"Wir hoffe alle, dass die Menschen in Syrien aufatmen können, wir hoffen, dass das Bomben aufhört", sagte die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Franziska Brantner, im DLF. Wenn man sich die Politik des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und Russlands anschaue, kämen aber große Zweifel. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass Assad nicht auf eine politische Lösung setze. Damit die aktuelle Waffenruhe mehr als eine "Friedhofsruhe" werde, sei ein politischer Prozess nötig. Daran müssten auch Katar und Saudi-Arabien beteiligt werden.
Brantner warf dem Westen vor, mit seiner Politik in Syrien gescheitert zu sein. Drohungen seien schädlich, wenn es keine Konsequenzen gebe, das sehe man in Syrien ganz deutlich. Das habe der Westen lange gemacht, das Versagen und das Ergebnis sehe man heute. In einigen Ländern wie Ägypten drücke der Westen auch jetzt wieder beide Augen zu.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann. Am Telefon ist Franziska Brantner, Abgeordnete der Grünen, Vorsitzende des Bundestagsunterausschusses für zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung, außerdem stellvertretendes Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Guten Morgen!
Franziska Brantner: Guten Morgen, Herr Heinemann!
Heinemann: Frau Brantner, können die Menschen in Syrien aufatmen?
Brantner: Wir hoffen alle, dass die Menschen in Syrien aufatmen können. Wir wünschen uns, dass die Waffenruhe hält, dass das Bomben endlich aufhört. Aber damit das wirklich auch mehr als ein Hoffnungsschimmer wird, muss es wirklich zügig zu ernsthaften und auch konstruktiv geführten politischen Verhandlungen kommen, und da habe ich leider doch erhebliche Zweifel, ob das auch wirklich passieren wird.
Heinemann: Sie sind nicht sicher, dass dies jetzt das Ende des Krieges sein könnte?
Brantner: Nein, ich habe Zweifel aus zwei Gründen: Erstens, wenn man sich die vergangene, die Politik der letzten Wochen und Monate von Assad und auch seiner russischen Unterstützer anschaut, dann kommen einen große Zweifel. Und zweitens, wenn man sich eben auch den genauen Text dieses Abkommens anschaut, bestehen auch große Fragezeichen. Die Vergangenheit hat eben gezeigt, dass eigentlich Assad nicht auf eine politische Lösung setzt, einen Transformationsprozess, der ja auch ihn irgendwann zum Abtreten bringt, sondern auf einen militärischen Sieg. Das hat er ohne Rücksicht auf Verluste in den letzten Wochen und Monaten klar gemacht und auch umgesetzt. Und ich habe meine Zweifel, ob das jetzt nicht mehr ist als eine Verschnaufpause für eine Neuordnung der Truppen, vielleicht darauf warten, dass Trump amerikanischer Präsident wird, um dann doch um Damaskus herum die Rebellen sozusagen endgültig zu besiegen, dann nach Idlib sich aufzumachen. Da habe ich große Fragen, ob das eben ernst gemeint ist. Und was diese Zweifel bestärkt, ist auch, wenn man sich das Abkommen genau anschaut, dass die Gespräche erst anfangen sollen, wenn diese Waffenruhe einen Monat hält. Und ein Monat ist eine sehr lange Zeit, so lange hat bisher nichts gehalten. Und eigentlich müssten die Gespräche ja sofort anfangen, wenn es ernst gemeint ist. Es gibt einfach so viele Spoiler, also die es gern auch natürlich verhindern würden, für einen Monat, ihre Korrespondentin hat es gerade erwähnt, die ungeklärte Frage der Gruppen, die mit vor Ort, mit Teilen von Al-Kaida-Gruppen zusammenarbeiten, da sind so viele Fallstricke drin, dass ich mich wundere, warum man einen Monat warten will, bevor man mit Gesprächen anfängt, wenn es ernst gemeint um einen politischen Transformationsprozess gehen soll.
"Assad setzt immer auf eine militärische Lösung"
Heinemann: Waffenstillstand ist Waffenstillstand, das hat der Westen bisher nicht geschafft. Gönnen Sie Putin den Erfolg nicht?
Brantner: Ich würde mir sehr wünschen, dass es klappt, wirklich. Ich glaube, wir wären alle froh, wenn es zu einem ernsthaften politischen Prozess kommt und auch einem Waffenstillstand, der hält. Ich glaube, das hängt zusammen. Ich glaube, es wird in Syrien nur von Assads Seite aus keinen Waffenstillstand geben oder keinen Frieden geben, der mehr ist als eine Friedhofsruhe und dann ein Guerillakrieg. Von daher hoffe ich wirklich, dass dieser Prozess jetzt auch funktioniert. Ich hoffe auch, dass andere Kräfte dazu kommen, wie Saudi-Arabien und Katar, weil klar ist auch, dass ohne die es auch keinen Frieden geben wird. Das ist auch ein regionaler Stellvertreterkonflikt. Ich sag mal, früher wurde der Fehler gemacht, dass man den Iran nicht mit an den Tisch geholt hat. Wenn jetzt Saudi-Arabien und Katar nicht dazu kommen, fehlt wieder eine Hälfte. Also ich hoffe wirklich, dass es klappen wird, aber ich habe einfach große Zweifel daran. Nichtsdestotrotz bleibt natürlich auch bei mir eine Hoffnung.
Heinemann: Wenn die Waffenpause hielte, hieße das dann nicht, dass es doch eine militärische Lösung gibt?
Brantner: Assad setzt immer auf eine militärische Lösung. Die Frage ist ja immer nur, wie so eine militärische Lösung ausschaut und ob sie halten kann. Ich habe da meine Zweifel. Ich glaube eben, dass am Ende sich der Konflikt sonst nur verschieben wird in einen Guerillakrieg, wie man das ja in anderen Ländern dieser Welt leider sieht, dass sich die Frage weiter stellen wird, wer bekämpft Daesh, Al Kaida, dass dieser Krieg ja noch lange deswegen noch nicht vorbei ist, sondern sich vielleicht eben Gewaltherrschaft in weiten Teilen des Landes sich breitmacht. Aber das ist etwas anderes als Frieden. Von daher, am Ende wird es einen politischen Prozess brauchen für einen echten Frieden, der mehr ist als Friedhofsruhe. Von daher, am Ende, glaube ich, wird es nicht militärisch möglich sein.
Heinemann: Ruprecht Polenz hat gestern bei uns gesagt, der frühere CDU-Außenpolitiker, der Friedensweg von Astana werde schwer bis unmöglich. Warum eigentlich?
Brantner: Ich glaube, er hatte ähnliche Zweifel wie ich auch. Er hat auch erwähnt, dass eben auch Teile fehlen, Saudi-Arabien, zumindest bis jetzt. Dass die Unterscheidung in die unterschiedlichen Gruppen, dass eben gesagt wurde, dass alle, auch related groups, also die Gruppen, die mit Daesh, ISIS und Al-Kaida-Ablegern zusammenarbeiten, auch nicht Teil des Abkommens und der Verhandlungen sind. Damit schließt man doch sehr viele Gruppen in Syrien wiederum aus. Von daher, ein schwieriger Prozess, weil es eben auch mehr ist als nur ein innersyrischer Konflikt. Es ist ein regionaler Konflikt, ein globaler Konflikt zu einem gewissen Grad, und da kommt es am Ende darauf an, dass dann doch alle am Tisch sind. Und die Vereinten Nationen sind dafür eigentlich auch der bessere Rahmen.
Auf humanitären Zugang in alle belagerte Gebiete drängen
Heinemann: Frau Brantner, der Westen hat bisher in Syrien nichts zustande gebracht. Sollte man jetzt den russischen Versuch, den türkischen Versuch gleich mit Ihrem Zweckpessimismus überfrachten?
Brantner: Ich habe keinen Zweckpessimismus. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir die Gefahren sehen und uns lieber jetzt als Westen dann klug überlegen, wie wir damit auch jeweils umgehen. Wenn es am Ende dazu kommt, dass dann doch wieder der Ansturm auf Idlib kommt, und ob wir dann wieder genauso zuschauen wollen, wie bei Aleppo.
Heinemann: Aber das wissen wir doch gar nicht. Bis jetzt hält der Waffenstillstand zumindest ein paar Stunden, und das ist doch schon mal ein erster positiver Schritt.
Brantner: Ja, es ist ein positiver Schritt. Ich würde auch immer sagen zum Beispiel, dass die Europäer darauf jetzt drängen müssen, dass Teil des Abkommens ja auch ist, dass der humanitäre Zugang in alle belagerte Gebiete stattfinden soll. Das ist eine der Vereinbarungen, die bis jetzt nicht so sehr beachtet wurde, die aber extrem wichtig ist. Darauf sollten wir sie auch alle festnageln und auch dabei helfen, das umzusetzen. Ich glaube, dass das ein wichtiger Punkt ist, an dem man jetzt auch anknüpfen kann als Europäer. Natürlich ist es klar, dass die Europäer gar nicht am Tisch sitzen, und von daher ist unserer Einfluss bis jetzt sehr gering. Ich bin mir sicher, dass wir auch gefragt werden, irgendwann wieder das Land aufzubauen und die Geldbörse aufzumachen. Dann müssen wir uns auch klug überlegen, ob wir das einfach so machen oder vielleicht doch auch uns dann überlegen, ob wir das nicht an ein paar Punkte knüpfen. Ich fand es übrigens falsch, wie Herr Müller gestern angekündigt hat, Wiederaufbau – und ich sage jetzt wirklich Wiederaufbau und nicht humanitäre Hilfe, das ist nämlich sein Feld –, ohne Bedingungen angekündigt hat. Ich finde da richtiger, was Mogherini gesagt hat, dass es kein direktes Geld an Assads Ministerien gibt und dass man zum Beispiel auf die Freilassung politischer Gefangener pochen wird. Das sind wichtige Fragen, die für uns Europäer sich stellen, wenn der Prozess klappt. Auf die sollten wir jetzt kluge Antworten finden in der Hoffnung, dass der Prozess klappt, uns aber in allem bewusst sein, dass es sehr fragil und sehr schwierig ist.
Heinemann: Ein mögliches Szenario für den Frieden könnte so aussehen: Russland, Iran und die Türkei stecken ihre Interessenzonen ab, es wird eine weitreichende regionale Autonomie in Syrien geben, Assad wird bei den nächsten Wahlen durch einen anderen Alewiten ersetzt. Könnten dies die Leitplanken für einen Frieden sein?
Brantner: Es könnte zumindest etwas Ruhe vielleicht vorübergehend – die Frage wird sich dann immer noch stellen, durch wen werden sich Sunniten vertreten fühlen, wer wird wirklich Daesh bekämpfen, wie wird der politische Transformationsprozess mehr sein als nur ein anderer Clan-Vertreter aus Assads Gruppe. Ich glaube, das sind die Fragen, die offen sind, und je nachdem kann das wirklich langfristig halten oder auch nicht. Ich glaube, alle Versuche sind wichtig und notwendig, und am Ende wird man sehen, wie ernst es Assad und auch Putin meinen, in Syrien wirklich einen Prozess in Gang zu setzen, der zu Frieden führen kann. Wenn sie dahin kommen, gilt ihnen aller Applaus. Wie Herr Polenz gesagt hat, wenn es scheitert, weiß man auch, was die echten Interessen dahinter eigentlich nur waren.
Heinemann: Wenn es einen Frieden geben soll und muss, kann es einen solchen Frieden geben, ohne dass man mit Daesh, mit der Terrorbande IS, mit solchen Leuten redet?
Brantner: Daesh und die Al-Nusra-Front und andere Ableger, die werden auch zu bekämpfen sein weiterhin in Syrien. Aber die Frage ist eben, wie man mit Gruppen, die auch mit ihnen kooperieren, umgeht, und ich glaube, da ist es eben wichtig, dass man diese Gruppen auch in die Gespräche einbezieht und sie nicht von vornherein einfach nur alle als Terroristen abstempelt und sie nicht mit an den Gesprächen beteiligt. Von daher eine geteilte Antwort auf Ihre Frage. Ich glaube, man muss da differenzieren, soweit man es kann. Es ist schwierig, aber die Aufgabe, der muss man sich stellen. Und da ist es eben nicht hilfreich, wenn man alle in einen Topf schmeißt und alle vom Tisch ausschließt.
Heinemann: Aber einige schon, also IS sollte man schon als Terroristen brandmarken.
Brantner: Ja. Ich glaube, die Gruppen, die auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eindeutig als Terrorgruppe gelistet hat, auf die man sich hat einigen können trotz schwieriger Probleme, dass die noch mal eine unterschiedliche Rolle auch in Syrien haben, auch im Irak. Die sind regionale Akteure, die andere Ziele auch verfolgen. Das ist eine andere Art von, sage ich mal, Gegner, auch vor Ort. Da muss man differenzieren eben vor Ort, auch wenn es, das gebe ich gern zu, häufig sehr schwierig ist, dann genau zu unterscheiden, wer jetzt mit wem zusammenarbeitet.
"Man sollte keine Versprechen und auch keine Drohungen aussprechen"
Heinemann: Der russische Verteidigungsminister Schoigu hat gesagt, wer diesen Waffenstillstand bricht, wird als Terrorist eingestuft, und die Russen haben in Aleppo gezeigt, wie sie mit Leuten umgehen, die sie für Terroristen halten. Ist das die Sprache, mit der man in diesem Konflikt auftreten muss?
Brantner: Das ist die Sprache, die wir für eben nicht wirklich – ach ja – beförderlich finden für einen politischen Prozess.
Heinemann: Nur, Wattebällchen haben bisher auch nichts gebracht.
Brantner: Wattebällchen haben auch nichts gebracht, nein. Natürlich hat Russland stark militärisch sich eingesetzt, und man sieht in Syrien ganz klar, da haben Sie recht, dass das Ankündigen, Versprechen als Unterstützung für demokratische Kräfte, Drohungen gegen Diktatoren schädlich sind, wenn sie keinerlei Konsequenzen mit sich bringen. Da haben Sie recht. Man sieht das in Syrien eindeutig, man sollte keine Versprechen und auch keine Drohungen aussprechen, wenn man sie nicht ernst meint, das ist mehr als schädlich. Das hat der Westen in den letzten Jahren getan und heute reden wir darüber, welchen Preis wir dafür zahlen. Von daher klar, man muss sich das sehr genau überlegen, aber das bedeutet noch nicht, dass deswegen der russische Ansatz, alle sind eigentlich Terroristen, also auch Assads Ansatz, deswegen vielversprechender ist. Ich glaube, das ist auch klar. Das Ergebnis, das wir heute in Syrien sehen, ist das Ergebnis vom Versagen des Westens über Monate und Jahre in Syrien.
Heinemann: Und vielleicht nicht nur in Syrien. Hohe Geburtenraten, kaum Arbeitsplätze, korrupte, diktatorische Machthaber. Wird sich das syrische Beispiel eines Bürgerkriegs in anderen Staaten der Region wiederholen?
Brantner: Ich hoffe nicht, aber natürlich ist die Gefahr da. Wir haben leider gesehen, dass viele Machthaber in der Region nicht unbedingt auf das Wohl ihrer Bevölkerungen setzen und eher sich selber bereichern und ihre eigenen Interessen voranbringen. Und der Westen, sag ich mal, bis jetzt in der Vergangenheit eben eher gern mit ihnen kooperiert hat und das auch momentan ja wieder tut. Wir sehen das in einigen Ländern, auch in Ägypten, bei as-Sisi macht man wieder alle Augen zu, obwohl dort auch mit der größten Bevölkerung ja eine durchaus – ja, ein Gewalteskalationspotenzial besteht. Ich glaube, dass wir uns jetzt generell überlegen müssen, was ist die Politik, auch zum Beispiel der Europäischen Union in unserer direkten Nachbarschaft. Was müssen wir ändern, was hat funktioniert, was auch nicht, und da ganz nüchtern und ehrlich betrachten, wie wir weitermachen wollen. So wie bis jetzt scheint es mir nicht zu funktionieren. Die Alternative, wir machen wieder Kuschelkurs mit den Diktatoren, hat in der Vergangenheit nicht geklappt und wird auch in Zukunft nicht klappen. Ich glaube, wir brauchen eine realistische Politik, die auch klar unsere Grenzen kennt, aber trotzdem nicht einfach zurück zum Kuschelkurs geht.
Heinemann: Franziska Brantner, Bundestagsabgeordnete der Grünen. Danke schön für das Gespräch, und Ihnen alles Gute für 2017.
Brantner: Ich danke Ihnen, Ihnen auch!
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