Das Minenjagdboot Überherrn kämpft sich durch eine graue Nebelwand in der Kieler Förde. In der Ferne zeichnen sich verschwommene Umrisse von Fähren und Containerschiffen ab. Fritz Rüdiger Klocke zieht seine Schultern hoch und die Kaptiänsmütze etwas tiefer in die Stirn.
"Wir sind heute im Bereich des Verkehrstrennungsgebietes vorm Kieler Leuchtturm und wir sind jetzt vorbereitet, um sowohl mit dem Minenjagdboot und Minentauchern Objekte, die wir bereits vorher lokalisiert haben, anzufahren, mit einer Drohne zu identifizieren und dann nachher munitionstechnisch mit Minentauchern oder Tauchern des Kampfmittelräumdienstes zu behandeln.
Die Kieler Förde zählt zu den verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt. Jedes Jahr fahren hier etwa 40.000 Schiffe entlang. Keine 20 Meter unter ihren Kielen ragen aus dem Schlick des Meeresbodens Grund- und Ankertauminen hervor.
Das ist eben, wenn man das jetzt mal aus taktischen Gründen des Engländers halt sieht, der hier früher die Minen gelegt hat, ein leicht verminbares Gebiet, weil es natürlich - der Mineneinsatz wäre früher sehr wirkungsvoll gewesen, weil 18 Meter Wassertiefe: da richtet man schon erheblichen Schaden an, an einem Schiff mit einer scharfen Mine."
Fritz Rüdiger Klocke ist Fregattenkapitän der Deutschen Marine, die dem Kampfmittelräumdienst Schleswig-Holstein bei der Minensuche Amtshilfe leistet. Gemeinsam stoßen sie jedes Jahr auf Dutzende, noch scharfe Grundminen mitten in der Fahrrinne. Kaum weniger gefährlich sind die Minen und Bomben, die nach den Kriegen im Meer verklappt wurden.
"In deutschen Meeresgewässern befinden sich nach unseren Recherchen noch 1,6 Millionen Tonnen an konventioneller Munition, davon sind 300.000 Tonnen in der Ostsee und der Rest in der Nordsee."
Viele krebserregende Stoffe im Meer
Jens Sternheim leitet die Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Munition im Meer" beim Umweltministerium Schleswig-Holstein, dem Bundesland, das am stärksten von der Munition im Meer betroffen ist. Neben den konventionellen Sprengkörpern liegen noch 170.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe in der gesamten Nordsee und bis zu 65.000 Tonnen in der ganzen Ostsee. Sarin, Soman, Tabun, Lewisit, Senfgas, Adamsit, Clark 1, Clark 2. All diese Stoffe wurden entwickelt, um größtmöglichen Schaden anzurichten: Nervengase, Hautkampfstoffe, Arsenverbindungen. Viele dieser Substanzen sind krebserregend oder schädigen das Erbgut.
Die Munition rottet seit fast 70 Jahren im Ozean vor sich hin, aber jahrzehntelang hat sich niemand dafür interessiert. Bis die Stromkonzerne den Meeresboden als Baugrund entdeckten. Jetzt werden die Altlasten der Kriege zu einem Problem für die Energiewende. Zuletzt beim Bau des Windparks Riffgat im Jahr 2013:
"Das ist ein Windpark vor der niedersächsischen Küste, der natürlich, wie alle anderen Windparks auch, mit einem Kabel an das Festland angebunden werden muss. Bei dieser Verlegearbeit bzw. bei den Vorarbeiten dazu sind große Mengen an Weltkriegsmunition auf der Kabeltrasse gefunden worden und die mussten beseitigt werden."
30 Tonnen lagen mitten auf der Kabeltrasse. 18 Monate lang waren 60 Spezialisten rund um die Uhr mit der Räumung beschäftigt. Die Mehrkosten beliefen sich auf 100 Millionen Euro. Aber die Bomben im Meer verursachen nicht nur wirtschaftliche Probleme. Ein großes europäisches Forschungsprojekt hat die Fische in den Munitionsversenkungsgebieten der Ostsee untersucht: die Tiere weisen Schäden am Immunsystem auf, sind magerer und weniger fit als ihre Artgenossen in Vergleichsgebieten.
"Ich meine, dass kein vernünftiger Mensch auf die Idee kommen kann, dass man Munition im Meer versenken sollte, und wenn sie denn schon drin ist, dass sie drin bleibt. Es ist Chemie im wahrsten Sinne, es ist giftig, und insofern sollte man einiges dafür tun, dass man es wieder rausholt."
In Binnenmeeren wie der Ostsee ist das Problem besonders groß. Es gibt kaum Wasseraustausch und die Gifte und Schadstoffe reichern sich im Wasser an. In Polen laufen daher erste Bemühungen, die Munition zu bergen. Und auch das Land Schleswig-Holstein würde die Millionen von Bomben in Nord- und Ostsee gern finden und unschädlich machen. Das Problem aber ist ein weltweites, denn in allen Ozeanen wurde während und nach dem Zweiten Weltkrieg im großen Stil Munition entsorgt.