Krieg gegen die Ukraine Wie Russlands Sport mit den Sanktionen umgeht
Die durch das IOC empfohlene Rückkehr "neutraler" Athletinnen und Athleten aus Russland wird von den Weltsportverbänden unterschiedlich gehandhabt. Eine ARD-Recherche zeigt: Im russischen Sport stoßen die Sanktionen nur selten auf Verständnis.
Wir sind an der russischen Schwarzmeerküste. Unübersehbar sind hier Fahnen mit dem Buchstaben Z – ein Symbol des russischen Krieges. Wir sind auf dem Weg nach Sotschi, dem Ort der Olympischen Winterspiele von 2014.
Ende Mai findet hier der Saisonstart des russischen Leichtathletikverbandes statt. Das Zuschauerinteresse an den Mannschaftsmeisterschaften ist überschaubar. Publikum findet sich nur in einem kleinen Bereich des Stadions. Sieben Jahre lang war der russische Verband vom internationalen Verband suspendiert.
Weltleichtathletikverband hält rigoros an Ausschluss fest
Nachdem ARD-Recherchen einen systematischen Dopingbetrug offengelegt hatten, ließ der Weltverband nur noch wenige russische Athleten zu, wie den Hürdensprinter Sergej Schubenkow. Der Welt-und Europameister über 110 Meter Hürden ist seit dem Krieg gegen die Ukraine – wie alle russischen Leichtathleten – ausgeschlossen.
Hier geht's zur Sport-inside-Reportage in der ARD-Mediathek:
Dass wir international nicht antreten können, macht mich sehr traurig. Andererseits ist klar, dass der Leichtathletikverband seine 2015 begonnene Linie gegen Russland fortsetzt. Und es ist auch klar, dass diese Position unverändert bleiben wird, solange der Konflikt in der Ukraine andauert.
Sergej Schubenkow, Welt- und Europameister über 110 Meter Hürden
Der Weltleichtathletikverband hält bislang rigoros am Ausschluss fest. Irina Priwalowa ist Vizepräsidentin des russischen Leichtathletikverbandes. Sie denkt über die Entscheidung des Weltverbandes: "Wir haben dieses große Problem doch seit sieben Jahren. Wir haben uns daran gewöhnt. Für andere Sportler und Sportarten in unserem Land ist das hingegen ein neues Problem."
Direkt über dem Stadion leuchtet Werbung für die russische Söldnertruppe Wagner – mit Telefonnummer. Wer möchte, kann zum Zeitpunkt unserer Dreharbeiten sofort in den Krieg ziehen.
Im Stadion geben sich Sympathisanten des Krieges nur vereinzelt zu erkennen. Dafür ist der Verein ZSKA allgegenwärtig. Die besten Athleten hier starten für den russischen Armee-Klub und werden je nach Dienstgrad vom Verteidigungsministerium besoldet.
An dem Wettkampf nimmt auch Maria Lassiskene teil. Die erfolgreichste Hochspringerin der letzten Jahre startet für den Verein ZSKA. Nach ihrem Sieg bei den vergangenen Olympischen Spielen in Tokio posierte Lassiskene mit der drittplatzierten Jaroslawa Mahutschich aus der Ukraine.
Wir wollen von der 30-Jährigen wissen, was sie darüber denkt, dass sie wohl die kommenden Olympischen Spiele 2024 in Paris verpassen wird.
Während des Interviews fängt Lassiskene an, zu weinen: "Ich denke einfach, dass meine internationale Karriere vorbei ist. Es ist doch alles längst entschieden. Und was auch immer wir tun, wir sind auf internationalen Events einfach nicht willkommen. Ich habe keine Hoffnungen. Ich bin noch nicht bereit. Nicht bereit, meine Karriere zu beenden. Ich möchte springen."
Direkt zum Krieg befragen wir Lassiskene vor der russischen Presse nicht. Die Antwort könnte für sie fatale Folgen haben.
Fecht-Präsident vermutet: Russland soll ausgeschaltet werden
Im März hat das IOC empfohlen, russische Sportler als sogenannte neutrale Athleten an Wettkämpfen teilnehmen zu lassen, wenn diese nicht zum Militär oder anderen Sicherheitsapparaten gehören. Die Entscheidung darüber obliegt den internationalen Fachverbänden. Und die entscheiden unterschiedlich.
Wir sind beim Säbel Moskau. Vor dem Krieg ein internationaler Grand Prix im Fechtsport, jetzt treten hier die russischen Regionen und Athleten aus dem Iran gegeneinander an. Der internationale Fechtverband hat zwar einer Rückkehr russischer Sportler grundsätzlich zugestimmt. Trotzdem bleiben auch im Fechten die besten russischen Sportler ausgeschlossen.
Ilgar Mammadow, Präsident des russischen Fechtverbandes, vermutet darin das Motiv, Russland sportlich auszuschalten:
Wir haben bei den vergangenen beiden Olympischen Spielen in Rio und Tokio 15 Medaillen geholt. Natürlich wollen viele Länder, die auch gut im Fechtsport sind, diese Medaillen haben. Und natürlich wollen sie Russland deshalb lieber nicht bei Olympischen Spielen dabei haben. Das ist meine vollste Überzeugung.
Ilgar Mammadow, Präsident des russischen Fechtverbandes
Eine der Fechterinnen, die aktuell von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen sind, ist Jana Egorian. Sie kämpft für ZSKA. Bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 gewann sie zweimal Gold. Im Einzel und mit der Mannschaft. Für ihre Erfolge erhielt sie damals einen Orden von Präsident Wladimir Putin.
"Wir sollen wohl unsere Seelen an den Teufel verkaufen, um teilzunehmen. Damit sind wir natürlich nicht einverstanden. Ich weiß nicht, wie das ausgehen wird. Ich genieße es einfach zu leben, zu lachen. Bei meiner Familie zu sein und zu fechten", sagt Egorian.
In Rostow am Don finden im Juni die russischen Meisterschaften im Freiwasserschwimmen statt. Auch Russlands Schwimmer sind seit über einem Jahr nicht international angetreten. Der Weltverband hat jetzt angekündigt, russische Athleten bald wieder teilnehmen zu lassen. Als sogenannte neutrale Athleten ohne Hymne und Flagge. Das sei nicht akzeptabel, erklärt Verbandspräsident Wladimir Salnikow:
"Wenn man uns dabei haben möchte, sollte es keine Einschränkungen geben. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn Sie Leute zu sich nach Hause einladen, schreiben Sie ihnen auch nicht vor, was sie anziehen sollen, welche Schuhe sie tragen sollen oder welche Aufschrift sie tragen sollen."
Doch anders als viele Funktionäre in Russland, sehen einige Athleten darin kein Problem. Der Sieger nach fast zwei Stunden Freiwasserschwimmen, Alexander Stepanow, widerspricht öffentlich der Meinung seines Verbandspräsidenten: "Wir sind das einzige Land, das unter neutraler Flagge antritt. Jeder weiß doch, dass wir Russland sind. Dass es keine Hymne gibt, ist in Ordnung und nicht das Wichtigste. Das Wichtigste sind die Ergebnisse."
Die Debatte über die internationale Teilnahme russischer Athleten wird auch in Russland intensiv geführt. Dabei ist man sich bei weitem nicht so einig, wie es von außen scheint.