ist, da ihre Kämpfer wieder gegen türkische Einrichtungen vorgehen. Und doch hat Washington die PKK als einzig erfolgreiche Boden-Truppe entdeckt, wenn es um den Kampf gegen den IS geht: Allein die PKK und ihre Ableger schaffen es - neben den irakisch-kurdischen Peschmerga - den IS-Terroristen im Irak wie in Syrien die Stirn zu bieten. Die US-Luftwaffe unterstützte sie deshalb - fast freundschaftlich - als es um Gefechte im Sinjar-Gebirge im Nordirak ging ebenso wie bei der monatelangen Schlacht um die nordsyrische Stadt Kobane.
Die türkischen Sicherheitsorgane wiederum haben lange Zeit beide Augen zugedrückt, wenn über ihr Territorium IS-Kämpfer in den "Heiligen Krieg" nach Syrien zogen. Geld und Waffen waren ohnehin durch die Türkei an den IS transferiert worden. Bisweilen, so unwiderlegte Gerüchte, soll der türkische Militärgeheimdienst sogar selbst Waffen an den IS geliefert haben. Erst nachdem vor zweieinhalb Monaten IS-Terroristen einen Bombenanschlag auf ein Kulturzentrum im türkischen Ort Suruc verübt und mehr als 30 Menschen umgebracht hatten, war die türkische Luftwaffe der Anti-IS-Koalition beigetreten.
Washington und die PKK gegen den IS
Doch immer noch soll sie deutlich mehr Angriffe auf PKK-Kämpfer geflogen haben als auf den IS. Hebt schon Ende Juli etwa Cem Özdemir im deutschen Fernsehen hervor - der Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen:
"Mein Eindruck ist, dass es nicht wirklich um einen Kampf gegen ISIS geht. Das sieht man an der Zahl der Angriffe, die die Türkei fliegt gegen ISIS und gegen die PKK-Stellungen. Man sieht's aber auch an der Zahl der Verhaftungen. Offensichtlich geht's gar nicht um ISIS. Das scheint ein Vorwand zu sein. In Wirklichkeit geht es um die PKK."
Zusammengefasst heißt das alles: Washington und die PKK gegen den IS; IS und Ankara gegen die PKK, aber PKK und IS gegeneinander - und Ankara und Washington miteinander.
Dass wir in einer Zeit seltsamer Allianzen leben, wird auch in dem Dreiecks-Verhältnis Saudi-Arabien, Russland und Syrien deutlich: Riyad und Moskau sollen sich unlängst auf ein Milliarden-schweres Waffen-Geschäft geeinigt haben. Käme dieser Handel tatsächlich zustande, hieße dies: Saudi-Arabien gibt Geld für russische Waffen aus. Geld, das Russland gleich weiterleiten könnte für die Unterstützung des syrischen Regimes. Gleichzeitig aber fördert die saudische Monarchie den Kampf gegen Bashar al-Assad und dessen Getreue - mit Geld und mit Waffen. Womöglich demnächst auch mit Waffen, die Russland liefert? Ironisch formuliert: Immerhin stellen die Führungen in Moskau und Riyad in dieser Verwirrung eines klar: Dass sie bei ihrer jeweiligen Position bleiben - Russland für Assad; Saudi Arabien gegen ihn. So sagte der saudische Außenminister bei einem Besuch in Moskau:
"Die Haltung des saudischen Königreiches zu Syrien ist unverändert. Unsere Position zielt auf eine friedliche Lösung für die Syrien-Krise, bei der Assad keine Rolle mehr spielt. Jede Spekulation über eine geänderte saudische Haltung entbehrt jeder Grundlage und ist falsch!"
Der Freund meines Freundes ist mein Feind?! - So sieht es auch im Jemen aus: Im vergangenen Jahr begannen schiitische Huthis aus dem Norden des Landes zusammen mit Anhängern des 2012 entmachteten Langzeit-Diktators Ali Abdallah Salih ihren Eroberungszug in dem verarmten Land. Die Führung um den gewählten Präsidenten Abd Rabo Mansour Hadi floh zunächst aus der Hauptstadt Sana'a in die südjemenitische Hafenstadt Aden und von dort weiter nach Saudi-Arabien. Das Herrscherhaus in Riyad bildete daraufhin eine "arabische Koalition" zur Unterstützung Hadis. Im Juli gelang es dieser Koalition, Aden von den schiitischen Huthis, denen immer vorgeworfen wird, dass sie vom Iran unterstützt werden, laut saudischer Sprachregelung zu "befreien". Aber: Nach dem langen Kampf um Aden ist der sprichwörtliche Teufel offenbar mit dem Beelzebub ausgetrieben worden. Wobei die Herrscher der Vereinigten Arabischen Emirate, die Hauptpartner der Saudis in der "arabischen Koalition", ihre stärkste Waffe eingesetzt haben sollen: Geld.
Wie unter anderem die renommierte US-Denkfabrik "Washington Institute" beschreibt, haben Emissäre aus den Emiraten den mächtigen Stämmen im Süd-Jemen gleich kofferweise Dollars überbracht, um sie zum Kampf gegen die Huthis zu bewegen. Nebenbei, so kundige Beobachter, soll auch einiges davon an al-Qaida-Terroristen geflossen sein. In dem Artikel des Washington Instituts heißt es:
"Die Leute aus Aden kämpfen nicht!" – das war die vernichtende Erklärung eines ehemaligen hochrangigen jemenitischen Offiziellen auf die Frage, warum al-Qaida gebraucht worden sei, um das Kräfteverhältnis so zu verändern, dass die Huthis sich zurückzogen."
Al-Qaida?! Verbündete der Saudis und der Emiratis, die ihrerseits Verbündete der USA sind? Die wiederum Jahre lang al-Qaida im Jemen mit Drohnen angegriffen hatten? Weil al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel als ganz besonders brutal gilt...?! Und direkt beteiligt war an Angriffen auf westliche Einrichtungen: Zum Beispiel auf das amerikanische Kriegsschiff "USS-Cole" im Jahr 2000 in Aden. Auch für den Angriff auf die französische Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" hatte bekanntlich der jemenitische Zweig von al-Qaida die Verantwortung übernommen:
Die Bündnisse, die in jüngster Zeit im Nahen Osten und in Nord-Afrika geschlossen worden sind, wirken mal paradox, mal verstörend. Wenn auch jedem dieser Bündnisse eine gewisse immanente Logik zugrunde liegt: Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate wollen die Huthis im Jemen zurückdrängen, weil sie den Iran hinter den Aufständischen vermuten... Und den Iran gilt es - aus ihrer Sicht - unbedingt in seine Grenzen zu verweisen; weil der Iran insbesondere den Saudis als das Böse schlechthin gilt. Der Führung in Teheran wollen die Saudis unbedingt Paroli bieten; wann und wo auch immer sich eine Gelegenheit bietet, und um jeden Preis. Selbst dann, wenn dieser Preis ein Pakt mit den al-Qaida-Terroristen ist?!
Allerdings deuten diese Bündnisse auch an, dass die politischen Führer, die die Geschicke der Region derzeit bestimmen, häufig völlig konzeptlos sind: Ihnen fehlen kurzfristige Ziele, mittelfristige Pläne und langfristige Strategien. Daher gehen sie Allianzen des Augenblicks ein. Auch mit al-Qaida - und nicht nur im Jemen-Konflikt:
Im Oktober 2012 war der US-Journalist Peter Theo Curtis in Syrien entführt worden. Die Nusra-Front hatte ihn in ihre Gewalt gebracht; jene Organisation, die von al-Qaida-Chef Ayman al-Zawaheri offiziell als Syrien-Zweig des Terrornetzwerkes anerkannt worden ist. Erst nach fast zwei Jahren kam Curtis wieder frei. Bemerkenswert an dem glücklichen Ausgang dieser Geiselnahme: die Rolle des Emirats Katar. Der Nachrichtensender al Jazeera verbreitete damals eine Erklärung des Außenministeriums:
"Katar hat sich unnachgiebig um die Freilassung des Journalisten bemüht, aus Glauben an die Prinzipien der Menschlichkeit und an das Recht jedes einzelnen Menschen auf Freiheit und Würde."
Das Herrscherhaus von Katar beteuert stets, keine direkten Kontakte zu Terrororganisationen zu unterhalten. Und im Falle der Befreiung von Curtis hieß es aus Doha, Mittelsmänner hätten mit der Nusra-Front verhandelt. Aber festzuhalten bleibt: Es war ein Staat, der mit einem al-Qaida-Ableger handelseinig geworden ist...
Doch auch die Nusra-Front gibt sich mittlerweile "menschlicher". Ein drei Viertel Jahr nach der Freilassung des gekidnappten US-Journalisten Curtis gab Abu Mohammed al-Golani eine Aufsehen erregende Erklärung ab. In einem Interview, das der Nachrichtensender al-Jazeera am 27. Mai in Katar ausstrahlte. Nusra-Chef al-Golani erzählte von Anweisungen, die sein Zweig vom Chef des Terrornetzwerkes al-Qaida erhalten habe:
"Die Nusra-Front hat Anweisungen von Dr. Ayman (al-Zawaheri). Eine lautet, syrisches Territorium nicht als Ausgangspunkt für Angriffe gegen den Westen zu nutzen!"
Die Hauptaufgabe der Nusra-Front sei vielmehr der Kampf gegen Assad und den selbst ernannten Islamischen Staat, "IS". Jedenfalls bis auf Weiteres. Was die anderen al-Qaida-Zweige unternehmen, stehe dabei auf einem anderen Blatt. Sollten allerdings die US-Amerikaner die Nusra in Syrien angreifen, so al-Golani, behalte sich die Organisation vor, sich zu wehren.
Das alles zusammengenommen könnte mit dazu beigetragen haben, dass seit dem Vormarsch der Terroristen des IS in vielen Medien häufiger zu hören gewesen ist, die Kämpfer der Nusra-Front seien angeblich die eher "moderaten Islamisten".
Oder läuft es inzwischen gar, wenn es um al-Qaida geht, auf eine schleichende Anerkennung zum stillschweigenden Partner hinaus? - Immerhin ist in der Nusra-Front ein ernst zu nehmender islamistischer Gegner des IS zu sehen. Kurz: Soll also al-Qaida als Kampforganisation genutzt werden, um den IS zu zerschlagen...?
Möglich ist eine ganze Menge in dieser von politischer und militärischer Planlosigkeit geplagten großen Region; nicht zu vergessen: In den vergangenen Jahrzehnten sind einige zunächst als Terrorgruppen gebrandmarkte Organisationen zu respektierten, international geachteten Verhandlungspartnern mutiert - mit Aussicht auf einen Friedensnobelpreis. Im Fall von al-Qaida ist dies allerdings nur schwer vorstellbar; jedenfalls wird in den kommenden Jahrzehnten kein US-Präsident mit al-Qaida direkte Gespräche führen können. Mindestens solange es Menschen gibt, denen die Bilder, der am 11. September 2001 einstürzenden Twin-Towers noch gegenwärtig sind. Aber indirekt ist es durchaus möglich, "unter der Hand", über Mittelsmänner, mithilfe befreundeter Staaten.
Aktuelles Beispiel: Indirekt haben die Nusra-Front und Washington vor ein paar Wochen bereits kooperiert - als im Zusammenwirken zwischen der Türkei und den USA überlegt worden war, eine Sicherheitszone in Nord-Syrien einzurichten. Da die Nusra-Front seit Dezember 2012 auf der US-Liste der Terrororganisationen steht, ist es kaum vorstellbar, dass US-Kampfjets ein Gebiet schützen, in dem der syrische al-Qaida-Ableger aktiv ist. Keine US-Regierung kann sich die Schlagzeile leisten: "Washington bietet al-Qaida-Terroristen einen sicheren Hafen".
Flexibilität war angesagt: Und so zogen sich am 9. August die Kämpfer der Nusra-Front aus jenem Gebiet zurück, das für eine Sicherheitszone vorgesehen war. Und zwar, wie es heißt, nach Verhandlungen mit anderen bewaffneten Gruppen in dem Gebiet. Da sich aber auch die Nusra-Front aus ihrem Selbstverständnis heraus nicht erlauben kann, mit den USA öffentlich gemeinsame Sache zu machen, erklärte sie am Tag ihres Rückzuges, es sei - Zitat - "nach den Gesetzen der Scharia nicht erlaubt" mit der internationalen Anti-IS-Koalition zusammenzuarbeiten. Eine "Nicht-Kooperation", die zur Kooperation wird.
Tragödie für die unschuldig betroffenen Menschen
Die Vernunft gebietet vor einer schleichenden Akzeptanz von al-Qaida zu warnen. Doch diese Erkenntnis spricht eher dafür, dass es wohl genauso kommen wird, schon allein deshalb, weil es immer noch keine Strategien für die Zukunft des Nahen Ostens und Nord-Afrikas gibt. Weder innerhalb noch außerhalb der Region. Die aktuelle Formel lautet deshalb in etwa: "Der Feind meines Feindes bleibt mein Feind, aber ein besserer. Vielleicht."
Vielleicht bleibt al-Qaida aber auch das, was die Organisation bleiben muss: Eine gejagte Terrorgruppe. Die Auftritte Obamas und Putins kürzlich vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, die Reden, die sie hielten, womöglich waren sie konkret tatsächlich viel weniger widersprüchlich gemeint als sie vordergründig klangen: ganz im Stil eines aktuell verfremdeten Shakespeare-Zitats: "Much ado about Nothing" - "Viel Lärm um nichts"! Für ein Publikum, das wie im Theater eine spannende Vorführung erwartet. Allerdings mit einem bitterernsten Unterschied: Beim Syrien-Konflikt handelt es sich um ein blutiges Drama, um eine Tragödie für die unschuldig betroffenen Menschen. Und deshalb ist das jüngste Handeln auf offener politischer Bühne in New York weniger wichtig als eine künftig zielgerichtete Arbeit der einschlägigen Autoren, Regisseure und Dramaturgen hinter der Bühne, in den Kulissen.
Spannend ist, was der nächste Akt bringen wird. Jetzt, da das Bündnis zwischen Assad und Russland noch einmal gestärkt worden ist: Präsident Putin hat sich beim russischen Oberhaus grünes Licht für einen Militäreinsatz in Syrien geholt. Der Föderationsrat billigte das Ersuchen Putins einstimmig. Präsidialamtschef Sergej Iwanow versicherte, das Mandat beziehe sich nur auf die russische Luftwaffe und bedeute keinen Einsatz von Bodentruppen. Das mag so sein. Konfliktpotenzial könnte jedoch der Einsatz der russischen Luftwaffe enthalten: Angenommen US-F-16-Jets nehmen innerhalb des syrischen Luftraumes IS-Stellungen ins Visier; die Regierung in Moskau hat das aber nicht erfahren, weil das neue russisch-irakisch-iranisch-syrische Informationszentrum in Bagdad nicht schnell genug reagierte. Und nun treffen die US-Jagdbomber auf russische MiGs, die den syrischen Luftraum schützen.
Bleibt dann nur zu hoffen, dass irgendeine neue "Allianz des Augenblicks" das Schlimmste verhindern wird.