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Krieg und Frieden

In Dresden wird im Oktober das erste gesamtdeutsche Militärmuseum eröffnet. Es soll künftig die Geschichte der Kriege darstellen. Moderne militärhistorische Museen schauen auf die Politikgeschäfte, auf die Zusammenhänge und Beziehungen zwischen Militär und Ökonomie, Kultur und Sozialwissenschaft, sagt der wissenschaftliche Leiter Gorch Pieken.

Gorch Pieken im Gespräch mit Katja Lückert |
    Katja Lückert: In Dresden wird im Oktober das erste gesamtdeutsche Militärmuseum eröffnet, in der Albertstadt, eine im Norden gelegene Kasernenanlage. Sie wurde seit dem 19. Jahrhundert von verschiedenen Armeen benutzt, von der Königlich-Sächsischen Armee, der Reichswehr, der Wehrmacht und der NVA als Militärmuseum. Erst nach der Wende wurde das Gelände zum Vorzeigemuseum der Bundeswehr ausgebaut, und nun ist es noch einmal erweitert und neu gestaltet worden durch den amerikanischen Architekten Daniel Libeskind, der auch für das Jüdische Museum in Berlin verantwortlich zeichnet. Gorch Pieken ist wissenschaftlicher Leiter des Museums, an ihn die Frage nach der Möglichkeit, die Geschichte aller Kriege zu erzählen. – Geht das überhaupt?

    Gorch Pieken: Traditionell sind Heeres- oder Armeemuseen Museen gewesen, die Kriege in den Fokus ihrer Erzählung gestellt haben, die Militärgeschichte begriffen haben als eine Aufeinanderfolge von Kriegen. Moderne militärhistorische Museen, die schauen weiter, die schauen auf die Politikgeschäfte, auf die Zusammenhänge und Beziehungen zwischen Militär und Ökonomie, Kultur und Sozialwissenschaft, und wir wagen sogar noch einen Schritt mehr, denn uns interessiert Gewalt als ein historisches, als ein anthropologisches oder auch als ein kulturelles Phänomen. Und im Zentrum unserer Ausstellung steht der Mensch, die anthropologische Seite der Gewalt. Will man das Kriegspotenzial in unserer Welt besser verstehen, um es vielleicht hinterfragen und irgendwann mal überwinden zu können, muss man nach den Ursachen und dem Wesen jenes Gewaltanteils fragen, der in uns allen drinsteckt.

    Lückert: Kommen wir zu dem Punkt Gewalt gleich noch mal. Sie hatten gesagt, andere Militärmuseen. Ich denke, Sie denken an Imperial War Museum in London oder an das Musée de l'Armée in Paris. Man sieht ja da oft viele Waffen, Geräte, Uniformen, es geht um den patriotischen Kampf der Soldaten, nicht so sehr um ihre Niederlagen. Wollen Sie das anders machen in Dresden?

    Pieken: Bei uns ist weniger der Fokus auf einer Technikgeschichte, sondern auf Geschichte, auf die sozialen Zusammenhänge, auf den Kontext der Exponate. Wir stellen natürlich auch Großgeräte aus, technische Waffen, die auch mal einen Ruf hatten als Wunderwaffen wie die V2-Rakete aus dem Zweiten Weltkrieg, eine Terrorwaffe, gerichtet gegen London und Antwerpen, gegen die Zivilbevölkerung, gegen diese Waffe gab es keine Gegenwehr, keine wirksame Gegenwehr. Und wir kontextualisieren dieses Exponat mit anderen Exponaten, mit einer Puppenstube eines Mädchens, das 1944 in London gelebt hat und ihre Puppenstube kriegstauglich gemacht hat. Sie hat ihre Puppenstube, die Fenster schwarz angemalt, verdunkelt, sie hat kleine Sandsäckchen vor die Türen gestellt und Gasbettchen für ihre Puppenkinder in die Puppenstube reingestellt. Und gleichzeitig muss man auch bedenken, dass durch die Waffenwirkung weniger Menschen zu Tode gekommen sind als durch die Zwangsarbeit, die notwendig war in dem Konzentrationslager Mittelbau-Dora in Thüringen, um diese V2-Rakete zu produzieren unter Tage, unter unmenschlichen Bedingungen.

    Lückert: Die Bundeswehr als eine moderne Institution zu präsentieren, das ist ja sicher ein Anliegen dieses Museums. Aber spiegelt es nicht auch diese Ambivalenz, dieses ambivalente Gefühl der Deutschen zu ihrer Armee, zu der Verteidigung ihres und anderer Länder, wie wir es ja auch gerade wieder in der letzten Zeit im Fall von Syrien oder in Afghanistan gesehen haben, ist das auch diese Ambivalenz, die sich da spiegelt in Ihrem Museum?

    Pieken: Ambivalenz ist ein Stoppwort oder ein Schlagwort für die gesamte Ausstellung. Es gibt kein Exponat, es gibt kein Thema in diesem Museum, was nicht hinterfragt wird. Und wenn Sie dieses Museum betreten durch den Neubau von Daniel Libeskind, der einen Ergänzungsbau errichtet hat in diesem Museum, dann betreten Sie eine Welt des Perspektivwechsels. Und das gilt auch für die Geschichte der Bundeswehr, zum Beispiel das Stichwort Afghanistan oder Einsatz im Kongo oder Somalia, am Horn von Afrika. Wir denken, es ist ganz notwendig, sich auch mit dem aktuellen Geschehen auseinanderzusetzen und auch das zu präsentieren, auch in seiner ganzen Widersprüchlichkeit.

    Lückert: Daniel Libeskind, der das Jüdische Museum in Berlin gebaut hat, hat auch das Militärhistorische Museum nun mit umgebaut und umgestaltet. War das auch eine symbolische Entscheidung?

    Pieken: Davon bin ich überzeugt. Es ging schon auch darum, mehr Quadratmeter für dieses Museum zu gewinnen, aber eine ganz wichtige Funktion dieses Gebäudes ist sicherlich seine Symbolsprache. Ausdruck zu sein für unsere problematische deutsche Militärgeschichte, das ist dieses Gebäude. Man muss sich das so vorstellen, als ob ein Keil getrieben worden ist durch ein altes, historisches Zeughaus, ein historisches Arsenalgebäude aus dem 19. Jahrhundert, wie so ein Stachel im Fleisch der deutschen Geschichte, wie so ein Aufschrei, wie Schmerz und Krieg symbolisierend und genau das Gegenteil von dem, was das alte, historische Arsenalgebäude, eine Waffenkammer aus dem 19. Jahrhundert repräsentiert und eben Krieg infrage stellt.

    Lückert: Also ein Antikriegsmuseum?

    Pieken: Antikriegsmuseum in einer klassischen Weise. So definiert wie das Antikriegsmuseum in Wedding in Berlin ist dieses Museum sicherlich nicht. Der Pazifismus per se ist keine unschuldige Position, weil der unterlassene Krieg oder die unterlassene Hilfeleistung könnte im Zweifelsfall verwerflicher sein als ein Krieg. Vielleicht ist das ein Museum, das Mut hat, Angst vor dem Krieg zu haben und diese Angst auch zu zeigen.

    Lückert: Krieg und Frieden, das Militärmuseum in Dresden und sein neues Konzept. Das war der Wissenschaftliche Leiter Gorch Pieken.

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